Review

88:Komaflash

Eremiten Im Wohnzimmer

Anette Records • 2019

Moderner Rap kennt drei Säulenheilige: Materialismus, Markennamen und Marketingmoves. Die Crew 88:Komaflash gehört fest zum Rap, indem sie losgelöst von ihnen existiert. Die Kuppel ihrer Manege wölbt sich abseits des selbstdarstellerischen Habitus des Rapzirkus. Ihr selbsterklärter Arbeitnehmerrap hat einfach keinen Bock auf Instafame und dergleichen. Nicht, weil es etwas oder nichts bringt, sondern weil sie Sound und Gefühle körperlich ausleben. Das kann man nicht nur hören und sehen, das spürt man auch. In ihrer 20-jährigen Bandgeschichte veröffentlichten die Münchner neben wenigen EPs und Singles gerade mal drei Alben. Die allerdings ragen als Monolithen empor. Als herausfordernde Bestandsaufnahmen persönlicher Befindlichkeiten, die niemals vergessen dem Status Quo ihrer Umwelt ausgeliefert zu sein und ihn mitzugenerieren. Tracks von 88:Komaflash haben immer ein Anliegen. Die Raps von Omega Takeshi sind nie Selbstzweck, die Beats von Producer Aqua Luminus III. abstrahierter, leidenschaftlich ausgelebter Weltuntergang mit Raum für Hoffnung. Ihre Platten sind wie Filme von Alejandro Jodorowsky: Singulär, surreal, selten – und selten schön. Das gilt für die »Krawattenratten« und die Affen im Kopf ihres Debüts, für das »Blaue Futter« von »Untergang / Wiederaufbau« – und nun auch für die neue LP »Eremiten im Wohnzimmer«. Die elf Tracks sind sperrig und offen, bilden eine dringliche, verdichtete Einheit, ein rundes Ding mit Ecken und Kanten, das den Zähnen der jeweiligen Zeitgeister gleichmutig trotzt. Der Bass fährt etwas weniger tief in den Magen als beim Vorgängeralbum, die kryptisch-greifbaren Texte sind einige Ticken weniger agitativ, die Industrial-Abrissbirne weicht Psychedelica-Verspulung, das gedrosselte Tempo ist gleichermaßen Bedrohung und Zudröhnung, aber ansonsten bleibt alles beim Alten: immer anders, ewig frisch. Die »Eremiten im Wohnzimmer« servieren einen rohen Brocken, an dem man lange zu kauen hat.