Paternoster – Erst verkannt, dann teuer verkauft

18.05.2016
Damals interessierte sich kaum jemand für sie. Heute zahlen Menschen 8.000 Euro für ihre Platte: Paternoster waren ihrer Zeit voraus. Jetzt ist die Reissue ihres einzigen Album erschienen.

»Now-Again Reserve« tritt gegen den neuen Heißhunger der Vinylboomer auf Reissue-Fast-Food an. Weg von Masse und Lieblosigkeit, zurück zu Qualität und authentischer Aufbereitung. So ist es Ehrensache, mit der Wiederveröffentlichung des ersten Titels »Paternoster« nicht nur Hörensagen zu vertrauen, sondern die Macher des Prog-Rock-Grals selbst zu Wort kommen zu lassen. Im Auftrag von Now-Again-Betreiber Eothen »Egon« Alapatt, machte Stephan Szillus die verbliebenen Teile der kurzlebigen Band Paternoster in Österreich ausfindig. Als Erster sprach der erfahrene Musikjournalist mit Bandleader Franz Wippel, dem Sohn des verstorbenen Bassisten Haimo Wisser, Drummer Gerhart Walenta und Bandfotograf Kurt Orator über Wien in den Siebzigern, identitären Wandel und alte Freundschaften. Heraus kam die erste exklusiv von Urheberseite autorisierte Reissue einer Schallplatte, die im Originalzustand bis zu fünfstellige Preise erzielt.

1968 war gerade passiert und viele der Andersdenkenden flohen aus ihren Provinzen, um dem konservativen Muff der Altnazis zu entgehen. In den Universitäten und Kunstkommunen debattierten junge Menschen alternative Gesellschaftsmodelle und proklamierten Mut zum Fortschritt. Nächtelang saß man in intellektuellen Clubs und Kneipen des Wiener Untergrunds und sog das Freiheitsgefühl auf, welches die neue Musiken von Pink Floyd oder Procul Harum ausstrahlten. Das verband auch Franz Wippel, Heimo Wisser und Gerhart Walter. Studenten und talentierte Jungmusiker, die es pflegten, ausgiebig zu diskutieren, bevor sie etwas taten. So konnten sie 1971 mit Herbert Holba einen renommierten Kunstfilmregisseur davon überzeugen, für den Stummfilm »Die ersten Tage« einen Soundtrack einspielen zu können, ohne zuvor jemals ein Stück veröffentlicht zu haben.

Wippel und Wisser, der auch eine Nebenrolle im Film übernahm, bezogen das Quodlibet Studio in Wien. »Ein pompöses Aufnahmestudio tief unter der Erde. Gibt’s heute leider nicht mehr«, erklärt Szillus. »Wippel und Wisser improvisierten, während Holba den Film an die Wand projizierte. Daraus entstanden drei lange Suiten. […] Der Film war relativ erfolgreich und lief auf allen großen Filmfestival, Berlinale, Cannes. Dann haben sich einige Leute gefragt, wer die Leute hinter der Musik sind.« ###CITI:Paternoster interessierte nur das Publikum, vor dem sie ohnehin schon immer spielten.:### Ein überraschendes Angebot vom Major-Label CBS Austria folgte. »Irgendein findiger A&R Manager muss gesagt haben: ›Kunstfilm klingt gut. Lass uns mit denen eine Platte machen. Prog-Rock ist gerade das Ding.‹ Und die Jungs dachten sich: ›Krass, wenn die uns nochmal das Studio klar machen könnten.‹‹ Damals ein Studio dieser Art zu mieten kostete Unsummen.« Und tatsächlich: Die beiden unterzeichneten einen Vertrag, und bekamen daraufhin für für zwei Tage das Studio inklusive Toningenieur Frank Neumann gestellt, »der mit dieser Art von Musik überhaupt nichts anzufangen wusste.«

