Review

Fennesz & Ryuichi Sakamoto

Cendre

Touch • 2021

»Cendre« erschien 2007. Es war das erste Album, das Ryuichi Sakamoto und *[Fennesz](https://www.hhv-mag.com/de/glossareintrag/2145/fennesz) auf Touch veröffentlichen. Eines, das in den Jahren davor entstand, indem der Wiener Christian Fennesz seinem Spezi in New York Gitarrenwellen über den Atlantik faxte – und der Japaner Sakamoto die schwarzen Tasten streichelte, um sie im Rauschen eines 56k-Modems zurück nach Österreich zu morsen. Schließlich gab’s damals noch keine Zoom-Calls, für die man verkrampft in eine Laptopkamera hätte lächeln müssen. Mark Zuckerberg war ein ganz normaler Collegemensch. Und die Verbindung brannte, wenn Post aus Übersee das Postfach verstopfte. Gleichzeitig blieb Zeit zur Kontemplation. Beide arbeiteten getrennt durch vier Zeitzonen an ihren Stücken. Sie öffneten einen Raum, den der andere betreten konnte. Oder sie schlossen ihn ab. Weil die Zeitspanne zwischen Wahrnehmung und Reaktion dazu führte, dass sie verloren ging. »Cendre« ist damit ein Album der fehlenden halben Sekunde. Ein Stück, in dem die Reaktion verrutscht, weil sich trotz der räumlichen Trennung alles zwischen den Zeilen abspielt. Dieser Kollaps des Intervalls, der Moment des Affekts, das Spiel mit der Fernbeziehung, führt zur Entdeckung des Tastsinns. Man kann diese Platte nicht verstehen – keine rationale Erklärung lässt das Zusammentreffen von Piano und Computer als notwendig plausibel erscheinen – man kann sie nur fühlen, sie im Tasten begreifen. Und dadurch berühren.