Review

King Crimson

Islands

DGM • 2014

In der einigermaßen vielseitigen Diskographie von King Crimson hat »Islands« meistens die schlechteste Presse bekommen. Warum, ist unklar. 1971 markierte das vierte Studioalbum der Band das Ende der ersten Phase von Robert Fripps Projekt, zugleich war es der Form nach die bis dahin offenste Platte. Mehr als zuvor prägen Jazzmusiker das Geschehen. Mit ganz unterschiedlichen Ergebnissen: »Formentera Lady« kombiniert den fast schon brutal nach vorne gemischten E-Bass von Sänger Boz Burrell und die diskreten Kontrabasstöne des südafrikanischen Jazzbassisten Harry Miller. Mel Collins, damals noch festes Mitglied, soliert darüber an Flöte und Saxofon, als Gäste steuern der Jazz-Pianist Keith Tippett und die Sopranistin Paulina Lucas höchst sensible Passagen bei. Trotz Strophe-und-Refrain-Aufbau mutiert das Stück zunehmend vom poetischen Folksong zum Avantgardejazz-Jam. Wesentlich kompakter dagegen der »Sailor’s Tale« mit dem kontrolliert treibenden Schlagzeug von Ian Williams im 6/4-Takt, den Crimson-typischen Mellotron-Akkorden und einem der besten Gitarrensoli Fripps überhaupt. »The Letters« schildert ein Ehebruchsdrama, wobei die Musik unvermittelt zwischen Ballade und aggressivem Prog Rock hin und her schaltet. »Ladies of the Road«, ein Sammelsurium von Groupie-Zoten, hat zwar nicht den frischesten Witz, dafür aber einen herrlich unschuldslammartigen Refrain, um den etwas behäbig brummenden Blues aufzulockern. »Song of the Gulls« hingegen ist ein klassisch anmutendes Zwischenspiel, das von einer Oboenstimme über Mellotron-Streichern intoniert wird. Das Titelstück schließlich greift die Struktur der ersten Nummer auf, wobei der Trompeter Marc Charig am Ende zum ausgedehnten Solo ansetzen darf. Stilistisch mag das zusammengewürfelt erscheinen, der Dramaturgie von »Islands« schadet es keinesfalls. Vielleicht ist gerade diese Unbekümmertheit in der Wahl der Mittel die besondere Stärke der Platte.