Vinyl-Sprechstunde – Bushidos »Sonny Black«

19.02.2014
In unserer Kolumne diskutieren zwei Personen eine auf Vinyl veröffentlichte aktuelle Schallplatte. Florian Aigner und Philipp Kunze erklären, warum wir »Sonny Black« in Deutschland gut gebrauchen können.

Kunze: Das ist eine tolle Ansage, dass das Album mit »FOTZEN« beginnt. Echt spitzensupitoll!
Aigner: Ja, oder? Vor allem wenn du den Track gehört hast. Die Hook hat Birdman-Level.
Kunze: Hahaha, ja, man kann nur hoffen, dass sich Bushido bald eine Moschee auf den Kopf tätowieren lässt.
Aigner: Ich finde das einfach sehr sympathisch, wie sehr er in dieser »The Dome«-Welt nicht klarkommt. Er will ja sogar Georgina aufs Maul hauen. Und das soll dann alpha sein, hahaha.
Kunze: Irgendwie schimmert da manchmal auch so ein bisschen durch, dass er hin und wieder über sich selbst schmunzeln muss. Mit seinem übrigens sehr attraktiven Lächeln.
Aigner: Ja, ich finde es auch zum Kotzen wie er immer pädagogisch vor 180 Karren gespannt wird. Und wie einfach es in Deutschland immer noch ist, mit ganz normalem QB-Meets-Tempelhof-Habitus BILD-Zeitungsleser zu erschrecken. Voll süß, so naiv waren die Amis das letzte mal 1992 bei »Cop Killer«.
Kunze: Deswegen finde ich das auch gut, dass Bushido das jetzt so überzogen rausballert. Vor allem immer auf dieser Reality-Soap-Schiene; mit Namedropping hier, Namedropping da…
Aigner: …wie klug er da die Sensationsgeilheit bedient.
Kunze: Allein, wenn man sich die Tracklist anschaut, ist das ja echt so das Einmaleins von Wie-Verstöre-Ich-Tante-Hiltrude.
Aigner: Klar und innerhalb der ersten 8 Zeilen Maischberger-Bukkake und Wowereit-Lines.
Kunze: Trotzdem: »asozial und primitiv«, wie er über sich selbst rappt, ist das halt eigentlich nicht.
Aigner: Nein, das ist alles so gut durchdekliniert; diese RTL-Welt. Und er macht sich einen Riesenspaß daraus, mit Dschihad-Bart und Kraftmeierei die »Generation Gartenzwerg« zu verängstigen. Ich finde das gut!
Kunze: Jep, ich auch. Eigentlich eine denkbar einfache Kontra-Position. Auch so Sätze, wie »ich war der erste Kanake auf der Viva-Couch«. Das kommt alles so geil nach dem Motto: Ey, ich habe doch eure ganze RTL-Welt schon infiltriert, ich war da, habe alles mitgenommen und jetzt bin ich der Staatsfeind Nummer 1. Äktschen, Äktschen, Äktschen! Sagt vor allem auch was über unser Land aus, dass dieses Album noch so hohe Wellen schlägt.

»Er macht sich einen Riesenspaß daraus, mit Dschihad-Bart und Kraftmeierei die »Generation Gartenzwerg« zu verängstigen.«

