Review

Jessy Lanza

All The Time

Hyperdub • 2020

Dünne Stimmen können sehr nervig sein. Schwer zu sagen, wovon das abhängt. Die Kanadierin Jessy Lanza hat jedenfalls ein eher zartes Organ, doch sie nimmt damit für sich ein. Sogar da, wo sie noch einmal kräftig mit Effekten nachhilft. Und das tut sie auf »All The Time« fast, nun, die ganze Zeit. Kaum ein Takt, in dem nicht ein hochgepitchtes Quieken ihren »normalen« Gesang unterbricht oder vielmehr ergänzt. Die Produktionen dazu, wie auf ihren ersten beiden Alben im Austausch mit Jeremy Greenspan von den Junior Boys entstanden, nehmen das Artifizielle und die Möglichkeiten von filigraner elektronischer Zerbrechlichkeit weiter sehr ernst, perfektionieren sie womöglich noch einmal. Auch wenn ihr Debütalbum »Pull My Hair Back« damals schon ziemlich großartig war. Das übertrifft Jessy Lanza diesmal vielleicht nicht, aber sie bündelt ihre Kräfte mit Greenspan zu so auf den Punkt angespitzten R&B-Pop-Nummern, dass man, wie bei »Lick in Heaven«, nicht anders kann, als herumzuwirbeln. Dadurch, dass sie das Künstliche der Machart klar herausstellt, Lanza sich eher zurückhaltend als expressiv artikuliert, wirkt die Musik paradoxerweise authentischer als manche mit denselben Mitteln konstruierte große emotionale Geste. Jessy Lanza nutzt die Technik eben für mehr als kalkulierte Spielerei und landet so bei einer spielerischen Emotionalität. Empfiehlt sich nebenbei als eines der Alben des Jahres.