Kuhzart kümmert’s – Was darf Hafti?

16.11.14
Wie sagte Slug von Atmosphere so schön: »Not giving a fuck is so played out mainstream.« Das findet auch unser Autor. Er nimmt sich alles zu Herzen – Kuhzart kümmert‘s. Heute:verherrlicht Haftbefehl in seinem neuen Video Gewalt?

Was darf Kunst? Diese Frage wird dieser Kommentar nicht beantworten. Folgende Frage, die sich Autoren und Facebook-Nutzer stellen, versucht er zu beantworten: Ist das Video zu Haftbefehls »Lass die Affen aus’m Zoo« gewaltverherrlichend, oder nicht?

Die Antwort ist ganz einfach: Nein! – Wenn der Ton ausgeschaltet ist. Hat man den Ton jedoch an, ist »Lass die Affen aus’m Zoo« ein widerliches Stück, das Gewalt glorifiziert bzw. sie rechtfertigt.

Sascha Ehlert verweist in seinem Kommentar für die Juice auf den Videoregisseur Romian Gavras, der in seinen Videos für Justice M.I.A , Jay Z & Kanye West auch stumpfe, rohe Gewalt gezeigt hat. Ein angebrachter Vergleich. Ehlert lobt diese Videos, weil sie dem Zuschauer keine Meinung aufdrängen, sondern ihn zu einem eigenen Schluss kommen lassen würden. Er schließt mit der rhetorischen Frage: Und gilt selbiges nicht am Ende auch für »Lass die Affen aus’m Zoo«?“

Ich habe zuerst wieder nicht gepeilt, dass das nur eine rhetorische Frage war und antworte mit einem eifrigen »Nö«. Natürlich gilt das nicht für Haftbefehls Video. Es ist ein Musikvideo; das heißt, hier gehören Text und Bild zusammen! Und das ist der springende Punkt.

Wäre das ein Stummfilm (ohne Titel!), dann wären das Bilder, die etwas mit dem Betrachter machen. Was sie mit ihm machen, hinge vom Betrachter ab: Wahrscheinlich widern sie ihn an, stoßen ihn ab, vielleicht aber erhitzen sie ihn auch, stacheln ihn an. Da machst du nichts, da ist die Natur des Menschen zu unberechenbar.

Nun fordert der Titel hier aber bereits »Lass die Affen aus dem Zoo«; in den Zeilen will Hafti »die Straße brennen« sehen und »Tote sehen«, fickt Deutschland »in den Hals à la drittes Reich» und freut sich dann abschließend: »hundert Prozent kriminell bis es heißt ›the world is mine‹«. Auf Bildebene werden derweil Köpfe auf den Asphalt getrümmert.

CITI:M.I.A ruft ja in »Born Free« nicht dazu auf, Rothaarige zu töten.:

Der Betrachter darf eigene Schlüsse ziehen? Darf er, klar, wenn er kann. Das Video samt Text aber haben eine klare Aussage und die steht im Imperativ. Es fordert nicht zum Denken, sondern zum Handeln auf. Handeln heißt hier: »Messer in den Arsch«.

M.I.A ruft ja in »Born Free« nicht dazu auf, Rothaarige zu töten. Bei Haftbefehl passen Text und Bild direkt übereinander. Kein Widerspruch, keine Fragestellung, sondern ein eindeutiger Appell.

Text und Video zeigen dem Betrachter also nicht eine schreckliche Welt, zu der er sich positionieren kann. Sie zeigen ihm eine schreckliche Welt und bietet direkt die Lösung an und die heißt »Friss‘ oder stirb!« Survival Of The Fittest und so. Nur betont das Video eben, dass nicht der überlebt, der sozial, intellektuell oder emotional der Fitteste ist, sondern derjenige der in puncto Brachialgewalt am besten ausgebildet ist.

Und wer hört’s? Rapfans. Eine Zielgruppe, deren Mehrheit jugendlich ist. Sie (diese Mehrheit) pubertiert noch, muss sich noch beweisen, will stärker sein und sucht noch seinen Platz in einer Gruppe (Gruppe kann die Schulklasse sein, aber auch das Land, in dem man wohnt). Und vor allem: so ernsthaft über Kunst reflektiert man in dieser Gruppe jetzt nicht zwangsläufig. Man sucht sich Orientierungshilfe.

Die Kamera zeigt Hafti aus der Froschperspektive heraus, zeigt ihn also als Riesen, der in Kapuze im Regen steht. Starker Typ, man kann sich nicht vorstellen, wer’s mit dem aufnehmen kann; zu der Seite will man dazu gehören. Wie das geht? Stark sein, gewinnen, Affen aus dem Zoo lassen. So sieht hier jemand den Haftbefehl, der in seinem Leben nie ein positives Vorbild hatte.

CITI: Wer hat die Verantwortung?:### Das Video zeigt die nackte Gewalt aus der Sicht einer Überwachungskamera im Rotfilter. Nicht in glossy Hollywood-Bildern, nicht mit Jason Statham in der Hauptrolle. Es wirkt also wie es wirken soll: das alles passiert nicht irgendwo, das passiert jeden Tag in der Nachbarschaft. Betroffen davon können wir alle sein, es muss sich etwas ändern. So könnte die Aussage des Bildmaterials lauten. Das wäre super! Da wären alle die entlarvt, die N.W.A für ihre Texte feiern und jetzt Hafti anprangern, weil der halt nicht in Los Angeles bzw. tot ist, sondern verdammt nahe an der eigenen »Lebensrealität dran« ist (vgl. Juice).

Aber so ist’s halt nicht. Denn gemeinsam mit dem Tonmaterial ist die Aussage eine andere.

Eines hat Haftbefehl geschafft, das muss man ihm lassen: Das Thema Gewalt, Rap, Kunst wird mal wieder besprochen, die Frage nach dem Verantwortlichen gestellt. Wer ist dafür verantwortlich, dass reichlich und gründlich reflektiert wird? Der Interpret? Der Empfänger? Dessen Eltern? Die Medien? Gut, dass »Lass Die Affen Aus’m Zoo« so brutal ist, dass wir mal wieder über Erziehung und Bildung reden müssen – Bildung zur Mündigkeit, zum Selbstdenken. Diejenigen, die das (noch) nicht können, die diese Video erreicht, und die das Falsche damit anstellen, denen muss geholfen werden. Zum einen von Baba Hafti, indem er nicht so eine komplett infantile Scheiße veröffentlicht. Zum anderen von den Eltern, Schulen und Medien, indem sie so eine Scheiße nicht einfach stehen lassen.

Und wenn wir am Ende doch noch mal über Kunst reden wollen: Immerhin hat es die hier geschafft, das wir reden müssen. Über Hafti, aber auch über uns. Und das ist der Kunst nicht nur erlaubt, das darf sie sogar gerne erreichen.

Der Satz »so ernsthaft über Kunst reflektiert man in dieser Gruppe jetzt nicht zwangsläufig« wurde vom Autor nachträglich um ein »zwangsläufig« ergänzt.