Jahresrückblick 2016 – Top 50 Reissues

15.12.2016
Wir hatten in diesem Jahr mehr Schwierigkeiten uns auf die essentiellen Reissues festzulegen als auf die besten Neuerscheinungen. So viel teures Wishlist-Material wurde dieses Jahr wiederveröffentlicht. Aber hier ist sie nun: unsere Top 50.
Es ist kein Geheimnis: die Re-Saturnisierung von Vinyl habt ihr primär euren Vätern zu verdanken, die sich dort zwischen lebensgroßem Andreas Bourani-Pappmaché und Ich+Ich-»Best-Ofs« immerhin noch einigermaßen geschmackssicher zum achten Mal »Beggar’s Banquet« kaufen und gleichzeitig dafür sorgen, dass euer auf 22 Stück limitiertes Calypsodronewavebliphouse-Whitelabel erst 2022 einen Termin im Presswerk bekommen hat.

Doch bei all dem First World-Gejammer über Record Store Day-Ungerechtigkeiten und der Fetischisierung von Vinyl als Deko-Gegenstand: so viele gute und jahrelang gewunschlistete Reissues wie 2016 gab es noch nie, vor allem nicht aus der sogenannten Peripherie. Alleine aus Afrika und Asien hätten wir locker 50 essentielle Platten nennen können, die in diesem Jahr wiederveröffentlicht wurden.

So fielen am Ende auf Grund dieser Obergrenze dutzende Platten unter den Tisch, die ihr eurem Vater mitbestellen solltet. Die verbliebenen wurden aber im patentierten wutdemokratischen Verfahren redaktionsintern als absolut unverzichtbar deklariert und in alphabetische Reihenfolge gebracht.

Abdou El Omari
Nuits D'Éte
Radio Martiko • 1976 • ab 19.99€
Wie viele exotische Orgeln brauche ich noch? Das darf man sich schon mal fragen, wenn die Reissues aus Afrika mal wieder Geld- und Jutebeutel zu sprengen drohen. Die Antwort können wir nicht in aller Endgültigkeit geben, nur so viel: die hier brauchst du. Abdou El Omaris »Nuits d’Été« kommt mit mehr Staub, mehr Percussions und mehr Vocals als der Rest. Philipp Kunze

Aged In Harmony
You're A Melody
Melodies International • 2016 • ab 25.99€
Ja, ja, Floatie wieder. Lässt auf seinem Reissue-Label lieber drei Siebenzoller für fast 30 Euro pressen, anstatt alles bequem auf eine Platte zu packen. Wer sich bei Aged in Harmonys »You’re A Melody« allerdings vong Geldbeutel und Bequemlichkeit leiten lässt, verpasst was. Zum einen natürlich den Themesong der Floating Points’schen Party-Reihe, aber auch eine wunderschöne Soulballade gen Ende. Florian Aigner

Arthur Verocai
Arthur Verocai
Mr Bongo • 1972 • ab 22.99€
Arthur Verocais selbstbetiteltes Debüt ist sowas wie »The Redeemer« unter den Reissues: jeder kennt es, jeder findet es geil, und trotzdem schmückt sich jeder gerne damit so von wegen Distinktionsmerkmal, so von wegen Ich hab’ Geschmack! Was hier auf nur knapp 30 Minuten passiert, ist aber auch von vorne bis hinten fantastisch. Instrumente, Genres, ein Album, das die ganze Zeit spielt, ohne dass man als Hörer dabei je abgeschüttelt würde. Philipp Kunze

Autechre
Amber
Warp • 1994 • ab 29.99€
Die heilige Trias der Post-Techno-Ära revisited. Bevor Autechre sich großen Quatschigkeiten und zu viel Weed hingaben, kanalisierten Rob Brown und Sean Booth auf »Incunabula«, »Amber« und »Tri Repetae« die Enttäuschungen der ravenden Gesellschaft in düsterschwangeren Tönen, die trotzdem kräftig strahlten. Am grellsten auf »Amber«, diesem sich morphenden Poem über die Limitierungslosigkeit von Dub Techno. Es braucht eben doch nicht immer eine fünfstündige Platte für maximalen Transzendenzgewinn. Kristoffer Cornils