Am 9. und 10. März 1972 nahmen Paternoster unter der Leitung von Jerry Rosen das selbstbetitelte Album auf. Doch der gegenseitige Respekt fehlte. »CBS stellte ihnen einen Produzenten, der während der zweitägigen Session nur draußen saß und Whiskey trank. […] Die [Mitglieder der Band] haben die Songs nur gemacht, um dem Label zu gefallen. Eigentlich wollten sie immer wie ihre großen Helden Soft Machine strukturlose Musik spielen. Darum auch der Soundtrack. Als sie ins Studio gingen, dachten sie: ›Wenn wir dem Label 20-minütige Stücke abliefern, schmeißen sie uns raus. Besser wir versuchen, kompakte Songs zu schreiben.‹«

Man hatte also einen betrunkenen Produzenten – und noch keinen Drummer. Und die Suche gestaltete sich schwierig, die Band sah in Wien kein Schlagzeuger, der ihnen gewachsen wäre. Sechs oder sieben kamen zur Probe, die meisten überstanden nicht mal die erste. Szillus erklärt: »[Die drei] waren unglaublich anspruchsvolle Leute. Auch, weil sie so gut waren. Wisser gehörte zu den talentiertesten Musikern Österreichs dieser Zeit und darüber hinaus.«
Hard Walenta machte schließlich das Rennen. Ein notwendiges Übel, denn hatte auch er weniger Interesse an progressiven Ideen. Am Ende war er der letzte der zur Band kam und der erste, der wieder ging.

Das Projekt floppte. Denn kaum einer kannte die Band. Zirka 270 Einheiten verließen lediglich die Verkaufsregale. Dazu Szillus: »Sie waren zu weit vorne für den Rest der Wiener. Das war das Schicksal der Band. Das große Drama der Popmusik. Wie viele Alben, die man im Nachhinein als Klassiker ansieht, sind zunächst gefloppt?«

Die Wiederveröffentlichung von »Paternoster« ist auch die Geschichte einer unverstandenen Kunst. Die Band rebellierte gegen erzkonservative Zustände zu, während Wippels Hammond-Orgel anti-kirchliche Zynik predigte. Melancholisch-teilnahmslos besangen sie lebensüberdrüßige Umstände und Beobachtungen ihres unmittelbaren Umfelds. Die meisten taten das damals naserümpfend als Art-Rock ab. Paternoster interessierte nur das Publikum, vor dem sie ohnehin schon immer spielten. »Für die Gigs vor 50 trippenden Leuten in der Camera [ein Club in Wien, in dem die Band häufig verkehrte; Anm.d.Red], denen eh alles egal war, machten sie es nicht lang.« Folgeauftritte blieben aus und jeder musste schauen, wie er seine Miete zahlen konnte. Irgendwann verlief sich der studentische Idealismus. Franz Wippel kommentierte es ganz wienerisch: »ausgeronnen«.

Walenta war längst weg, nun verließ auch Walter die Band, um ein Architekturstudium aufzunehmen. Für die Arbeit an der Reissue war Walter nicht zu ermitteln. Mittlerweile besteht allerdings Kontakt. Nur Wisser und Wippel wahrten bis zum 25. April 1998 eine tiefe Verbindung. An diesem Datum nahm sich Wisser das Leben, er hatte unter schweren Psychosen gelitten. Sein Freitot war ein großer Schock, die Reissue für seinen Sohn Thomas auch deshalb eine Herausforderung, weil die Arbeit an ihr diesen Tag im April 98 immer wieder zurückholte.

»Die ganze Band und Platte wurde immer nur retrospektiv entdeckt. Wellen der Begeisterung kommen aber immer schon seit den Achzigern. Immer wieder kamen welche, die sagten, dass das eigentlich ganz gut sei. Die Anerkennung kam von Auskennerzirkeln. Die zweite Welle kam, als Hans Pokora sein Buch »1001 Record Collector Dreams« schrieb und darin dem Album die Höchstwertung gab. Plus Sonderauszeichnung. Darauf sind Sammler total durchgedreht. Das merkten auch Wippel und Co., weil sie häufig auf ihren privaten Telefonen von Sammlern angerufen wurden, ob sie noch Platten zuhause hätten.«

Wippel hat noch eine oder zwei. Die letzte Originalkopie ging weg im September 2015 – für rund 8000 Dollar.