Review

Anthony Linell

Winter Ashes

Northern Electronics • 2021

Wenn sich die scheidende Kälte des Winters im April mit der anbahnenden Wärme von Frühling und Sommer vereint, scoren die meditativen Synth-Arbeiten Anthony Linells jedes wetterfühlige Gemüt und jede nebelverhangene Umgebung so gekonnt wie kaum etwas anderes im derzeitigen Elektroniksektor Europas. Seit Jahren pendelt der Northern Electronics-Gründer in seinem Œuvre zwischen Acid und Ambient Techno, Dungeon Synth und Drone, während er kurssicher eines der zukunftsträchtigsten Labels Europas leitet und dabei alle Regungen in Richtung Selbstzitate umschifft. Dass »Winter Ashes« keine Deconstructed-Club-Grütze rezitiert, um frisch und zeitgemäß zu klingen, kann demnach kaum überraschen. Stattdessen regieren über knapp 49 Minuten hinweg gedehnte Pads, Soundziselierungen voll klarer Konturen und die anflutenden Endzeitvibes unheilvoller Visionen. Es geht um Klangfarben, nichts anderes. Kein Ejakulat einfältigen DAW-Missbrauchs taucht hier auf und eine fette Promo-Mail gibt es auch nicht. Wer sich in diesen Zeiten tatsächlich Zeit nehmen möchte, um Musik zu entdecken, langsam zu verdauen, mehr als nur über die Dauer eines Streams zu inhalieren, der findet auf »Winter Ashes« zehn gute Gründe, noch mal ein paar Piepen für eine Vinylscheibe zu blechen. Nicht nur ist die Musik blanker Genuss für Freunde hypnotischer, durchweg puristischer, elektronischer Klänge, sondern auch ein zuweilen ominöses Denkmal für die Gegenwart mit all ihren Absurditäten, ihrer scheinbaren Hoffnungslosigkeit und Kälte. Spätestens jetzt ist die Zeit also reif, diesen Typen und sein Label in aller Ausführlichkeit unterm Kopfhörer zu checken.