The Beach Boys
Pet Sounds 200g Vinyl Stereo Edition
Analogue Productions • 1966 • ab 44.99€
Wenn ein Song selbst durch ein BBC-All-Stars-Cast nicht zerstört werden kann und ein Album nach dem tausendsten Reissue nach Verstreichen eines halben Jahrzehnts (!) immer noch willkommen ist, müssen sich seine Macher weder um die Rentenvorsorge noch den Nachruhm Sorgen machen. »Pet Sounds« von The Beach Boys ist mehr als die auf Bach-Niveau verzahnte Schönheit von »God Only Knows« oder das cutesy Cover. Es bleibt ein definitives Meisterwerk vom Anfang der Popgeschichte, dessen Geschichte immer wieder neu erzählt und doch nie erschöpft wurde. Kristoffer Cornils

Becker / Stegman / Zeumer
Ich Träume So Leise Von Dir
Music From Memory • 2016 • ab 13.99€
Okay, den unangenehmen Slap Bass mussten wir ignorieren und auch über die traurige Tatsache hinwegsehen, dass es ein niederländisches Label, Music From Memory, brauchte, um diese Perle von Becker / Stegman / Zeumer aus Wuppertal aus den Archiven zu fischen. Instrumentals, die wie Porzellan-Delphine und geleckte Einhörner vor einem pinken Sonnenuntergang schimmern, und dazu Lyrik von Isabel Zeumer, die nach Aschenbecher und Lippenstift klingt, der sich schon mit Rotwein vollgesogen hat. Philipp Kunze

Bohren & Der Club Of Gore
Sunset Mission
Pias • 2000 • ab 31.99€
Die beste Jazz-Unterhaltung diesseits von Helge Schneider liefern immer noch Bohren & Der Club Of Gore. Große und vor allem betörend lange Gesten aus dem Geiste von Badalementis Grabgesängen, eine »Sunset Mission« ohne Wiederkehr. Wenn Traurigkeit in Verzweiflung umschlägt, hilft nur grotesk zu werden, sagte der Dichter Alfred Lichtenstein mal. So klingt die Musik dazu. Kristoffer Cornils

Boris
Pink Deluxe Box Set
Sargent House • 2005 • ab 44.99€
Es gab Zeiten, in denen waren Boris besser als Musik an sich und »Pink« entstand genau in dieser Phase. Die Amps auf eleven, die Füße auf beiden Seiten des Bühnenrands und die Zunge wedelte in der Zugluft. Dazwischen Gitarrenflächen, die das vermutlich effektivste Heroin-Surrogat nach Methadon anboten oder Feedback-Noise, der die Tapete von den Wänden kratzte. Boris konnten damals alles und haben deswegen in rund 70 Minuten mal einfach alles gemacht. Unerreicht geblieben sind sie außerdem, ausdrücklich auch von sich selbst. Kristoffer Cornils

Caroline K
Now Wait For Last Year
Blackest Ever Black • 2016 • ab 33.99€
Dreiunddreißigkommaperiodedrei Prozent Krautrock-Sensibilität, dreiunddreißigkommaperiodedrei Prozent Industrial-Attitude, dreiunddreißigkommaperiodedrei Prozent reinster Eigensinn: Caroline K hat als (Ko-)Produzentin eine ganze Menge Alben zu dem gemacht, was sie heute sind und bis zu ihrem Tod im Jahr 2008 doch nur ein einziges selbst aufgenommen. »Now Wait For Last Year« wurde dieses Jahr von Blackest Ever Black und Klanggalerie – die es 2013 bereits auf CD gebrannt hatten – auf Vinyl geschnitten. Die denkbar sinnigsten Abschussrampen für diesen High-End-Depressionssound zwischen Weltflucht und -schmerz. Auf subtile und dauerhafte Art überwältigend, dieses Album. Ach so, der mikroskopische Rest übrigens ist reine Seele. Kristoffer Cornils

Chayell
It's Never Too Hot
Isle Of Jura • 2016 • ab 8.99€
Mal wieder eine dieser Singles, die erst von DJ Harvey für den Reissue-Markt interessant gemacht werden mussten. Chayells »It’s Never Too Hot« ist verschleppter Tropical New Beat aus – natürlich – Belgien, wie gemacht für einen Tolouse Low Trax Remix auf der großartigen B-Seite und das volle Balearen-Programm auf der A. Florian Aigner

