Review

Helmut Brandt Combo

Berlin Calling

Sonorama • 2013

Seit dem in Erscheinung treten dieser Combo, gab es für den Jazz im Deutschland der Nachkriegszeit keinen wirklichen Bedarf mehr für einen »Mulligan«. Die blauen Noten, die man dieser Scheibe verpasst hat, wurden wohl in der deutschen Hauptstadt geprägt, hätten aber im Newport der Zeit dieselbe Wertigkeit besessen. »Nordlicht« ist der idealer Wegbereiter. Zum warm werden wird hier ein Schwelbrand gelegt, der sich langsam aber sicher seinen Weg bahnt. Die darauf folgende Hommage an Lars Gullin schürt die Glut bis zur Röte, um dann in »Kern‘s Yesterday« in lodernden Flammen auf zu gehen. Und diese werden bis zum Ende geschürt, indem man in gleichen Teilen mit Standards und Eigenkompositionen nach- und drauflegt. Gerade bei letzteren kommt die sehr persönliche Note Brandt‘s zum Tragen. Er begnügte sich nämlich niemals damit, den Jazz als Unterhaltungsmusik zu sehen. Vielmehr verstand er ihn als neue Kunstform und verhalf ihm in unseren Breiten zu eben diesem Status. Manches mal wirkt er einen Tick zu deutsch und kopflastig, was das Hörerlebnis für den wirklichen Interessierten aber umso interessanter macht. Wie es ihm Buche steht kann jeder nachlesen, Brandt hat dieses Nachschlagewerk aber um sein eigenes Kapitel erweitert. Und in diesem swingt er in manchen Songs wie Brew Moore. In anderen heizt er mit Staccato Soli und perkussiven Improvisationen im unteren Register ein, wie das 10 Jahre später Sahib Shihab salonfähig machte. Unscheinbar mit eingewoben ist ein lyrisches Verständnis wie ich es bislang nur bei Esa Pethman gehört habe. Und doch klingt er wie keiner von ihnen. Wir Deutschen sind ja für unsere Gefühlskälte bekannt. Das wir aber auch anders können und konnten zeigt Brandt wie sonst wenige. Mit der heißeste Cool Jazz, den unser Land hervorgebracht hat.