Review

CHVRCHES

Screen Violence

Glassnote • 2021

Wie erfindet man seinen Synthie-Power-Pop neu, wenn man in erst mal gestreamlined hat? »Screen Violence« ist die albumgewordene Antwort des schottischen Trios Chvrches und verpasst sich zumindest ästhetisch das Korsett eines Konzeptalbums. Ein bisschen Retro, ein bisschen Horror soll es werden. Doch während in der Albummitte das trumphierende »Final Girl« mit eben jenem einfältigen Filmkonzept abrechnet, sind es vielmehr die alltäglichen Schrecken, die Chvrches auf ihrer vierten Longplayer behandeln. Denn Sängerin Lauren Mayberry hat keinen Bock auf Manipulation und Doppelmoral von Männern (»He Said She Said«), will keine scheinheiligen Genderklischees erfüllen (»Good Girls«) und das, ohne sich selbst heilig zu sprechen. Stattdessen gibt sie schon zu Beginn zu »I cheated and I lied / But I meant it when I cried« oder später »I cut my teeth on wеaker men / I won’t apologise again«. Das Korsett ist also längst gesprengt, wenn die ersten Zeilen gesungen sind sind. »Screen Violence« ist kein Horroralbum, es ist das Coming-of-Age-Album einer Band, die sich positioniert und ja, es ist auch ein feministisches Album. Kein neues Motiv für eine Band, die, nachdem kurz nach einer Kollabo mit dem DJ Marshmello, dieser auch einen Song mit Chris Brown machte, diese Verkettung öffentlich kritisierte. Schließlich ist Chris Brown wegen häuslicher Gewalt verurteilt. Der größte Horror ist genau diese Realität. Kein Wunder, dass »Nightmares« dunkle Wolken aufziehen lässt und auch das Klavier in »Lullabies« eher geisterhaft bleibt. Doch Chvrches wehren sich mit Bombast, machen es hymnisch, lernen im Duett mit keinem Geringeren als Robert Smith von The Cure »How Not To Drown« und trotz aller Zweifel, ist da immer wieder Licht zwischen den Wolken – denn »Screen Violence« ist auch ein mutiges Album. Und dafür musste das Trio seinen Synthie-Power-Pop, seine eingängigen Refrains, seine tanzbaren Indie-Disco-Hits nicht mal neu erfinden. Das alles ist noch da und mit der starken Haltung noch viel spannender und vor allem: wichtiger.