Claude Rodap & Fregate Orchestra
Syn-Ka
Granit • 1982 • ab 21.99€
Wem dieses von der unfehlbaren Invisible City Crew getragenen Soca- und Zouk-Revival manchmal zu wenig Kanten hatte, für den könnte Claude Rodaps »Syn-Ka« ein guter Ausgangspunkt sein. Nicht zu käsig, viel tropischer Fusion Funk, aber eben auch diese unverschämt leichtfüßigen karibischen Zupfgitarren und Hängematten-Feels, für alle, die dem offensichtlichen aus Prinzip nicht trauen. Florian Aigner

The Cosmic Jokers
The Cosmic Jokers Blue Vinyl Edition
Klimt • 1974 • ab 19.99€
Manuel Göttsching (Ash Ra Tempel), Klaus Schulze (Tangerine Dream), Jürgen Dollase und Harald Grosskopf (beide Wallenstein), alle bei Produzent Dieter Dirks am jammen, LSD soll’s auch gegeben haben. Mehr braucht man eigentlich nicht zu wissen, um eine Ahnung davon zu bekommen, was auf »The Cosmic Jokers« abgeht. Philipp Kunze

Count Ossie & The Mystic Revelation Of Rastafari
Grounation
Dub Store • 2016 • ab 34.99€
Zum Halbjahr hatten wir noch die andere Count Ossie gelistet, jetzt ist es »Grounation«. Aber es trifft dieselbe Beschreibung zu: Mantrischer Gesang, Niyabinghi-Trommeln, dort ein Bläser, hier ein Örgelchen, mit seinen jazzigen Anleihen absolut revolutionär für den damaligen Reggae. Platte auflegen, Unkraut jähten, und hier und da eine Pause machen, um den »most high« anzubeten. Philipp Kunze

Dashiell Hedayat
Obsolete
Replica • 1971 • ab 19.99€
Gong-ifizierter Psych-Folk mit Gainsbourgismen aus dem Jahr 1971, das Hippietum gerade noch so mitnehmend, aber schon allerhand weltliche Probleme spürend? Wir sind unten mit dir, Dashiell. Nicht nur weil Hunee neulich auf allen Kanälen multiple Orgasmen protokollierte als er »Long Song for Zelda« von Dashiell Heydayats letztem Album, »Obsolete«, entdeckte. Florian Aigner

DJ Screw
3 N The Morning 20th Anniversary
So South • 2016 • ab 33.99€
Ein Traum von mir: ich hänge mit Z-RO und irgendwelchen anderen Schnupfen-Boys auf DJ Screws Couch (no Danish design) ab und zocke Playstation. Screw geht wie immer mit Schlüssel schlafen und wacht zwei Tage nicht auf (Codein), weshalb die Schnupfen-Posse und ich eingesperrt bleiben und unseren Magen zwei Tage mit Chips zumüllen und unsere Seele mit heißen Playstation-Spielen. »3 in Da Morning« zu hören, kommt der Realisation dieses Traums noch am nächsten. Gab’s als Kassette, gab’s als CD, gibt’s jetzt endlich auch auf LP. Philipp Kunze

Dubsuite
Eigenleben
Ornaments • 2016 • ab 14.44€
Mit dem Release-Titel ist im Grunde schon alles gesagt, mit dem Projektnamen dann noch viel mehr. Dub als Suite, die in alle Richtungen treibt, sich wie eine mutierende KI am klanglichen Spektrum entlang morpht. »Eigenleben« wird zwar in der Vinyl-Versionen in zwei Hälften geschieden, der Dubsuite von Holger Flinsch und Martin Müller tat aber selbst das keinen großen Schaden an. Das würde der Algorithmus spielen, wenn du ihm das Wort »Klangfetischismus« diktiertest. Kristoffer Cornils

Gas
Box
Kompakt • 2016 • ab 139.99€
Anders als die Jamaika-Sehnsüchtler von Basic Channel beziehungsweise Rhythm & Sound waren die Voigt Bros schon immer regional orientiert, sei es nun als Kölsche Frohnaturen oder Verwalter der deutschen Spätromantik. Wolfgang Voigts Gas-Projekt mit einer – kurz Luft holen – fucking 10-fach-LP-Box in den Himmel zu heben respektive sie dort zu beerdigen ist zwar knallerhaft idiotisch, letztlich aber die einzig logische Konsequenz eines Werks, das Ambient, Dub, Wagner und Techno mit einer Stringenz zusammen führte, die jahrhundertlang für sich stehen wird. Und sei’s auch nur, weil niemand jemals wieder so bescheuert sein wird. Never change, Wölfi. Kristoffer Cornils

