New Record Labels #31 – Avian, Comb & Razor, Dizzy Tunes, Sahel Sounds

Jeden Monat stellen wir euch Labels vor, die neu bei uns im Shop vertreten sind und/oder deren Entdeckung sich lohnt. Die Auserwählten diesmal: Avian, Dizzy Tunes, Comb & Razor, Sahel Sounds
(http://www.hhv.de/shop/de/musik/alle/label:avian]) Avian ist ein 2011 vom Produzenten und DJ Shifted alias Guy Alexander Brewer gegründetes Plattenlabel aus Berlin. Als Brewer im Jahr 2011 auf Luke Slaters Label Mote-Evolver debütierte, wussten innerhalb der Techno-Szene nur wenige Eingeweihte, dass sich dahinter das Mitglied der Metalheadz-Alumni Commix verbarg. Shifted wandte sich Leftfield-Techno zu und ließ seine Drum’n’Bass-Vergangenheit weitgehend hinter sich, im April desselben Jahres startete er Avian. Ein im Grunde unbekannter Künstler bringt sein eigenes Label an den Start – ist das nicht riskant? Vielleicht, gesteht Brewer, aber 2011 sahen die Dinge noch anders aus. »Wir hatten noch nicht den Punkt der Übersättigung erreicht«, sagt er. »Dieser DIY-Ansatz war damals noch recht verbreitet.«_

Avian sollte zuerst als Abschussrampe für seinen hochfrequenten Output dienen, öffnete sich aber zügig für andere Artists wie das schwedische Duo SHXCXCHCXSH und dem Briten Truss, der über Avian unter seinem MPIA3-Pseudonym veröffentlichte. Genau das sieht Brewer in Avian: Eine Plattform, auf der etablierte Produzenten abseitige Pfade betreten können und nicht allein für den Dancefloor produzieren müssen. »Ich bin sehr stolz darauf, dass Leute wie Alessandro Cortini oder Blawan mir das Vertrauen schenkten, ihren Nebenprojekten eine Heimat zu bieten«, erklärt Brewer. Zurecht, denn wer auf Avian veröffentlicht, kehrt meistens auch wieder und nimmt sich alle kreativen Freiheiten. Ebenso Brewer, der auch Kollaborationsprojekte und Material unter anderen Pseudonymen veröffentlicht oder schnelllebigeSublabels an den Start bringt. »Ich bin ein typischer Zwilling«, scherzt Brewer hinsichtlich seines Sternzeichens. »Wenn die Dinge sich nicht weiterentwickeln, langweile ich mich schnell.«

So ist es auch zu erklären, dass die Mira-Serie mit eindrücklichen Artworks von Juan Mendez und Releases von Bleaching Agent oder Prostitutes nach nur zehn Katalognummern ihr Ende fand. Die mal spartanischen und monochromen, mal dunkelbunt und andeutungsreichen Designs der Avian-Platten allerdings tragen ebenso zum Wiedererkennungswert bei wie die atmosphärische Dichte, welche Avian-Releases vom schillernden Ambient-Album bis zur polternden Techno-Single eint. Brewer schätzt die Nähe von Techno zur bildenden Kunst und versucht aktiv neben seiner musikalischen auch seine visuellen Vorstellungen in sein Label einfließen zu lassen, indem er von der Fotorecherche bis hin zur Kassettenversion von ausgewählten Releases einen Mehrwert anzubieten versucht. Es ist nicht mehr 2011 und mittlerweile wissen alle, wer hinter dem Pseudonym Shifted steckt. Und der weiß ganz genau, was er mit Avian vor hat. KC

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(https://www.hhv.de/shop/en/comb-razor-sound-vinyl-cd-tape/i:D2L27929N4S6U9]) Comb & Razor ist ein amerikanisches Plattenlabel aus Boston, das 2011 von Uchenna Ikonne gegründet wurde. Das Label ist spezialisiert auf Reissues und Compilations westafrikanischer Musik. Comb & Razor begann als Blog den Ikonne zwischen 2006 und 2009 intensiv betrieb. In der damals florierenden Rapidshare-Blogosphäre begann er, Rips von westafrikanischen Platten zu posten, »aber ich war bei weitem nicht der einzige. Es gab viele ähnliche Blogs, doch ich glaube, was mich hervorhob war die Menge an Kontext, die ich der Musik geben konnte. Für mich waren das nicht nur staubige Plastikscheiben, viele von ihnen waren der Soundtrack meiner Kindheit. Also versuchte ich mithilfe meiner verschwommenen Erinnerungen die Musik in den Vordergrund zu stellen und die Geschichten der Künstler und ihres Einflusses auf die Gesellschaft zu erzählen«. Trotzdem war Ikonne unzufrieden mit seiner Arbeit: »Da ich einer der Wenigen war, die die Geschichte dieser Musik aktiv dokumentierten, fühlte ich mich verpflichtet, das ganze präziser anzugehen und mich nicht auf 30 Jahre alte Erinnerungen zu verlassen. Also ging ich eine Weile nach Nigeria, machte Künstler ausfindig und hörte mir ihre Geschichten an.«_