Florian Aigner
Aigner: Bei uns hat es ja aber auch funktioniert. Ich erinnere mich noch daran, wie unsere erste Reaktion auf den Kenneth-Track war: Scheiße, der ist am Arsch jetzt. Der kann nicht mehr vor die Tür, dieser Kay. – Also ohne das jetzt soziokulturell zu sehr zu überhöhen: Das ist so deutsch, wie einfach und wirkungsvoll man da mit den Parametern spielen kann. Wie Bushido zum Beispiel auf »Crackdealer Sound« wieder alles bedient: Baghdad statt St. Tropez, Wettbüro-Hängen. Da machen sich Papa Steuerberater und Mama Bioladen halt wirklich noch Sorgen, dass der kleine Leon auf die falsche Spur gerät.
Kunze: Wenn wir ehrlich sind, gefällt uns dieses Album doch vor allem aus Schadenfreude!
Aigner: Inwiefern?
Kunze: Weil wir die, die Bushido hier verschrecken will, auslachen, weil es Bushido gelingt. Weil wir auch gegen die meisten seiner Feindbilder sind.
Aigner: Ich mag das aber auch einfach, weil es konsequent amerikanisch ist, aber wissend darum, dass konsequent amerikanisch in Deutschland so krass anders rezipiert wird.
Kunze: Ja: Gut und Böse. Und man schlägt sich als Hörer hier auf die Seite des Bösen. Er wird als Hauptfigur eingeführt, als Ritter einer Minderheit und man folgt ihm. Weil es Spaß macht auf der Seite der Zündschnur zu stehen, von der aus angezündet wird und dann kichernd der Explosion zuzuschauen. Das ist doch das Album!
Aigner: Stimmt. Da hab ich noch nie drüber nachgedacht, trotz der zahllosen »Scarface«-Referenzen. Eigentlich offensichtlich.
Kunze: Man sollte aber vielleicht auch feststellen, dass hier teilweise über das Ziel hinausgeschossen wird und das stellenweise sehr daneben ist. Eigentlich sind das plumpe Provokationen. Manchmal aber auch solche, die furchtbare, ›real-historische‹ Geschehnisse in so ein Actionfilm-Licht rücken.
Aigner: Ich genieße es halt so krass im Alltag Bushido nicht zu reflektieren und als Blockbuster-Kino in der Bahn zu pumpen, gerade weil er so viel reflektiert wird.
Kunze: Aber einfach ›Schockvokabeln‹ wie Pakistan und Massengrab an irgendwelche Punchlines zu hängen… also nö!
Aigner: Ja, klar, wenn man da streng ist, ist das stellenweise erschreckend dämlich.

»Aber einfach ›Schockvokabeln‹ wie Pakistan und Massengrab an irgendwelche Punchlines zu hängen… also nö!«

Philipp Kunze
Kunze: Findest du das eigentlich auch witzig, dass er jetzt auf dem Album plötzlich zu »John Wayne« wird?
Aigner: Jap, vor allem weil er genau checkt, womit er da wieder spielt.
Kunze: Platzt normalerweise mit erigiertem Penis auf einem Kamel sitzend in den Bundestag und jetzt reitet er plötzlich dem Sonnenuntergang in Texas entgegen?? Oder was meinst du?
Aigner: Naja, ist halt so ein klassisches »isch nimm dir alles weg!«-Statement. Ikonen vereinnahmen.
Kunze: Poooh, also mehr ein Übergriff, statt eines unreflektierten Überlaufes – spannend!
Aigner: Das ist auf jeden Fall reflektiert. Er ist und bleibt der wirklich clevere Gymnasiast in der Public-Enemy-Pose.
Kunze: Und den braucht es. Das können wir echt ohne wenn und aber festhalten, hm?!
Aigner: Ja, können wir.
Kunze: Wir haben kaum über Musik geredet.
Aigner: Musikalisch finde ich das völlig konsequent. Nervt mich null. Klingt wie damals. Bushido ist auch einfach so ein offensichtlicher Golden-Era-Nostalgiker: das ist alles so dunkel und Hit-los wie ein Cormega-Album aus dem Jahre 1999.
Kunze: Hmm, ja, kantig, konsequent und so. Aber auf Dauer fehlt mir da schon eine gewisse Finesse. So nach fünf Tracks dachte ich schon: Uff, wie lange soll das jetzt noch so weiter gehen. Sein Flow ist halt immer noch so vielseitig, wie meine Körperhaltung beim Verrichten meines Geschäfts: Ich habe genau zwei.
Aigner: Hahahahahahaha! Finde ich aber völlig unproblematisch. Havoc hatte zeitlebens nur einen. Für, sagen wir mal, eindimensionale Weltanschauungen ist das ganz förderlich, dieser holzige Flow.

Kunze: Außerdem, gerade so Tracks wie der absolut lächerliche mit Kollegah und Farid Bang, schwächen die Wirkung des Albums.
Aigner: Ja, das stimmt.
Kunze: Weil das doch wieder nur Punchlinerap ist und gerade mit Kollegah eine Figur reinkommt, die den Entertainmentfaktor deutlicher macht, als es dem Plot des Albums gut tut.
Aigner: Ich glaube als 40-minütige Abrechnung mit deutscher Bigotterie wäre das in der Tat noch effektiver gewesen.