Giuliano Sorgini
Zoo Folle
Four Flies • 1974 • ab 25.99€
Giuliano Sorgini hat viele Soundtracks gemacht, kaum einer scheint aber mit so viel Herzblut und getrieben von irren Ideen entstanden zu sein wie »Zoo Folle«, einem 1974 erschienenen wenig beachteten Plädoyer gegen Tierquälerei und generell mehr Geilness auf dem Planeten. »Jazz-Flute-Madness« steht hierzu auf Discogs, ach und ein Median von 523.67€. Normal. Florian Aigner

Herber Rückschlag für zu spät gekommene Hosonoisten: natürlich war dessen 1978 erschienenes »Cochin Moon« auch 2016 wieder im Handumdrehen verschwunden und ohnehin nur in Japan zu beziehen. Das nervt, denn wer Hosono nur als Mitglied des Yellow Magic Orchestras kennt, bekommt hier im Minutentakt WTFs vorgesetzt: Indien als Inspirationsquelle zitierend, ist »Cochin Moon« weniger Futurismus denn akademisch verkleideter Klassik-Kitsch in der einen, verkopfter, aber groovender Proto-Warp-Rock in der anderen Sekunde. Meieieilenstein. Florian Aigner

Iannis Xenakis lernte während der griechischen Studentenaufstände hören, danach wurde er eigentlich nur zunehmend brutaler. »Legend d’Ér« agiert so dermaßen nah an der Unhörbarkeit, dass es alle Noise- und Industrial-Stränge nicht nur vorwegnahm, sondern geradezu überflüssig machte. Stochastische Angriffe aufs Trommelfell, please don’t try this at home. Da klingt selbst die domestizierte Version noch wie ein Angriff auf alle Knotenpunkte des Nervenzentrums. Kristoffer Cornils

J Dilla
Donuts 10th Anniversary Gatefold Edition
Stones Throw • 2016 • ab 25.99€
Überflüssig, überhaupt noch etwas über J Dillas große Nahtodarbeiten zu schreiben. Begnügen wir uns also damit: Seine »Donuts« wecken gerade wegen ihrer Unvollständigkeit ein Verlangen nach mehr und sind dennoch selbst zehn Jahre danach noch so meilenweit voraus, dass immer nur der Respin bleiben wird. Dilla forever. Kristoffer Cornils

Jose Mauro
Obnoxius
Far Out • 2016 • ab 30.99€
Vom Militär verschleppt, in einem Verkehrsunfalls ums Leben gekommen, viel ist nicht bekannt über José Mauro. Zwei Alben gibt es von ihm, wobei das zweite, »A Viagem Das Horas« Outtakes vom ersten enthält. Dieses erste heißt »Obnoxious«. Ein rebellisches Album, ein Album, mit dem sich der junge Mauro aufgelehnt hat. Und das nicht so klingt. Stattdessen: schwerelose Arrangements, Rasseln, Streicher, kleine Geräusche, orchestraler Pomp und Intimität; die pure Leichtigkeit, Grashalm kauen und Frauen nachgucken, aber alles unter gewitterdunklem Himmel. Philipp Kunze

Lena Platonos
Sun Masks
Dark Entries • 1984 • ab 21.99€
Zwischen all dem semigeilen Liebhaberkomplettierungsquatsch auf Josh Cheons Dark Entries-Label brillierte in diesem Jahr Lena Platonos’ »Μάσκες Ηλίου« alias »Sun Masks« mit unprätentiösem Avantgarde-Anspruch, der keineswegs im Griechenland des Jahres 1984 zu vermuten gewesen wäre. Da Vangelis allerdings zu der Zeit schon in London die Knöpfe schrubbte, nahm Platonos ein Album auf, das zwischen surrealer Poesie und elektronischem Geblubber mit 808-Taktung den perfekten Kompromiss fand und sich erstes seiner Zunft nennen durfte. Kristoffer Kornils

