New Record Labels – Marionette, Nite Owl Diner, Omega Supreme und Postrap

Jeden Monat stellen wir Euch Plattenlabels vor, die neu bei uns im hhv.de Shop vertreten sind und/oder deren Entdeckung sich unbedingt lohnt. Die Auserwählten in diesem Monat: Marionette, Nite Owl Diner, Omega Supreme und Postrap
Marionette ist ein 2013 in Toronto gegründetes, kanadisches Plattenlabel. Der Strippenzieher hinter dem Label möchte anonym bleiben, nennt aber immerhin die Menschen, die ihm bei seiner Arbeit helfen: Den Vertrieb übernimmt Lobster Distribution, das Mastering und Schneiden der Releases Mike Grinser von Dubplates & Mastering und Jake Fried »fügt dem Projekt eine haptische Dimension hinzu«, wie es in einer E-Mail lautet. Es ist genau dieses Artwork, das die Ästhetik von Marionette treffend einfängt: Jake Frieds verspielte, in schwarzweiß gehaltene Illustrationen sorgen für eine Kohärenz, die gleichzeitig auch Alterationen zulässt, wie sie das musikalische Programm von Marionette prägen. Schon der Blick auf die ersten drei Katalognummern offenbart ein disparates Bild: Auf eine seichte Techno-EP des Weimarers Deer folgten umwerfende Modular-Exkursionen des Ungarn Laurine Frost und die elektroakustischen Ambient-Skizzen des Wahlberliners Maxim Wolzyn »Das ist keine Absicht«, lautet die Antwort auf die Frage, warum ein in Kanada ansässiges Label eigentlich nur Musik von europäischen Artists veröffentlicht. »Platten zu sammeln und nach mehr Musik zu diggen, die nicht gepresst wurde, war der Ansporn«_, heißt es da. In der kanadischen Szene würden ebenfalls spannende Dinge passieren.

Pläne für mehr werden nämlich durchaus geschmiedet. »Es geht darum, einen natürlichen Flow zu schaffen und gleichzeitigt auf die Details zu achten. Realistisch zu bleiben in Hinsicht auf die eigene Reichweite und Ziele und dennoch das große Ganze im Auge zu behalten«, sagt die Person hinter Marionette. »Es dreht sich alles um Geduld und Transparenz.« So erklärt sich auch der recht behäbige Fortschritt des Backkatalogs, denn in jedes Release steckt das Ein-Mann-Unternehmen viel Arbeit. »Artists nach Releases zu fragen, ist eine unvorhersehbare und delikate Sache. Schließlich geht es nicht darum, eine Platte fertig zu machen, sondern eine permanente Erinnerung zu schaffen.« Kein Wunder also, dass der Marionette-Gründer die Rolle seines Art Directors so betont, denn dessen Arbeit verleiht den Platten in enger Anlehnung an ihre grundlegenden Konzepte tatsächlich ein denk- und erinnerungswürdiges Äußeres. Einen kleinen Traum erlaubt sich der Marionettenspieler trotzdem: »Es wäre eine große Belohnung, eines Tages eine Marionette-Abteilung in einem verstaubten Plattenladen-Crate zu haben.« Eine bescheidene und definitiv nicht unrealistische Hoffnung. ■ Kristoffer Cornils
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The Nite Owl Diner ist ein 2013 von Chrissy und Alex Burkat in New York gegründetes House-Label aus Chicago. Während sich Chrissy (vormals auch unter den DJ-Pseudonymen Chrissy Murderbot oder Chris E. Pants bekannt) um den Labelalltag kümmert, ist Burkat vor allem an den kreativen Entscheidungen beteiligt. »Alex und ich haben einen sehr unterschiedlichen Geschmack, was House betrifft«, erzählt Chrissy. »Wenn wir also mal einigen können, wissen wir, dass es gut sein muss!« Die beiden verstehen The Nite Owl Diner als Projekt, mit dem sie einerseits in Sachen Gestaltung Spaß haben können und andererseits der US-amerikanischen Clubkultur Tribut zollen können, in der sie aufgewachsen sind. Das heißt vor allem: Chicago. Neben einem Release des Kanadiers Nautiluss sind es Acts wie The Black Madonna, Chrissy und Burkat selbst oder etwa Olin, die den Sound von The Nite Owl Diner prägen, obwohl sich Chrissy und Burkat in New York kennenlernten. Die Attitüde des Geburtsortes der House Music ist The Nite Owl Diner ebenso eingeschrieben: »Wir wollen mit Leuten zusammenarbeiten, mit denen es sich gut aushalten lässt und die unsere Werte teilen – progressiv, feministisch, anti-rassistisch, anti-homophob und so weiter.«_ Kurz gesagt: Wer etwas Allgemeinverstand und die richtigen Tunes mitbringt, kann regional unabhängig Teil der Nite Owl Diner-Clique werden.

