Zwölf Zehner – Mai 2014

04.06.2014
Willkommen im Juni. Doch vorher lassen unsere Kolumnisten vom Dienst den Monat Mai musikalisch Revue passieren und destillieren in ihrer Kolumne Zwölf Zehner die wichtigsten zehn Tracks des Monats.
Der Mai, das ist der letzte Monat vor der sommerlichen Offenbarung, die wirklich ersten heißen Tage des Jahres klingen aus und die Gemütslage tendiert noch mehr gen House Music also ohnehin schon. Aber im Sommer, da kann man sich nicht mit irgendwas zufriedengeben, das müssen schon amtliche Anthems sein. Unser Spezi Max D, der weiß das, auf ihn ist Verlass. Also propagiert er den Sommer mit einem Track, der hoffentlich das Feuer legt für einen Trend, der uns die nächste Zeit über begleiten soll: Jungle House! Nicht lediglich so subtil angedeutet wie in vielen Platten der vergangenen Monate. Nein, Max D geht keine Kompromisse ein. Die Breaks dürfen dann ruhig bockbeinig scheppern. Die Fanfaren pfeifen währenddessen den Spatz von den Dächern und der Bass, ja, der bläst durch das Didgeridoo Richtung Sonnenuntergang. What the fuck, »High Life« ist mal wieder so unglaublich, so eine typische Swimmers-Platte, perfekt für den Sommer, nonchalant wie nonkonform. Man muss den Max einfach so gern haben.

Max Ds »High Life« auf Soundcloud anhören

Zugebenen: schon das Original ist so ein Hit, dass vermutlich sogar ich diese Spuren nicht hätte so anordnen können, dass »I Try To Talk To You« nicht Konsens bleibt. Aber wie stilsicher hier Morgan Geist seine Storm Queen Synths für den Refrain völlig ungeniert auf die Spitze treibt und Vers 1 mit einem minimalistischen Bass/Drum-Korsett noch kraftvoller wirken lässt, ehe in Strophe 2 dann jede Zurückhaltung flöten geht und Hercules & Love Affair auf einmal auf ihrem größten Hit seit »My House«, ach was sag ich, seit »Blind« sitzen, das, ja das ist ganz großer Freudentaumel und kontextuell von Defected bis Grillparty eine absolute Allzweckwaffe. We <3 Morgan.

Hercules & Love Affairs »I Try To Talk To You (Morgan Geist Remix)« auf Soundcloud anhören

Chaos In The CBD
DeLorean Dreams
Hot Haus • 2014 • ab 9.99€
Oh, Danny gönn dir doch mal ein bißchen Tageslicht, geh mit Xosar mal zum Italiener, esst eure Ravioli einmal nicht auf einer Juno und macht eine Soft Rock Platte in eurem Karibik-Urlaub. Das wäre eigentlich das einzige, was Legowelt uns bis jetzt schuldig geblieben ist. In Sachen Techno/House/Electro wird hier immer noch in Akkordarbeit alles abgerissen, proggier als all seine Kollegen, aber auch häufig brachialer, hinterfotziger. All das und noch mehr passiert erneut auch auf »Delorean Dream«, das Legowelt in eine Sci-Fi-Verfolgungsjagd verwandelt, die von Minute zu Minute hektischer wird und nach dem großen Acid-Crash postapokalyptisch ins Jenseits fadet. Ganz groß und wieder mit diesem eher zu erahnenden, als tatsächlich hörbaren fiesen Wolfers-Zwinkern programmiert.