Mabrak
Drum Talk
Dug Out • 2015 • ab 16.99€
Nach der Reissue von Dadawahs »Peace And Love« ist Mabraks »Drum Talk« die nächste essentielle Reggae-Neuauflage von Dug Out. Dubbig, hölzern, ätherisch; Musik, um nackt zu sein und die Natur als heilige Mutter zu verstehen. Philipp Kunze

A Tribe Called Quest
We Got It From Here … Thank You For Your Service
Sony • 2016 • ab 26.99€
Madlibs Können als Beatbastler und Something-Of-Everything-Konducta wird sich auf Ewigkeiten mit Geistesbruder J Dilla messen müssen, seine »Shades Of Blue« indes steht in Sachen Jazz-Worship-durch-die-Hip-Hop-Brille immer noch allein da. So sehr er vielleicht auch an der Coffeetablisierung dieses Ansatzes durch Ninja Tune und allem voran so ironielosen Bleichgesichtern wie Bonobo Mitschuld trägt: Madlibs Blue Note-Cut-Up ist in geschmacklicher Hinsicht weiterhin über jede epigonale Vergewolllüstigung erhaben. Kristoffer Cornils

Manuel Göttsching
E2-E4 (2016 - 35th Anniversary Edition)
MG.Art • 1984 • ab 23.99€
Manuel Göttschings »E2-E4« ist der definitive missing link zwischen Steve-Reich-Minimalimus und Carl Craigs Detroit-Träumereien, eine merkwürdige Anomalie der Jam-Session-Geschichte obendrein. An einem Tag und quasi in einem Rutsch nahm der Ash Ra Tempel-Gitarrist ein Album auf, das selbst zu seinem 35-jährigen Jubiläum im Jahr 2016 irgendwas zwischen Tanzbegierden und Reflex-Munchies evozierte. Eine Platte, die nicht nur wichtig geworden, sondern auch geil geblieben ist. Kristoffer Cornils

Noel Ellis
Noel Ellis
Light In The Attic • 1983 • ab 27.99€
Fragen zu Noel Ellis selbstbetiteltem Album aus dem Jahre 1983 beantwortet direkt das Intro. Ein großer Reggae-Song, hymnisch und trotzdem mit einer mysteriösen Beschwertheit, die man selten so hört auf den etlichen Selassie-Anbetungs-Songs. Philipp Kunze

Marijata
Pat Thomas Introduces Marijata
Academy • 1976 • ab 32.99€
### Wer den Blog Voodoo-Funk verfolgt, der hat seit fünf Jahren Anlass, die Reissue von »Pat Thomas introduces Marijata« aus dem Jahre 1976 zu erwarten. Jetzt ist sie endlich da, die Neuauflage eines Albums, das nur so von Power strotzt. Grimmiger Funk, karibische Upfliftment-Vibes und durchaus auch Pop-Allüren. Peace-Zeichen treffen auf geballte Fäuste, Treibenlassen auf vorpreschende musikalische Wucht. Philipp Kunze

Philippe Chany
Rive Gauche
Dark Entries • 1983 • ab 21.99€
Was ich vor »Rive Gauche« nicht wusste: Das Einzige, was David Byrne für mich noch unantastbarer gemacht hätte, wäre eine echte Discoplatte gewesen. Auf Französisch. Glücklicherweise hat das Philippe Chany bereits 1983 erkannt. Florian Aigner

A Tribe Called Quest
We Got It From Here … Thank You For Your Service
Sony • 2016 • ab 26.99€
Dub, Post-Punk, New Wave, leck’ mich am Fiedel, das ist so allmächtig, so groß, so dunkel, so einnehmend, gerade »Albatross« ist ein ess-en-tielles Stück Musik. Wer kein Bock, kein Geld, und kein Platz hat, sich eine Metallbox zu kaufen, der ist mit PILs »Second Edition« im Gatefold-Cover bestens bedient. Sollte man besitzen jedenfalls, in irgendeiner gottverdammten Form. Philipp Kunze

Pink Floyd
Ummagumma
Pink Floyd • 1969 • ab 50.99€
Wenn schon die Presswerke mit weithin erhältlichen Platten verstopfen, dann zumindest mühsam neu gemasterte Pink Floyd-Alben aus ihrer Prä-Stadion-Mid-Barfuß-Phase. Die geilste davon ist ohne Frage das Live-Album »Ummagumma«, deren Overall-Brontalität sowohl auf dem Front- wie auf dem Back-Cover schon genug bewiesen wäre und zuzüglich mit »Set The Controls For The Heart Of The Sun« die beste Live-Version des besten je von LCD Soundsystem zitierten Song ever bietet. Preis naja, Leistung ja. Wenn du nicht bereits, dann musst du jetzt. Kristoffer Cornils

