DJ Mehdi & Ed Banger – No Scheuklappen allowed

10.08.2008
2007 – Das Jahr, in dem New-Era-Mützen-, Lederjacken, Ralph-Lauren-Polohemden- und Slayer-Shirts-Träger aufhörten, Electro zu hassen. Und wem verdanken wir das? Im Grunde Ed Banger, die im letzten Jahr kollektiv durch die Decke gingen.

Ed Banger ist in diesen Tagen ein solch integraler Bestandteil ausufernder Feierkultur, dass es tatsächlich fast unmöglich ist, im Morgengrauen nach Hause zu kommen und die Erklärung für sein klingelndes Trommelfell nicht bei Justice, SebastiAn oder DJ Mehdi zu suchen. Auch DJs, deren einzige elektronische Ausflüge bisher aus »Robot Rock«, »Rockafeller Skank«, »Remmi Demmi«, »Flat Beat« und »Smack My Bitch Up« bestanden, haben Mstrkrfts Remix von »D.A.N.C.E.« oder »Never Be Alone« längst kanonisiert. Xavier und Gaspard sind gar zu waschechten Popstars geworden, die nun schon mal von H&M gebeten werden ein Leibchen zu entwerfen. Und was schon bei den ollen Griechen galt, gilt auch für die sich selbst permanent mit dem Anspruch Cutting-Edge zu sein, überfordernde Generation Hype: Wer den Erfolg hat, braucht für den Neid nicht zu sorgen! Wie haltlos die zahlreichen Vorwürfe der Message-Board-Massive sind, wird meist deutlich, wenn man sich die Mühe macht, deren Top10-Listen auf der eigenen, mit schöner Regelmäßigkeit epileptische Anfälle auslösenden, MySpace-Seite zu durchforsten: Epigonen-Galore, der einen unmittelbar an diese Ricola-Werbung denken lässt.
Zeit also einen der älteren Semester in Pedro Winters (genannt: Busy P) Rasselbande zu befragen, wie man mit den hohen Erwartungen und einem möglichen Ende des großen Hypes umgeht. Vorhang auf für einen tiefenentspannten Mehdi Faveris-Essadi, der auf die Frage, ob er befürchte, dass das Kartenhaus bald in sich zusammenfalle, äußerst gelassen antwortet: »Wir müssen einfach immer darauf bedacht sein, uns nicht zu wiederholen und immer aufregende Sachen zu machen. Wir alle.« So einfach ist das, wer redet hier von Druck?

Mehdis Erdung in der umtriebigen französischen Hip-Hop-Szene wird von neonfarbenen Ravekids gerne verkannt. Bereits seit Mitte der 1990er Jahre schraubte Mehdi knochentrockenen Boom Bap für Les Sages Poètes de la Rue, Different Teep, Ideal J, Mc Solaar, Rohff, Fabe, 113, Pit Baccardi, KDD oder Booba. So verwundert es auch kaum, dass er mit leuchtenden Augen erzählt, gerade Ghostface Killah geremixt zu haben (»Charlie Brown«) und dass er seine fünf liebsten Hip-Hop-Alben stilsicher mit »Illmatic«, »It Take a Nation Of Millions to Hold us Back«, »Only Built 4 Cuban Linx«, »The Blueprint« und »Midnight Marauders« beziffert. Dass es Jiggas noch relativ junges Epos »The Blueprint« in die Fünferliste geschafft hat, hätte man ahnen können, wenn man weiß, dass Mehdi glühender Verehrer von Herrn Carter ist. So überrascht auch seine Zustimmung nicht, als ich behaupte »Kingdom Come« sei zu Unrecht derart harsch verrissen worden: »Ich mag ›Kingdom Come‹, aber ich bin da voreingenommen. Jay ist mein bester Freund, er weiß es nur noch nicht.«
Je älter Mehdi wurde, desto stärker wuchs auch sein Interesse an anderer Musik und der Wille sein musikalisches Spektrum zu erweitern, bleibt auch heute entscheidender Motor in einer jetzt schon sehr beeindruckenden Karriere. Als er Pedro Winter 1998 in New York (!) kennenlernte, fand er den richtigen Ansprechpartner für seine kommenden futuristischen B-Boy-Electro-Ausflüge. Winter übernahm Mehdis Management und als er 1999 seine Agentur Headbangers Management gründete, waren beide längst enge Freunde geworden. Und weil man auch (oder besonders) in Frankreich gegen gepflegte Klüngelwirtschaft nicht immer etwas einzuwenden hat, war es nur folgerichtig, dass Mehdi Teil des von Pedro 2003 gegründeten Labels Ed Banger werden würde.