Chaos In The CBDs »DeLorean Dreams (Legowelt By A Light House Remix)« auf Soundcloud anhören

French Montana löst irgendwie immer Mitleid in mir aus. Egal ob er in Chiraq Hoodcredits sammeln geht, mit Diddy sonnenbebrillt anstößt, mit Jalen Rose halbwissend NBA-Gibberish von sich gibt oder sich wie hier über einen Harry Fraud Beat von Jada in Grund und Boden rappen lässt: Er wirkt immer wie ein Fremdkörper, wie das Stuntdouble für den eigentlichen 16er, der an jener Stelle vorgesehen war. Das ist tragisch, aber irgendwie auch knuffig. Und weil Harry Fraud auf »88 Coupés« endlich mal wieder seine Tru School’ismen richtig portioniert hat, wirkt das auch gar nicht mal so hüftsteif wie über ein Young Chop Snare-Gemetzel. Nun gut, zumindest bis Jadakiss, der alte Raptor, keifend und spuckend alles in Stücke reißt und man sich mal wieder die Frage stellen darf, ob Jay-to-the-Mmmhwa der beste Feature-Rapper der Geschichte ist.

French Montanas & Jadakiss’ »88 Coupes« auf Youtube anhören

John Roberts
Ausio EP
Dial • 2014 • ab 4.99€
Hat John Roberts auf seinem ewigen Trip bei Gui Borratos Familie in Brasilien überwintert oder wie dürfen wir uns diese neue Hymnenhaftigkeit erklären? Melodien konnte Roberts zwar schon immer, aber kaum ein Track Roberts’ hatte einen derart undistanzierten, ungebrochenen Impetus auch große Tanzböden zu bedienen. Natürlich lässt er sich dafür erstmal staatsmännische zweieinhalb Minuten Zeit, aber dann klingt »Ausio« ein bisschen so, als würden sich Ame mit Oni Ayhun zusammentun um Gui Borratos ungenierteste Momente zu remixen, insbesondere wenn Roberts nach guten fünfeinhalb Minuten die eigene Verkopftheit kurz einholt und all die Schönheit kurz mit Glitches in der Matrix bekämpft wird, ehe Roberts doch wieder loslassen kann und dem Flur nochmal zwei Minuten Glückseligkeit gönnt.

John Roberts’ »Ausio« auf Soundcloud anhören

Blood Orange (Dev Hynes aka Lightspeed Champion of Test Icicles)
Uncle Ace Remixes
Domino • 2014 • ab 10.99€
Ein bißchen Leid kann einem Robert Owens hier schon tun. Man wird irgendwie das Gefühl nicht los, dass diese postmodernen Zyniker Blood Orange und Kindness den großen Mister der House-Music mehr als Token, denn als genuinen Gesangspartner geladen haben, um Kindness’ kein Disco-Klischee scheuende Neubearbeitung um ein Meta-Statement reicher zu machen. Das zumindest ist die Assoziationskette, bevor Kindness einen fetten Slap-Bass vorausschickt, um gefühlstechnisch direkt vorzufühlen, ehe der Altmeister sparsam aber äußerst beeindruckend Seele in diese ganzen desillusionierten Normcore-Pin-Ups haucht. Klar ist das auch äußerst eitel, aber auch auf eine sehr verschwitzte Art und Weise geil.

Blood Oranges »ACE (Kindness Remix)« auf Tape.TV anhören

Gerry Read
Socialize
Fourth Wave • 2014 • ab 8.44€
Das hätte ich von Gerry Read jetzt nicht erwartet. Legt er doch sonst gerne richtig viel Wumms in die Instrumentalisierung, dreht das Disco-Sample gern in den Filteranschlag und boxt die Kick brachial durch den Kompressor. »Charcoal« hingegen ist für seine Verhältnisse geradezu grazil. Warme Chords legen sich über eine verspielte, unglaublich catchy eingespielte Bassline, die ununterbrochen im Zentrum bleibt, während sich die filigranen Hi-Hats und das kurze Vocalsample nebst kleiner Effekt dezent um diesen verführerischen Groove winden. Diese Bassline. Das ist die richtige Richtung, liegt doch die Vermutung nahe, dass Gerry Read sich mit seinem ewig währenden wie sich stets wiederholenden Prinzip bald ein Eigentor schießt. »Charcoal«, Vorsicht Wortwitz, holt jetzt die Kohlen aus dem Feuer. Und nochmal: diese Bassline!