Plaza Hotel
Bewegliche Ziele
Notes On A Journey • 1983 • ab 13.99€
Gescrewter Post-Punk mit DAF- und Can-Beteiligung? Plaza Hotels »Bewegliche Ziele« ist quasi das inoffizielle Salon des Amateurs-Testimonial und jetzt endlich wieder erhältlich. Bitte immer mindestens auf -8 spielen. Florian Aigner

Raja Zahr
Drums Of Lebanon
Fortuna • 1980 • ab 15.99€
Erster Gedanke zu Raja Zahrs »Drums Of Lebanon«: Geil, endlich eine Platte bei der man brünftige Tanzflurbewegungen als ekstatisches Schlangenbeschwörungsritual verkaufen kann. 1980, Libanon, Flöten-Madness und Drum-Geklöppel, Schranz für Menschen mit String-Regalen. Und da dachte ich kurz, ich hätte schon alles gehört. Florian Aigner

Rolf Trostel
Two Faces
Bureau B • 1982 • ab 17.99€
Im ersten Moment dürfte »Two Faces« vor allem durch »It Is War In Europe« auffallen, einem von Samo DJ editierten und in John Talabots sehr bekannter DJ Kicks verewigten, elegischen Stück, das hinter all der vordergründigen dystopischen Verstimmung elegant barockes Handwerk mit Cut-Up-Techniken verbindet. Dabei ist auch der Rest von »Two Faces« eine Offenbarung, von den beiden anderen Rolf Trostel-Alben, die ebenfalls über Bureau B wiederveröffentlicht wurden, ganz zu schweigen. Florian Aigner

Sir Waziri Oshomah & His Traditional Sound Makers
Volume 3
Superfly • 1980 • ab 22.99€
Selten jemanden gehört, der Highlife so zurückhaltend denkt wie Sir Waziri Oshomah & His Traditional Sound Makers. »Volume 3« war ein spätes aber ein großes Highlight dieses Jahr. Vier Stücke bloß, alle geil, alle ähnlich, komplett durchhörbar, einmal, zweimal, dreimal am Stück. Philipp Kunze

Hareton Salvanini
SP73
Mr Bongo • 2016 • ab 22.99€
Wieder Brasilien, wieder unfassbar musikalisch. Als »A lesser-known Arthur Verocai« bepressetextet Mr. Bongo Harteon Salvanini, Grund genug sich die Finger hiernach zu lecken. »S.P./73« ist ein wunderschönes Album, grobkörnig, vignettiert, kleinkammrig und großartig arrangiert. Philipp Kunze

Sexedelic
Sexedelic
Wah Wah • 1971 • ab 23.99€
Ein typischer Jess Franco-Moment: nichts passiert, nichts passierte, nichts wird je passieren, und trotzdem zoomt die Kamera dramatisch zum Close-Up auf ein, meistens weibliches, Gesicht. »Sexedelic« und »Psychedelic Dance Party« sind Manfred Hübler and Siegfried Schwabs Soundtracks zu einem solchen Moment bzw. Musik, die in gleich drei 70er B-Movies des Kultregisseurs verwendet wurde: »Vampyros Lesbos«, »The Devil Came From Akasava«, »She Killed In Ecstasy«. Weirder, unangepasster und manchmal auch unhörbares und lächerliches Zeug, mit den entsprechenden Bildern im Kopf. Wichtiges Material aber. Philipp Kunze

Shadow
Sweet Sweet Dreams
Analog Africa • 2016 • ab 21.99€
Bald ist nichts mehr übrig auf meiner Wunschliste, so wahnwitzig wie sich die Spirale gerade dreht. Als nächstes also Shadow und »Sweet Sweet Dreams«, eine legendär teure Soca-Platte, deren größter Hit »Let’s Get It Together« zwar oft genug in Edit- oder Bootleg-Form bezogen werden konnte, aber weil hier mitgedacht wurde, kompensiert man das einfach, in dem mit »D’Hardest« gleich der nächste Beta-Unblocker für Record Fairer als Bonus Track inkludiert wurde. Irre. Florian Aigner

