Ωracles – Träume eines bunten Haufens

16.10.2014
Foto:Hans Arnold / © hhv.de mag
Hier könnte der Name eines sehr bekannten Musikers stehen. Sollte er aber nicht, denn die fünfköpfige Band Ωracles hat ausreichend Potenzial, um selbst im Fokus zu stehen. Wir haben sie zum Interview getroffen.

Sie sind zu fünft und kommen trotzdem nicht gegen den einen, hageren Typen an. Immer steht er im Weg. In jeder Einleitung zu einem Text über Ωracles selbst. Dabei bietet die Band Anlass genug, direkt mit ihnen in einen Text über sie einzusteigen: Seitdem sich Ωracles Anfang 2013 gründeten, ging alles sehr flott; sie spielen auf Festivals in der ganzen Welt, haben mit »Melt Tonight« einen Sommerhit hingelegt und jetzt ihre starke Debüt EP »Stanford Torus« veröffentlicht. Ωracles schlafwandeln durch einen Sound, der u.a. Disco, Krautrock und Afrobeat miteinbezieht, doch in seinem Kern Gitarrenmusik bleibt. Gute Gitarrenmusik. Die fehlte Deutschland in den letzten Jahren. Fand auch der eingangs erwähnte hagere Typ, der eine Lokomotivführer-Mütze trägt, dessen Arme aber zu dünn sind, als dass er wirklich ein Lokomotivführer sein könnte. Die Rede ist von Pete Doherty, der Ωracles in Hamburg spielen und Rock N Roll aus Deutschland gerettet sah. »They’re shit-hot« sind seine berühmten Worte, die dazu geführt haben, dass ein Text über Ωracles jetzt meist mit Doherty anfängt. Aber auch dazu, dass die internationale Fachpresse die Band aus Berlin/Köln bald im Blick hatte, und sich Ωracles so ungewöhnlich schnell für eine deutsche Newcomer-Band einen Namen gemacht haben.

Ωracles, das sind Niklas, Schlagzeuger und Sprachrohr der Band mit »Prinz Eisenherz-Frisur«. Dennis, Gitarrist und Mann für die Produktionsseite des Musikmachens, der, der »die Sachen auch auf dem Bildschirm positionieren kann«. Nils, der »alles spielt, was bei drei nicht auf dem Baum ist; der Mann fürs Geniale«.

»Wir sind eine Band, die ein bisschen träumen und sich Gedanken machen will, die man gar nicht beantworten kann.«

Joshua, der »Visionär«, der, der als erster wusste, was er mit dem Ωracles-Projekt erreichen will. Und schließlich Hanitra, die im März 2014 als letzte zur Band stieß, eigentlich Geige spielt, bei Ωracles aber die Tasteninstrumente übernimmt und bei der immer ein »sehr gut« davor steht, wenn ihre Bandmitglieder beschreiben, was sie so macht: Tanzen und Singen zum Beispiel. Als Hanitra zur Band stoß, fand sie nach eigener Aussage »einen bunten Haufen an Inspiration und Lautstärke vor«.

Den Kölner Teil dieses Haufens, Niklas, Dennis und Hanitra nämlich, trafen wir an einem regnerischen Abend im Kölner Café Elefant. Ein Gespräch über eine Band, die »ein bisschen träumen und sich Gedanken machen will, die man gar nicht beantworten kann«, wie Dennis das Gefühl, das Ωracles Musik ausstrahlt, treffend zusammenfasst.

Ich stelle mir eure gemeinsamen Aufnahmen als Hühnerhaufen vor, der in einer kleinen Kammer auf Dingen herumschlägt, drückt und streicht. Oder setzt ihr euch direkt mit einem Konzept zusammen?
Dennis: Es kommt darauf an, in welcher Konstellation wir zusammensitzen. Tatsächlich entstehen die meisten Demos alleine oder in Zweierteams. Sobald es drei werden, ist es schwieriger, fokussiert zu bleiben.
Niklas: Ja, selten in kompletter Orchestrierung. Meistens geht es von ein, zwei kleinen Motiven aus, die aus dem Nichts kommen, wenn wir irgendwas anschließen.

Ihr hattet ja alle, bzw. habt noch, auch Erfahrung mit anderen musikalischen Projekten, bei denen weniger Mitglieder dabei sind. Was ist denn der größte Nachteil an einer fünfköpfigen Band?
Dennis: Zeit. Es ist viel schwieriger Zeit zu finden.
Niklas: Und Geld. Ist bei fünf Leuten natürlich was anderes, als in einem Duo oder zu dritt. Die Anfangshürden etwas zu fünft in Vollzeit zu machen, was mit Ωracles inzwischen schon beinahe der Fall ist, ist auf jeden Fall eine höhere. Ja, es sind die beiden Sachen…
Dennis: Zeit und Geld: wie immer!
Hanitra: Und räumliche Distanz. Also Köln – Berlin.
Niklas: Auf jeden Fall, das stimmt. Wir sind im Moment schon auch noch ein ziemliches Logistikunternehmen.

