Yaneqdoten – Hauptstädter

19.12.2013
Foto:Illustration by Otto Baum / KLUB7
Yaneq erzählt von Reue, einen einstigen Ausspruch betreffend und davon wie er schon immer ein Hauptstädter war und so gerne nun auch noch ein Berliner werden möchte, Hipster-Bashing hin oder her.

Wer Wind säht, wird Sturm ernten, heißt es in einem alten Buch, dessen Titel mir gerade bewusst entfällt. Und wie es mit so alten, weisen Sprüchen ist: Sie stimmen oft.
In einer früheren Yaneqdote (»Learn the rules, kid!«) beschimpfe ich zum Beispiel einen jungen Franzosen als »Touristen«. Nicht weil ich wirklich etwas gegen Touristen hätte, schließlich sind wir ja alle immer wieder irgendwo Touristen, sondern um das Wortgefecht über wilde Plakatierung zu gewinnen, in das ich mich mit ihm befand. Und in diesem Gefecht kam mir halt das Touri-Argument gerade so in die Flinte. Puff. Geschossen. Ein kleiner Wind. Jetzt, etliche Jahre später schlägt mir eine Sturmfront ins Gesicht.

Es ist Legende: Berlin ist oberangesagt. Unzahlen an internationalen Touristen und neu-Berlinern mit Fuß-Pils in der Hand bevölkern die Trottoirs der Szene-Kieze. In der Neuköllner Weser Straße sollen sich sogar die neuseeländischen Hipster mit den kanadischen Neubewohnern um die Eigentümerschaft der Straße streiten. Die Fun- und Lifestyle-Refugees der zwei langweiligsten Commonwealth-Nationen im Battle um Territorium quasi. Eine schöne Fortsetzung der eigenen kolonialen Landnahme-Tradition könnte man spotten. Aber dann: Sind wir nicht alle Fun- und Lifestyle-Refugees von irgendwo? Und ist das nicht einfach »auch gut so«, wie ein »echter« Berliner einst formulierte? Die Stadt ist doch für alle da. Und alle sind für das Recht auf Freizügigkeit. Was ist die Arroganz der Zuerst-Gekommenen oder Wo-Geborenen? Provinziell, im besten Fall.
Mich regt schon die Frage »Bist du Berliner?« auf, die einem bezeichnender Weise aber auch immer nur von Gerade-Hierher-Gezogenen gestellt wird. Was soll das denn heißen, bitte? Klar, ich bin hier seit sechzehn Jahren als Bürger gemeldet. »Nee, richtiger Berliner?!«, kommt es ungeniert aus dem frechen Maul. Du meinst, ob ich hier geboren wurde? Nee, ich bin in der Hauptstadt geboren. Und das habe ich mit den Ost-Berlinern, aber nicht mit den West-Berlinern gemeinsam. Wer jetzt innerhalb von zwei Sekunden die alte Hauptstadt der BRD nennen kann, ist zur ihm eigenen Pronvinzialität zumindest nicht auch noch strunzdumm. Viele brauchen aber länger als fünf Sekunden, sodass ich die Stadt auch noch selber beim Namen nennen muss. »Wiiie, Bonn?!«, rufen sie dann und haben unfreiwillig den halb stolzen, halb bespöttelten Gesichtsausdruck, den Kleinkinder kriegen, wenn sie etwas raffen, aber nicht wissen, was sie davon halten sollen. Ja, Bonn, Bitch! Ich wohne ausschließlich in Capitals. I’m a capitalist! Und jetzt schwirr ab! Ich will mit interessanten Menschen über interessante Dinge reden.
Im Ernst: Nach sieben Jahren Residenz kann man Deutscher werden. Aber Berliner nie? Blut und Boden-Scheiße ist das, ihr Provinz-Nazis. Geht mal nach New York oder in andere richtige Metropolen und lasst euch den Kopf waschen. Da sind auch alle von irgendwo her.

Außerdem: Was soll das Hipster-Bashing überhaupt? Ich liebe William S. Burroughs und Jack Kerouac. Und Thelonious Monk ist Gott. Das sind die true-school Hipster der ersten Stunde. Style, Witz, Wut, Intelligenz, Hedonismus, gelebte Philosophie und Reflektion: Welcher verkniffene Spießer kann etwas dagegen haben?

Ja, ich habe selber diesen Wind gesäht. Der Sturm den ich ernte? An das Schaufenster meines Kunstraums Schau Fenster, den ich seit drei Jahren in Kreuzberg betreibe, hat mir neulich irgend ein schwäbischer Gentrifizierungsgegner »Touris raus!« gesprüht. In extrem toy-iger Schrift. Wenn er das hier lieat, kann er gerne mal auf ein schwäbisches Bier vorbeikommen und ein interessantes Thema mitbringen. Zum Beispiel, wo er so in Urlaub hinfährt. Oder wie er Berliner Türken findet; sind ja auch hierher gezogen. Ja, die Stadt wird voller. Ja, es wird anstrengender. Ja, das produziert Aggressionen auf allen Seiten. Aber will man wirklich so leben? Ich nicht. Deswegen habe ich auch darauf verzichtet, einen Kommentar wie »Deutsche, kauft nicht bei Juden!« ins Fenster zu kleben.
Ein befreundeter Fotograf und Street-Artist, der hier lieber anonym bleiben will, hat letztes Jahr eine Facebook-Gruppe namens »Hipster Antifa« ins Leben gerufen und postet auf der Seite Fotos von Billo-Taggs gegen Schwaben, Hipster und Neu-Berliner, weil er diese strukturell antisemitisch findet. Die Reaktionen auf die Seite fielen harsch aus. Weitgehend aggressive Ablehnung. Er hat also einen Nerv getroffen.
Außerdem: Was soll das Hipster-Bashing überhaupt? Ich liebe William S. Burroughs und Jack Kerouac. Und Thelonious Monk ist Gott. Das sind die true-school Hipster der ersten Stunde. Style, Witz, Wut, Intelligenz, Hedonismus, gelebte Philosophie und Reflektion: Welcher verkniffene Spießer kann etwas dagegen haben?
Alle oder zumindest alle nicht vollkommen faschistoiden Vollpfosten können sich darauf einigen, dass Patriotismus Unsinn ist. Unsinn der nur Abgrenzung, Krieg und Leid produziert. Warum glauben dann immer noch so viele Reflex-Denker, dass Lokal-Patriotismus eine lässliche Sünde sei? Fuck that! Lokal-Patriotismus ist die Grundschule des Patriotismus. Und nur weil die Vertreter der Grundschule quasi per definitionem Kinder sind, spare ich nicht mit meiner Kritik. Ich glaube sowieso nicht an das Konzept kindlicher Unschuld. Warum sollen Kinder unschuldiger sein? Und warum Erwachsene schuldig? Das leuchtet mir genauso wenig ein. Führt aber vom Thema ab.
Ich empfehle allen Berliner Lokal-Patrioten zwecks Schock-Schulungszwecken einen Ausflug zu den echten Patrioten im Brandenburger Umland. Nehmt am besten einen türkischen Homie mit und verteidigt ihn gegen die rassistischen Dumpf-Bauern, während ihr euch in ihnen spiegeln könnt. Und dann ab, Kinderarbeit bei mir am Schaufenster leisten und die Toy-Taggs abwischen. Das hilft. Denn hinterher seid ihr komplettere Menschen. Versprochen!
Und ich werde nie wieder französische Hippies beschimpfen, die in Berlin Jam-Session machen wollen. Auch versprochen!
Peace out,
ein Hauptstädter.