Source Direct
The Crane
Function • 2016 • ab 11.99€
Zwischen all den Retro-Breaks und Metalheadz-Revivals (big up, Goldie MBE!) des Jahres 2016 sorgte(n) Source Direct per 20-Jahres-Jubiläums-Auflage für Atemwegsverengungen bei all denjenigen, die neben zwei Ohren und einem Herz auch paranoide Wahnvorstellungen vorweisen können. Wichtig allein schon weilwegen Drum’n’Bass darf nicht den Erstsemesterpartys für Agrarwissenschaftler überlassen werden. »The Crane« ist das Wappentier im Kampf gegen die Egalwerdung eines ganzen Genres. Kristoffer Cornils

Susumu Yakota
Sakura
Leaf • 2000 • ab 29.99€
Dass nach dem traurigen Tod Susumu Yokotas im letzten Jahr in diesem die Presswerke den Betroffenheitskaufbedürfnissen zuarbeiten würden: leider vorhersehbar, leider überfällig. »Sakura« ist ein barockes Eklektro-Ambient-Album aus der Sakamoto-Schule für gefühlige Understatement-Genies, eine Platte also, die den Groschen langsam sacken lässt, idealer Weise an teeverhangenen Sonntagnachmittagen mit Platzregen vor den bejalousienten Fensterscheiben. Kristoffer Cornils

Suzanne Ciani
Buchla Concerts 1975
Finders Keepers • 2016 • ab 20.99€
Diodendiva Suzanne Ciani gewann in diesem Jahr ein One-Way-Ticket aus dem Obskuritätenkabinett der Musikgeschichte, das sie direkt ins Scheinwerferlicht der Frickelcommunity katapultierte. Bonuspunkte gab es einerseits für die spulige Kollaboration mit der eigenen Erbverwalterin Kaitlyn Aurelia Smith und andererseits für die Neuauflage der »Buchla Concerts 1975«, mit welcher Ciani lässig mit 40 Jahren Abstand alle Fetischpraktiker der Bleep’n’Blop-Szene auf die letzte Bank zum Nachsitzen verwies. Kristoffer Cornils

The System
The System EP
Music From Memory • 2016 • ab 14.99€
In einer gerechteren Welt ist »Almost Grown« so groß wie »It’s My Life«, »Don’t You Want Me« oder »Close To Me« und The System verlangen 2016 auf ihrer fünften Reunion-Tour sportliche 95 Euro pro Stehplatz. Warum es anders lief, erklären vielleicht die anderen Songs auf dieser EP, ebenfalls großartig, aber so verschroben, dass dieses Stück 80s-Pop-Historie vor diesem Jahr nur im Red Light Records / Music From Memory-Umfeld kanonisiert wurde. Zumindest für uns gerade noch rechtzeitig. Florian Aigner

Telefon Tel Aviv
Fahrenheit Fair Enough
Ghostly International • 2001 • ab 25.99€
Wenige Album aus der Digitalisierungsfrühphase um die Jahrtausendwende klingen heutzutage noch ernsthaft ernstnehmbar, »Fahrenheit Fair Enough« allerdings macht die Ausnahme. Als musikalischer mixed bag zwischen Post-Rock-Vibes, Post-IDM-Geklöppel und flirrenden Shoegaze-Reminiszenzen mit voll authentischem Gitarrengeklimper ist Telefon Tel Avivs Erstling auch ein verstorbenes Gründungsmitglied und 15 Jahre später erneut eine Wohltat angesichts der Bosheit der Welt. Kristoffer Cornils

Terrence Dixon
From The Far Future
Tresor • 2010 • ab 21.99€
Terrence Dixon verabschiedete sich vor Jahren per Facebook-Post vom Musikbusiness und hustelte in den Folgejahren wieder so hart wie eh und je, soll heißen härter als die meisten anderen aus The D. Die Neuauflage seiner Debüt-LP »Far From The Future« zeigte eine fast vergessene und weniger verbissene Seite Dixons, der damals schon im Loop einen Ersatzgott gefunden und noch nicht alle Hoffnung verloren hatte. Ein bouncendes, bockiges Biest, voller Liebe für das Kommende. Genie ist eben auch nur Tragik in Spiegelschrift. Kristoffer Cornils