Durch seine Arbeit vor Ort wurde Ikonne auch von einigen Reissue-Labels kontaktiert, denen er bei Compilations half – »Tracks lizensieren, rare Fotos finden, Liner Notes schreiben, all sowas«. Ikonne half unter anderem bei Releases wie »Wake Up! The Rise And Fall of Nigerian Rock« oder »Doing it in Lagos« mit. Während seiner Zeit in Nigeria, begann er auch mit der Arbeit an seinem eigenen Label, welches er 2011 der gefeierten Compilation »Brand New Wayo« einläutete – und eine bis heute währende Begeisterung für nigerianischen Boogie und Disco gleich mit.

Auf Comb & Razor sind über die Jahre nur eine handvoll Compilations und Alben veröffentlicht worden, auch weil Ikonne hohe Ansprüche an seine Releases stellt: _»Ich mache kaum Reissues kompletter Alben, aber wenn man das machen möchte, sollte man es mit einem Album machen, das mindestens aus 70% guten Tracks besteht. Und mit guten Tracks meine ich, dass sie funky sind und ein westliches Publikum ansprechen – welches einen sehr anderen Geschmack hat, als das originale afrikanische Publikum«, erklärt Ikonne. Allzu lange wird der Historiker und Autor allerdings keine Platten mehr pressen. »Auf Comb & Razor werden noch ein paar Releases erscheinen, aber ich werde nicht mehr ewig im Reissue-Business weitermachen. Ich muss meine Energien auf Anderes konzentrieren«._

NF

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(https://www.hhv.de/shop/en/dizzy-tunes-electronic-dance/i:D2L41805N93S6U9“]) Dizzy Tunes ist ein deutsches Schallplattenlabel aus Berlin, das 2014 von Markus Schatz gegründet wurde. Der DJ und Producer ist ein Teil der Partyszene der Hauptstadt, seit er als HipHop-Battle-DJ im Westberlin der Achtziger Jahre aufzulegen begann. Seitdem war er einige Jahre Resident im Tresor und hat sowohl solo als auch in Duos minimalen Techno und Tech-House produziert und gespielt. Das Label Dizzy Tunes widmet Schatz seit nunmehr drei Jahren dem House-Sound Chicagos, der ihn seit Jahrzehnten begeistert.

Anfangs sollte das Label komplett eigenen Produktionen von Schatz unter dem Pseudonym DJ Krime gewidmet sein. Über die mittlerweile 15 Releases öffnete sich Dizzy Tunes allerdings schnell Künstlern, die die Facetten des Chicago-Sounds zwischen Jack-, Acid-, Hip- und Ghetto-House gemeistert hatten. Und was würde da besser passen als aktuelle Produktionen von Artists wie DJ Slugo, Lester Fitzpatrick, Traxman, Drew Sky oder Tyrone Davis, die schon in den Neunzigern House für einflussreiche Labels wie Dance Mania oder Relief Records produziert hatten? Oder Hip-House-Vaterfigur Tyree Cooper, der auf der ersten Veröffentlichung von DJ Krime einen Remix beisteurte. Darüber hinaus bietet das Label neben Schatz selbst auch anderen aktuellen Producern wie Andreas Gehm, Housemeister oder der Snuff Crew eine Plattform, um ihre Leidenschaften für Chicago-Vibes auszuleben.