Gerry Reads »Charcoal« auf Spotify anhören

»Trap Back« beginnt mit einer tumben Gilbert Arenas Punchline, die in ähnlicher Form bereits dutzendfach geschrieben wurde, und endet mit einem Oralsex-Teekesselchen (Head/Cold/Beanie), für das sich selbst Farid Bang zu schade wäre, aber ich kann mir nicht helfen: 2 Chainz ist zumindest für mich eine der unterhaltsamsten Kuriositäten des Rapspiels. Mit so viel Verve und Hingabe wünscht er sich hier über einen erstaunlich sperrigen Beat die gute alte Zeit im Drecksloch zurück, nur um drei Zeilen später zu berichten, dass seine Olle jetzt in London shoppen geht und dafür viel Liebe hat. Sinn möge der finden, für den sowas 2014 noch eine Rolle spielt, ich unterlege damit dann mal den nächsten Einmarsch der neuen Volkshelden aus Costa Rica.

2 Chainz ‘»Trap Back« auf Youtube anhören

Ein House-Techno-Hybrid-Killer im Monat für die Zwölf Zehner, das muss auch im Mai schon drin sein. Hier hält Anthony Naples die Stellung mit einer neuen Platte für The Trilogy Tapes, der auf »More Problem« genau dort anknüpft, wo Daywalker+CF im Vormonat die Spitzenposition an sich riss. Nun gut, ganz so viel Euphorie wie »Supersonic Transport« kann »More Problem« nicht transportieren. Nichtdestotrotz berauscht sich dieses Gemisch aus fortwährend treibenden Hi-Hats und den mal klaren, mal aus dem Echo wiederkehrenden Klavierstabs nicht nur an sich selbst, es macht auch unmissverständlich klar, an welcher Stelle man diese Platte bitteschön anordnen soll: Peak Time, Peak Time, Peak Time. Und wenn diese prägnant kurzen Akkordfolgen den Endorphinausstoß des Körpers zum Höchstmaß rütteln, setzt Napels der Schelm heimtückisch auf Entschleunigung, nimmt neuen Anlauf und beginnt das Szenario von Neuem. Coming this summer to your favorite club.

Anthony Naples’ »More Problem« auf Soundcloud anhören

Selten trifft der Begriff »Multitalent« so perfekt auf eine Künstlerin zu, wie auf die gebürtige Kanadierin Kiesza (gesprochen: Kaisa): Angehende Ballerina, passionierte Navy-Reservistin, begeisterte Seglerin, hochbegabte Schützin und natürlich Songwriterin und Sängerin. Das spiegelt auch der Lebenslauf der 25-Jährigen wider, die lieber die Weltmeere besegelte und eine Ausbildung zur Scharfschützin ablehnte, um sich dann der Musik zu widmen. Kiesza erhielt daraufhin ein Stipendium am renommierten Berklee College of Music in Boston. Nach einem ausgiebigen Abstecher in der New Yorker Clubszene hat es Kiesza nun nach London verschlagen. Von dort aus erobert sie jetzt die Musikwelt: Mit ihrer Debütsingle “Hideaway” stürmte Kiesza in der 1. Woche auf Platz 1 der UK-Charts! Und liefert das am schnellsten verkaufte Debüt des Jahres ab. Genug im Pressetext. Und wir haben mal wieder nichts mitbekommen. Doch dann nach zu viel Radler auf dem Beat-BBQ sitzen wir bei einem Freund, schwärmen für die vietnamesische Küche auf GustoTV und blenden in der Werbepause über zu MTV, wo Kiesza’s »Hideaway« in uns spontane Assoziationsketten zu Robin S., Gala oder Sophie-Ellis Baxtor weckt. Was für ein Feel-Good-House-Anthem, bei dem lediglich dieser angedeutete EDM-Drop etwas lästig, aber sonst so viel richtig ist! Und sie trägt sogar Knieschoner unter der Jeans, wir mögen sie auf Anhieb. Manchmal können selbst 27 Millionen Youtuber-Views nicht irren. Hach Kiesza.

Kieszas »Hideaway« auf Youtube anhören