»Wir müssen einfach immer darauf bedacht sein, uns nicht zu wiederholen und immer aufregende Sachen zu machen. Wir alle.«

DJ mehdi
Den mit Justice’ Simian-Remix eingeläuteten, mit »Waters of Nazareth« auf solides Fundament gebetteten und mit »D.A.N.C.E.« in surreale Dimensionen gesteigerten Erfolg des jungen Labels sieht Mehdi nüchtern. Auf meine, zugegeben ziemlich anbiedernde Frage, wie man sich so als temporäres Lieblingsobjekt des Musikjournalismus fühlte, bevor Radiohead mit »In Rainbows« die Bühne für sich reklamierten, albert er zunächst rum, dass ihm das mal hätte jemand sagen sollen, weil er davon nichts mitbekommen habe. Anschließend gibt er zu Protokoll, dass er sich natürlich sehr für Pedro und all seine Labelkollegen freuen würde, man hier aber mal die Proportionen gerade rücken müsse. Die Medien hätten Amy Winehouse, Radiohead, Kanye West, die Daft-Punk-Tour and »American Gangster« noch weit mehr dominiert als Ed Banger. Musikalisches Over- und verbales Understatement – der neue Pariser Chic. »Mach dein Ding, der Rest kommt von allein, die anderen sind viel größer als wir«. Plattitüdenalarm! Doch so unaufgeregt dahergesagt, dass man das durchaus glauben will. So gibt Mehdi, angesprochen darauf, was denn das wichtigste sei beim Auflegen, lediglich das Jogi Löw-Mantra »Spaß haben« wieder.
Es ist genau diese Laissez-faire-Attitüde, der Ed Banger seine exponierte Stellung verdankt: Glitch-Hop-Techniken treffen auf ausufernde Synthflächen, billige Presets kontrastieren virtuos gechoppte Samples, 2 Live Crew-ismen werden von käsigen Discostabs gebrochen, Brachialer Techno vermengt sich mit P-Funk, Dad-Rock wird bastardisiert und Hairmetal-Gebahren enttabuisiert. Elitäres Agenda-Setting: Fehlanzeige. So können sich Justice beispielsweise auch ans Revers heften, die ersten Künstler gewesen zu sein, die mit ihrem Beitrag die Macher der Fabric-Serie derart überforderten, dass die Nr. 37 in der Fabric Mix-Serie kurzerhand an die Dubstep-Instanzen Caspa & Rusko weitergegeben wurde. Rondo Veneziano, die Sparks und Chic neben Daft Punk, Zoot Woman und Surkin – No Scheuklappen allowed als oberste Maxime.

Auch mit den Schattenseiten der Web 2.0-Hysterie wird im Hause Ed Banger pragmatisch und realistisch umgegangen. So flachst Mehdi, der übrigens gerade fieberhaft am Album von Mapei (die Kollege Brimmers kürzlich treffend auf die Formel »Uffie in geil und aus Schweden« herunterbrach) arbeitet, auf die Frage, ob er glaube, dass das Internet heute der beste Weg sei, seine Musik zu promoten, auch wenn man hierfür illegale Downloads in Kauf nehmen müsse: »Wir schreiben das Jahr 2008. Ich glaube mehr muss man zu diesem Thema gar nicht sagen.« Wen will er uns denn im unübersichtlichen MySpace-Nirvana besonders ans Herz legen? »SPA, David Rubato und Burns, alle unglaublich.« Nachdem noch was für die Trivia-Fraktion getan wurde (Letztes gekauftes Album : Sebastien Telliers »Sexuality«, Lieblingssong eines Ed Banger Künstlers: SebastiAns »Walkman«), entschuldigt er sich mit einem »Sorry for being the latest motherfucker on earth« noch artig dafür, dass es so lange gedauert hat, bis das Interview endlich zustande kam. Wenn das der Preis ist, den wir für dieses großartig derbe Hedonismus-Revival bezahlen müssen, hätten wir auch bis 2014 gewartet.