Subgenres wie Acid- oder Ghetto-House erleben zur Zeit ein Revival und das Interesse am Dance Mania-Sound der späten Achtziger und Neunziger wächst ständig. Doch bei Dizzy Tunes möchte man nichts mit der »profitorientierten Plattenindustrie« gemeinsam haben, »auch wenn der Bekanntheitsgrad in den letzten Jahren rasant gestiegen ist«, erklärt Karina Schatz. »Ohne große Auflagen, Promotion, oder die Absicht damit das große Geld zu verdienen« startete das Label und so läuft es auch heute noch. Jedes Release ist Vinyl-Only und limitiert auf 250 Stück »(No Repress)«. Trotz oder gerade wegen dieser Einstellung erfährt Dizzy Tunes immer mehr Zuspruch. Das liegt auch daran, dass das Label damit angefangen hat, Reissues gesuchter Ghetto-House Klassiker zu veröffentlichen. Viele Originale aus den Neunzigern sind kaum noch zu finden – schon gar nicht in gutem Zustand. Dizzy Tunes ist eines der ersten Labels, das gefragte Spätzünder des Dancefloor-sprengenden Subgenres neu auflegt. Die Nachpressung der »Black Market« EP von DJ Topcat und DJ Danté – die mit dem legendären »I Need Weed In My Life« – von 2016 ist auch schon ausverkauft. Und wie das mit den Represses war wissen wir ja. NF

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(http://www.hhv.de/shop/de/musik/alle/label:sahel-sounds]) Sahel Sounds ist ein 2010 von Christopher Kirkley gegründetes, US-amerikanisches Plattenlabel aus Portland. Wäre Kirkley nicht eines Tages auf eine CD des malischen Gitarristen Afel Boucoum gestoßen, Sahel Sounds hätte es vielleicht so nicht gegeben. »Es hat mich ergriffen, aber auch verwirrt, dass all diese Klänge aus einer Gitarre kommen können«_, erinnert sich der Labelbetreiber und schwärmt von einem reduzierten und doch polyrhythmischen Sound. Weil ihn seine Internetrecherchen nicht weit genug brachten, packte er seine Koffer und besuchte auf eigene Faust die Sahelzone mit einer Gitarre im Gepäck. Das Instrument wurde zum Türöffner in eine Welt, in der sich Kirkley schnell zuhause fühlte. Seine musikalischen Erkundungstouren dokumentierte er in Wort und Ton auf einem Blog, der schnell das Interesse von Eric Isaacson vom Label Mississippi Records aus Portland weckte. Der Grundstein für das Label Sahel Sounds war gelegt.

Musikalisch ist Sahel Sounds immer für eine Überraschung gut. Zwischen traditionellen Musikstilen finden sich hier auch krasse Autotune-Experimente und Klingeltöne – Hauptsache, sie werden lokal hergestellt. Kirkley berichtet von langen Streifzügen durch die Sahelzone und davon, wie er sich vor Tipps über WhatsApp, Facebook sowie Mund-zu-Mund-Propaganda kaum retten kann. »Es geht weniger darum, Musik zu finden«, betont er. Wichtiger sei es, sie zu kuratieren und dem Rest der Welt vorzustellen. Einer rein akademischen Arbeit sieht er sich dabei jedoch nicht verpflichtet, sieht aber schon dessen anthropologischen Nutzen. »Ich will, dass mein Label eine dicht bevölkerte Einrichtung ist, die verschiedene Musiken sichtbar macht, wie es ebenso die Rolle kultureller Stellvertretung respektieren soll.« Das heißt auch, dass Kirkley nicht das zigste Reissue einer obskuren Funk-Platte auf den Markt bringen will, um die Discogs-Preise zu drücken, sondern lieber tiefer nach zeitgenössischen Sounds sucht.

Leicht ist das nicht immer unbedingt, gibt Kirkley zu. Zwar berichtet er einerseits, dass seine Artists den westlichen Sensibilitäten in Hinsicht auf kolonialistische Mechanismen eher mit Verwunderung begegnen: »Der hiesige Kapitalismus ist ziemlich rücksichtslos und die MusikerInnen sind an schlechte Deals gewohnt, weshalb sie ziemlich gewiefte Business-Leute sind«. Doch ist gerade die faire Abdeckung der kulturellen Diversität der Sahelzone etwas, das ihm Kopfzerbrechen bereitet. Bei Sahel Sounds erscheinen viele Platten von Tuareg-KünstlerInnen, weil er sich vor allem in deren Radius bewegt. Kirkleys erklärtes Hauptziel ist es aber, vom Coverdesign bis in die Breite des Gesamtkatalogs hinein ein ganzheitliches musikalisches Bild der Sahelzone zu zeichnen, das alle Eigenarten der hiesigen Musikszenen angemessen repräsentiert. Kaum zu glauben, dass all das mit einer einzigen CD angefangen hat. KC

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