This Heat
Deceit
Modern Classics • 1981 • ab 30.99€
Die großen Verstörungstheoretiker in den Zeiten nach Punk waren nicht die glatt gebürsteten Mancunians von Joy Division, sondern die trockenen fresh outta art school Londoner von This Heat. Während mit deren selbstbetitelten Album sowie Drummer Charles Bullens Lifetones-Projekt noch andere Feinheiten der zerstörungslüsternen Post-Punk-Ära griffbereit gemacht wurden, ist die Neuauflage von »Deceit« die eindringlichste Erinnerung daran, dass This Heat auch 35 Jahre später immer noch Lichtjahre voraus sind. Kristoffer Cornils

V.O.
Mashisa
Invisible City Editions • 2016 • ab 20.99€
Ich hätte ja gerne Kunzes Gesicht gesehen, als er gezwungen wurde für diese Liste in V.O.s »Mashisha« reinzuhören. Kontextbefreit und ohne DJ-Set-Einbettung schmeckt die – nach »Disco Illusion« vielleicht bisher am hysterischsten erwartete Invisible City Platte – vermutlich tatsächlich wie Baklava in Red Bull aufgelöst. Keiner aber dieser gefühlt hundert launigen tropischen Boogie-Dinger konnte dieses Jahr im richtigen Moment eine glückliche in eine selige Crowd verwandeln wie dieser südafrikanische Fund aus dem Jahr 1990. Florian Aigner

Vivien Goldman
Resolutionary
Staubgold • 2016 • ab 27.99€
Zeitgleich zu den Kollegen This Heat (siehe oben) brachte Vivien Goldman Punk mit Dub zusammen, wie es zu dieser Zeit kaum andere schaffen. Ihre Musikkarriere ließ sich nach »Launderette« unbegreiflicher Weise hinter sich und konzentrierte sich stattdessen aufs Schreiben oder darauf, mit den geilsten Menschen des Universums herumzuhängen oder nebenbei Beinahenamensvetterin Westwood in Sachen Outfit zurück auf die Erstsemesterparty zu schicken. Geilheit wird auf der Vivien Goldman-Skala gemessen und neben »Resolutionary« tummelte sich wenig über der Nullergrenze. Kristoffer Cornils

Derweil das letzte Mariah-Album 2016 in die dritte und letzte Neuauflagenrunde ging und die Welt immer noch gespannt auf ein angedeutetes Reissue von Midori Takadas »Through The Looking-Glass« wartet, wurde aus derselben Suppe neben Aragons selbstbetitelter LP zumindest Yasuaki Shimizus »Kakashi« verfügbar gemacht, wenngleich auch nur für kurze Zeit. Ein Meisterwerk im Konjunktiv: Hätte, würde, könnte, sollte eigentlich auf dem Curriculum jedes ehrbaren Bildungssystems ganz oben stehen. Dennoch ist das hier Musik, die niemals irgendwer hätte erfinden können – und die trotzdem genauso passiert ist. Kristoffer Cornils

Yishak Banjaw
Love Songs Volume 2
Teranga Beat • 2016 • ab 26.99€
Obacht! Bevor hier jemand den inneren Jürgen Elsässer in sich entdeckt und irgendwas von wegen nicht noch ein äthiopisches Casio-Dudel-Album nölt: »Love Sounds Vol.2« ist anders. Also ok, eigentlich nicht wirklich, aber weil Yishak Banjav diese 1986 eingespielten One Takes auch mit dezenten synthetischen Drums vermengt, ist der vom Pressetext sinngemäß zusammengesponnene imagine Hailu Mergia doing Cold Wave – Quatsch gar nicht so absurd wie angenommen. Florian Aigner

Zyx
Trust No Woman
Dark Entries • 1981 • ab 24.99€
Es bleibt unmöglich, Dark Entries-Komplettist zu sein und gleichzeitig noch einer geregelten Arbeit und/oder einem gesunden Sozialleben nachzugehen, aber manchmal wird diese Nachlässigkeit auch bestraft. So hätten wir beinahe ZYX’ »Trust No Woman« übersehen, eines der besten Wave-Alben, die dort bisher wiederveröffentlicht wurden und das auch dank seines dadaistischen Charmes und rhythmischen Minimalismus’ vollkommen zeitlos klingt. Ach ja und entspannt euch: der Titeltrack ist Kunscht, nicht Proto-Breitbart. Florian Aigner