Quantic – Soulful Satisfaction

26.05.2014
Foto:Fabian Saul / © hhv.de mag
Auf seinem neuen Album »Magnetica« als Quantic vereint Will Holland viele Weggefährten der letzten Jahre, die er vor allem in Kolumbien verbracht hat. Wir trafen ihn während seiner Tour zum Interview über Spiritualität, Soul und Sound.

Vor wenigen Monaten zog Will Holland aus Bogota nach New York City und beendete seine Arbeit als Produzent in der kolumbianischen Hauptstadt mit einem Album, das viele Weggefährten seiner Arbeit als Quantic vereint. »Magnetica« schlägt dabei irgendwo zwischen Konzeptalbum und Compilation den Bogen zu seinem Frühwerk und ist ein Rausch der Stile und Rhythmen. Wir trafen ihn während seiner aktuellen Tour zu einem Interview und sprachen über Spiritualität, Soul und die Dekonstruktion von Sounds.

Im Gespräch mit Größen des aktuellen Soul-Revivals sind wir immer wieder auf eine tiefe Religiosität gestoßen. Die Spiritualität dieser Künstler scheint um den Gedanken zu kreisen, dass sie eigentlich nur ein Medium für die Botschaft sind, die sie interpretieren, ihr Leben einhauchen und dass Musik ganz generell größer ist als der menschliche Verstand. Es gibt eine große Demut gegenüber der Musik. Man könnte deine Musik, obwohl du quer durch die Stile gehst, durchaus als »soulful« bezeichnen. Spielt diese Spiritualität auch für dich eine Rolle?
Will Holland: Besonders auf dieser Tour habe ich begonnen zu begreifen, wie temporär meine Arbeit ist. Als ich die Show vorbereitet habe, wollte ich eigentlich gerne ein paar Sachen von »Apricot Morning« [Tru Thoughts, 2002] einbauen, aber bemerkte, dass ich gar nicht mehr die alten Dateien habe. Aus produktionstechnischer Sicht wäre das wichtig gewesen, für die Beats, den Sound generell, aber ich konnte sie einfach nicht finden – ich habe sie nicht mehr. Und dann begriff ich, dass in allem was ich tue, es eigentlich unwichtig ist, dass ich diese Dinge behalte. Meine gesamte Arbeit ist temporär gewesen, ist vorüber und hat vielleicht ein paar Spuren im musikalischen Äther hinterlassen. Nicht mehr. Man trägt etwas zum stetig wachsenden spirituellen Speicher bei. Menschen behandeln Musik wie einen Speicher, an denen sie sich wenden können und aus dem sie eine soulful satisfaction bekommen können.

Spielt der Kontext, in dem die Menschen diese Musik konsumieren, eigentlich eine Rolle während der Produktion?
Will Holland: Manchmal. Aber um ehrlich zu sein, geht es mir meistens darum, eine Aufnahme zu machen, die sich selbst genügt, eine Produktion, die stark genug ist, selbständig zu bestehen. Und dann entwickelt jeder Track ein eigenes Leben, wenn man ihn veröffentlicht. Manchmal werden Lieder groß, von denen ich es nie erwartet hätte. Und die Sachen, die im Radio laufen, sind andere als solche, die sich z.B. ein Stoner in seinem Zimmer reinzieht.

Auf der neuen Platte gibt es viele Verbindungen zu deinen frühen Arbeiten, aber auch eine unglaubliche Vielfalt. Manchmal wirkt es so, als sei jeder Track ein neuer Stil. Hat das mit den vielen verschiedenen Kollaborationen zu tun – mit den Sängern, die du dabei hast?
Will Holland: Vor allem liegt es daran, dass ich mich mit so vielen verschiedenen Dingen beschäftige. Wenn ich eine Phase habe, in der ich viel Reggae höre, dann kann es schon passieren, dass ich einen Reggae-Track mache. Früher, als Kabarett-Musiker, musste man alle Stile beherrschen. Du musstest wissen wie Rock’n’Roll funktioniert, aber auch eine Polka oder ein Ballett verstehen und spielen können. Als Produzent, vor allem im Computerzeitalter, geht es darum, die Stile zu dekonstruieren, um sie zu verstehen.

