Valentin Stip – Nichts muss, alles kann

23.04.2012
Nichts muss, alles kann. Valentin Stip lässt leichtfüßung ein musikalisches Gemisch aus klassischen- und elektronischen Elementen enstehen – Nicolas Jaar ohne die poppigen Elemente, um hier mal den Einstieg zu erleichtern.

Nichts muss, alles kann. Diese Philosophie scheint Valentin Stips Musik zu Grunde zu liegen. »Ich lasse mich leben«, antwortet er auf die Frage, wie er sich zu seinen Songs inspiriert. Abstrakt klingt das, stößt beinahe als abgedroschen auf und macht im Bezug auf Valentin Stip doch so viel Sinn. Denn in seiner Musik ist alles »lassen«, nichts ist »müssen«. Valentin Stip »lässt« sich leben, seine Songs »lässt« er wachsen.

So würde ein Bild von Monet klingen
Auf die Welt kommt der Musiker in Paris. Dort lernt er Klavier spielen und erhält eine klassische Musikausbildung. Es passt zu der Eingangspassage, dass er damit bricht: Zu rigide ist der Lehrplan, es ist zu viel »müssen« im Spiel. Er selbst sagt, dass der Bruch mit der klassischen Musik sich wie ein Emanzipation angefühlt habe. Danach ergaben sich neue musikalischen Einflüsse wie von selbst; in anderen Teilen Europas kommt er in Kontakt mit elektronischer Musik, in New York City saugt er auf Konzertbesuchen in der Carnegie Hall neue Stilrichtungen auf. »New York war wohl mein wirklicher musikalischer Erzieher«, sagt Valentin Stip. Doch auch die elektronsiche Musik fühlt sich schnell an, wie ein Korsett. Nur Elektronik ist ihm immer noch zu eng, zu eingrenzbar. Bald empfindet er – trotz seiner betonten Liebe zu elektronsicher Musik – eine »Langeweile«.
Inzwischen wohnt Valentin Stip in Montréal, Kanada. Das alles klingt nach der musikalischen Karriere eines inzwischen 40-jährigen – der gebürtige Pariser ist erst 20 und studiert Deutsche Philosophie. Seinen Sound gefunden hat er noch nicht, aber das will er auch gar nicht. Als »ein Spiel zwischen ihm und Emotionen«, die er im Alltag wahrnimmt, beschreibt er seine Musik.

»In meinem Kopf sieht alles, was ich mache, aus als wäre es unter Wasser.«

Valentin Stip
Welche Art Musik also macht dieser junge Mensch? Klar, die Syntheziser sind von elektronischen Genres beeinflusst. Das Klavierspiel beherrscht er aus seiner klassischen Musikausbildung in Paris. Die Soundflächen, in denen es rauscht, gluckert und zirpt, bilden einen Raum. Dieser scheint ohne Fundament in der Luft zu schweben – nennen wir es »Ambient«. Die Versatzstücke lassen sich zuordnen, das Gesamtstück zerfließt, aber in die Unidentifzierbarkeit. »In meinem Kopf sieht alles, was ich mache, aus als wäre es unter Wasser. Und wenn ich an einer Passage arbeite, versuche ich alles so flüssig und weich wie möglich zu machen«, erklärt er. Nein, den Klang einem Genre zuweisen, kann er nicht. Aber »wenn meine Musik ein Gemälde wäre, dann vielleicht eines von Monets Lilien«.

Nicolas Jaar ohne Pop
Vergleichbar ist seine Musik am ehesten mit der seines Vorgesetzten bei Clown & Sunset: Nicolas Jaar. Die Atmosphäre ist bei beiden eine Mischung aus der Ästhetik eines Film-Noir-Soundtracks und dem Verlangen nach Romantik eines lebhafteb Früh-Zwanzigers. Dennoch ist Valentin Stips Musik anders: Die Vocals sind zerstückelter, dürfen über den Song huschen, wie es ihnen gerade einfällt. Eine Einteilung in Strophe und Refrain ist kaum auszumachen – den poppigen Moment, wie man in von Nicolas Jaar kennt, den gibt es bei Valentin Stip nicht. Er scheint seinen Songs Eigenleben einzuhauchen; »lässt« sie sich selbst entfalten. So entsteht in einem Stück scheinbar beliebige Steigerungsmomente und Spannungsbögen. Die folgen nicht gerade Aristoteles‘ Dramatheorie; sie flachen ab und bauschen wieder auf, wo es gerade passt. Das beeindruckende Beispiel dafür ist »Gravels (I+II)« auf seiner im letzten Jahr erschienenen »Anytime Will Do EP« . Diese zwei Songs müssen zwischen blauen Rauchschwaden enstanden sein; auf einem abgeranzten Sofa, auf einem Mac Book zwischen leeren Rotweingläßern. Derzeit arbeitet Valentin Stip an einem neuen Projekt: Pavla + Noura ist die Zusammenarbeit zwischen ihm und seinem Freund Paul Sara. Damit will er »endgültig sogar das Format eines Songs vergessen und tief in introspektive Gegenden vordringen«. Das könne nur zu zweit gelingen, weil sie sich so gegenseitig Illusionen nehmen könnten, bis tatsächlich die Grenzen erreicht seien.