Und das Label sitzt in Hamburg. Ihr habt euch ja am Anfang bewusst nach Plattenlabels im Ausland umgeguckt. Warum ist es jetzt doch ein deutsches geworden?
Dennis: Wir haben uns nach einem Label außerhalb Deutschland nur umgesehen, weil uns keines eingefallen ist, bei dem wir reinpassen würden. Und weil es in Deutschland als Band einfach schwierig ist. Das geht halt vielen Bands aus Übersee ganz anders; die kommen schnell herum. In Deutschland bleibt man eher auf der Strecke.
Niklas: Aber mit Cloud Hills hat es dann einfach geflutscht.

Und jetzt kommen wir halt doch zu Pete Doherty. Der meinte ja, es habe vor euch in Deutschland keinen vernünftigen Rock’n’Roll gegeben.
(alle lachen)
Niklas: Bullshit, man! Ach, Quatsch.
Dennis: Auf keinen Fall! Das liegt wenn dann an der Art und Weise, wie die Bands hier veröffentlicht werden.
Niklas: Ja, und es ist halt ein englischer Blickwinkel. Einer von außerhalb. Wenn du in der Blase unterwegs bist, wo du deine Säulenheiligen wie Morrissey oder Blur hast, dann blickst du notwendigerweise ein bisschen herab. Und da fallen dann ein paar geile deutsche Bands hinten runter.

Die Pete-Doherty-Referenz geht euch inzwischen wahrscheinlich eher auf die Nerven, oder? Es fängt ja kein Artikel über euch mit Ωracles an – sondern immer mit Pete Doherty.
Dennis: Ne, wir sehen das eigentlich realistisch. Das ist halt ein guter journalistischer Aufhänger, der uns aber gar nicht so krass wichtig ist. Wir freuen uns über das, was sich daraus ergeben hat. Und gleichzeitig hoffen wir auch, dass die Leute sich die Musik unabhängig anhören können. Es wäre das schlimmste, die Musik zu hören und die ganze Zeit Pete Doherty zu denken.

CITI:»Okay, dann haben wir den Hipster-Filter doch drauf.«:### Wie habt ihr es eigentlich geschafft, aus all euren verschiedenen musikalischen Visionen diesen Sound zusammenzusetzen, der jetzt so logisch klingt?

Dennis: Es gibt schon eine große Geschmacksüberschneidung zwischen allen von uns. Und die Musik ist letztendlich durch Demos entstanden, die jeder für sich aufgenommen hat und an denen wir dann gemeinsam gearbeitet haben.

Euer Sound fordert es ja nahezu, und auch mit dem Video habt ihr dem nicht gerade entgegen gewirkt, in die Vintage/Retro-Ecke geschoben zu werden.
Hanitra: Ja, das nimmt man mit einem kleinen Augenzwinkern in Kauf. Auf dem Appletree Festival gab es einen Fernsehbeitrag über uns, und da gab es ein Kommentar, »ein Hauch von Woodstock liegt in der Luft«. Und in der nächsten Aufnahme sieht man den Niklas. Seitdem das Video herausgekommen ist, muss man sich halt immer rechtfertigen, dass dieser Filter drauf ist. Obwohl es gar kein Filter war – oder, war doch einfach die Kamera?
Niklas: Ne, ne, war schon alles knallhart digital. War alles Postproduktion.
Hanitra: Okay, dann haben wir den Hipster-Filter doch drauf.
Dennis: Die Siebziger sind für uns ja auch kein Schimpfwort. Es ist nur irgendwie komisch, auf Sachen reduziert zu werden. Wir fühlen uns genauso »Siebziger« wie »2014«. Und es gibt genauso Sachen in den 1980er wie in den 1990er Jahren, die wir feiern.
Niklas: Und klar, man könnte das auch nur, weil ich so eine Frisur habe, so aufziehen, dass man den Leuten »ein Hauch von Woodstock« in Flaschen andrehen möchte. Im Rockabilly deckt man ja so Sachen zum Beispiel absichtlich komplett ab: da ist man zufrieden mit einem Schema, denkt sich, okay, wir machen uns alle die Entenarschfrisur, einer legt sich auf den Kontrabass und dann läuft das. Das ist ein gesetztes Feld an Referenzen, die man abdeckt. Aber um Gottes Willen, da habe ich echt keine Lust drauf. Vielleicht irgendwann mit 60, 70.
(Gelächter)

Ihr seid visuell ja aber auch eine auffällige, extrovertierte Band. Ihr seht aus, wie sich ein 16jähriger eine ›coole‹ Band vorstellen würde. Dann Bilder im Altbau mit einer Katze…
Niklas: …ein ausgestopfter Alligator war es.
(Gelächter)

Ja, genau, ein ausgestopfter Alligator. Dass da der Betrachter schnell die Vorurteile auspackt, braucht euch dann auch nicht zu wundern, oder?
Niklas: Ne. Ich muss auch sagen, dass ich es persönlich an allen Bands, die ich als geschlossene Bands wahrnehme, geil finde, dass die sowohl die Unterschiede einzelner Charaktere einer Band kultivieren, als auch eine geschlossene Gesamtperformance bieten. Ich finde, es sollte nicht zu weit weg von der Mucke gehen – finde es aber geil, wenn man sich Gedanken darüber macht, dass sich eine Band durch alles möglich dem Rezipienten vermittelt.