Review

Holly Herndon

Proto

4AD • 2019

Der Mensch sprach – und die Maschine antwortete. Holly Herndon, amerikanische Komponistin und kreative Visionärin, verschiebt mit ihrem dritten Album »Proto« erneut die Grenzen der Möglichkeiten im Pop. Mit Chor und einer künstlichen Intelligenz entwickelte sie jene dreizehn Songs, die aus dieser Platte ein überforderndes Meisterwerk machen. Ihrem Sound hat Holly Herndon hier wieder so gut wie alles Organische ausgetrieben. Beats, Stimmverzerrer und Effekte bestimmen das Bild. Ein Stück wie »Eternal« bildet da noch den zugänglichsten Moment, der sich zumindest strukturell eher an Konventionen hält. Trotzdem flimmert der Rhythmus, als ob Herndon eine Unmenge an Datenpaketen durch ihn jagt. Für »Alienation« hatte die 39-Jährige mutmaßlich mal einen Refrain, unter dem Monument aus Sound und Noise lassen sich davon aber nur noch rudimentäre Stücke ausmachen. Es bleibt die große Frage dieses Albums: Wie viel Anteil hat eine Künstlerin eigentlich an den Werken einer künstlichen Intelligenz? Herndon gibt (natürlich) keine Antwort. Wozu auch? Sie hat verstanden, dass große Kunst keine Antwort, keine Gewissheit geben muss. Sie muss nur einfach sein. Mit »Proto« schafft sie erneut einen einmaligen Sound, der so im 21. Jahrhundert nicht aufkam, der sich nicht in Nostalgie versenkt. Diese Songs stellen wirkliche Innovation dar, haben einen Ausdruck, haben Originalität. Und ja, Songs wie »Godmother« strengen furchtbar an und fordern heraus. Endlich raus aus der Komfortzone, raus aus dem Bekannten. So klingt das Echo des Pop aus dem Uncanny Valley. Wer hier spricht, ist nebensächlich. Holly Herndon platziert sich mit diesem Album aber als herausragende Künstlerin, als Meisterin der Verstörung und Dissonanz, der Unbequemlichkeit und Visionen. Die Standortbestimmung des Pop klang noch nie so wundervoll und nervenzerfetzend zugleich.