Vielleicht allerdings hilft eine Portion Humor noch umso mehr. Allein schon mit Blick auf die offizielle Label-Homepage – ein gefaktes Yelp-Portal – wird klar, dass Chrissy und Burkat zwar ihre Musik, nicht aber sich selbst sehr ernst nehmen. Ein roter Faden, der sich auch durch die Aufmachung der Platten zieht, die unter anderem mit Menükarten des Nite Owl Diners daherkommen. »Was die Aufmachung anbelangt, ist es uns wichtig, etwas zu schaffen, das Spaß macht, skurril wirkt und interessant ist. Denn mal ehrlich, die Leute können unsere Musik genauso gut im Netz klauen, weshalb wir ihnen einen Grund geben möchten, das nicht zu tun. Jedes Release soll für Gesprächsstoff sorgen, das die Leute dazu bringt, die 12" wirklich haben zu wollen.« Klingt kalkuliert, ist aber nur fortschrittlich gedacht. Zumal die beiden ebenso sehr wert darauf legen, es nicht zu übertreiben und ihre Platten zu bezahlbaren Preisen anzubieten. Künstliche Verknappung und andere Kaufanreize sparen sie sich lieber – dazu überwiegt die Liebe zur Musik auch zu sehr. Auf die Frage hin, welches Release für ihn am wichtigsten gewesen sei, antwortet Chrissy nahezu entrüstet: »Das ist wie ein Elternteil nach dem Lieblingskind zu fragen! Ich liebe sie alle!« Das ist eindeutig zu hören. ■ Kristoffer Cornils
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Omega Supreme ist ein 2012 von James Vance gegründetes, US-amerikanisches Label aus Portland. »Die Philosophie ist ganz simpel«, erklärt Vance, der auch als DJ unter dem Namen GWIZSKI aktiv ist. »Die Künstler zu unterstützen, die den Funk in Ehren halten, ihn erhalten, pflegen, damit wir weiter am Narrativ unserer modernen Funk-Fantasien arbeiten können, die sich in unseren Mixtapes weiterschreiben und auf dem Dancefloor bouncen.« Ganz klar: Vance ist Vollblut-Enthusiast, der in Teenager-Zeiten als B-Boy zu Funk und Hip-Hop breakte und vom Funk der 1970er und 1980er Jahre als der Sprache schwärmt, die er immer sprechen wird. »Die Hoffnung und positive Einstellung dieser Ära, entgegen aller Beschwerlichkeiten, das versuche ich immer in mir zu tragen«, sagt er. Ob der zeitgenössische Funk, der unter vielen verschiedenen Schlagworten zusammengefasst wird, nun mit den herkömmlichen analogen oder neuen digitalen Produktionsmitteln entsteht, das spielt für Vance dabei keine Rolle. »Du musst den Funk fühlen, das ist das einzige Ziel.«_

Omega Supreme gründete er angesichts des wachsenden internationalen Austauschs neuer Artists über das Internet, deren Aufnahmen nicht in seinem Plattenregal landeten. Mit der Gründung seines eigenen Labels, das er nach wie vor alleine betreibt und bei dessen visueller Umsetzung ihm die Grafikerin Rebecca Coffman behilflich ist, wollte er das ändern. Es bleibt sein erklärtes Ziel, die gesamte A&R-Arbeit für Omega Supreme weiterhin auf eigene Faust zu betreiben, wie er es schon seit fast 20 Jahren als Beteiligter an der Musikszene der US-amerikanischen Westküste tut. Obwohl die Kontakte zu seinen Acts zumeist übers Internet entstehen und er höchstens die Hälfte davon persönlich getroffen hat, ist ihm der Austausch so wichtig, dass er eigens eine Kassetten-Serie mit Live-Aufnahmen ins Leben gerufen hat, um damit Shows zu finanzieren und so die Menschen zusammenzubringen, die auf Omega Supreme veröffentlichen. Vom Australier Inkswel über die indonesischen Midnight Runners bis hin zur deutschen Band First Touch und US-amerikanischen Acts tummelt sich eine regional sehr disparate Mischung von Menschen unter dem Banner des Begriffs Modern Funk, das Omega Supreme gehisst hat. ■ Kristoffer Cornils
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Postrap ist ein 2010 von Misanthrop, azabeats Epilog, Blank und Omega Takeshi in Süddeutschland gegründetes Rap-Label. Die Vorliebe der Musiker für abseitige Rapklänge und Downbeat-Experimente, wie sie um 2000 aufkamen, hat sie zusammengeführt, als sie sich auf ihren jeweiligen Konzerten trafen. Waren sie bis dahin auf eigene Projekte und Veröffentlichungen konzentriert, realisierten sie mit Postrap nun ihre Idee einer gemeinsamen Plattform: Ein eigenes Label, um Ideen und Kräfte zu bündeln. Power through numbers, aber alles Familie. Postrap verstehen sich als Kollektiv und heben untereinander Projekte mit unterschiedlichem Personal aus der Taufe. Der Katalog ihrer Releases wächst seitdem stetig, manchmal unter Einbezug befreundeter Musiker. Den DIY-Anspruch halten sie dabei immer hoch, innerhalb der kreativen Prozesse geben sie kaum etwas aus der Hand. Die Schallplatten samt Artwork entstehen in ihren Wohnzimmerstudios; Homepage, Booking und Vertrieb betreuen der Würzburger azabeats und der Münchner Misanthrop.

Postrap-Releases sollen zeitlosen Anspruch haben. Vinyl hatte bei ihnen immer Konjunktur, seit 2014 spielt auch das Tape wieder eine Rolle. Es geht ihnen immer um Musik als Ausdruck der Seele – und solche Formate geben ihr einen Körper. »Unsere Musik in dieser Form physisch greifbar zu machen gefällt uns«, erklärt azabeats. »Außerdem die Idee einer LP als abgeschlossene Sinneinheit.« Oft übernimmt er auch das Artwork: »Stimmung, Haltung, Ästhetik der Platte, ihren Geist: Ich versuche, ihn in ein Bild zu packen.« Und der Geist von Postrap selbst? Offenbart sich, so Misanthrop, stets in anderen Formen und Konstellationen. Dass das – je nach aktuellem Hype – mitunter unkonventionelle Früchte trägt, wird eher forciert als vermieden: »Wir sind konsequent darin, nicht konventionell zu ein.«Christian Neubert

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