»Man kann das beste Gitarrensample der Welt haben, aber es geht darum den Prozess hinter dem Sound nachvollziehen zu können. Es ist sonst wie Kochen mit vorgefertigten Zutaten. Du nimmst einen Käse, ohne zu verstehen welche Prozesse diesen Käse zu einem guten Käse gemacht haben.«

Will Holland
Und welchen Einfluss haben die Sänger auf den Track, das Arrangement, die Komposition?
Will Holland: Arrangements waren sehr wichtig auf der Platte, ich hab hier viel hinzugelernt in den letzten Jahren, besonders in der Zusammenarbeit mit verschiedenen kolumbianischen Live-Bands. In der kolumbianischen Musik geht es viel um das Lesen und Schreiben von Musik, um Arrangements. Die Originalität eines Tracks entsteht fast ausschließlich darüber. Mir gefiel dieser Gedanke, dass ein Track eine Reise ist. Elektronische Musik ist ja oft eher loop-basiert und das macht es schwer so einen Gedanken der Reise zu verfolgen, da die Basis eben monoton ist. Und was die Sänger angeht: Meistens ergibt sich das. Es gibt immer eine Geschichte hinter jeder Zusammenarbeit und die beginnt meistens mit einer kleinen Idee, einem Beat, einem Gedanken.

Um all diese Einflüsse zu vereinen, bist du in beidem außergewöhnlich talentiert: In der Arbeit mit Samples und als Instrumentalist. Es gibt wenige Produzenten, die auf diese vielfältigen Fähigkeiten zurückgreifen können. Was bewegt dich dazu Samples anstelle von Live-Instrumentation zu verwenden?
Will Holland: Auf dieser Platte wurde eigentlich alles live eingespielt. Es gibt hier und da ein paar Drumsamples oder Basssamples, aber diese sind auch live eingespielt. Viele Produzenten arbeiten mit Samples oder mit Instrumentalisten, aber sie haben keine Ahnung, wie man diese Sounds macht. Man kann das beste Gitarrensample der Welt haben, aber es geht darum den Prozess hinter dem Sound nachvollziehen zu können. Es ist sonst wie Kochen mit vorgefertigten Zutaten. Du nimmst einen Käse, ohne zu verstehen welche Prozesse diesen Käse zu einem guten Käse gemacht haben. Für mich ist das wichtig, denn es ist oft der Sound der Platten, der spannender ist. Kolumbianische Musik ist oft sehr einfach, aber die Unterschiede liegen in den Feinheiten der Sounds.

Konzeptplatten der jüngeren Popgeschichte hatten meist narrative Konzepte, aber selten stilistische Vielfalt. Auf einer Platte wie etwa »Revolver« von den Beatles ist ja das spannende, dass eigentlich jeder Track einen eigenen Stil hat, das ganze aber gerade deswegen als Konzept im Ganzen funktioniert.
Will Holland: Das war das Spannende an den Beatles und anderen Bands dieser Zeit. Es war immer dieselbe Band, und eigentlich würde das klingen wie vier Typen mit Gitarren. Aber sobald sie sich in dieses production fantasy land begeben haben, konnten sie plötzlich alles kreieren, was sie wollten – und haben das auch getan. Mittlerweile ist das noch einfacher geworden, wir können am Computer Soundlandschaften entwerfen, die wir niemals in der Realität produzieren könnten. Mich interessiert dabei die Idee der Audio-Montage. Ich verwende gerne Vinyl, überspiele es auf Tape und sample das wieder – wirklich multimedial.

Hast du vor wieder zurück nach Kolumbien zu gehen?
Will Holland: Ich bin gerade nach New York City gezogen und werde erst einmal hier bleiben. Ich bin sehr froh hier zu sein. Es ist einer dieser Orte, an denen ich immer absichtlich mein Flugzeug verpasst habe, um noch länger hier sein zu können.