Review

Frank Bretschneider

Sinn + Form

Raster-Noton • 2015

»Crisis? What Crisis?« nennt sich das zweite der acht Stücke auf dieser CD, die uns hier einen neuen Frank Bretschneider vorstellt. Statt »Super.Trigger« (dem Vorgänger von 2013) nun Supertramp (deren 1975er Album so hieß)? Nein, anders. Wir begeben uns nach Stockholm. Seit wenigen Jahren erlaubt das dortige EMS (Elektronmusikstudion) Künstlern unkomplizierten Zugang zu seinen Buchla- und Serge-Systemen. Labelkollegin Kyoka war schon das zweite Mal dort, um sich an den Modularmonstern zu messen, Mark Fells Resultate vaporisieren zur Stunde im Sammlermarkt. Frank Bretschneider aber, wie immer, macht Musik für uns. Das Navigieren ohne Netz eines rhythmischen Rasters im Unwägbaren des Klangstroms, das die Improvisation mit Knöpfen und Kabeln ausmacht: Sinnbild der Zeitläufte zwischen »Free Market« und »Data Mining«. Natürlich ist Frank Bretschneider lange genug dabei, um uns sagen zu können, dass die Krise keine Erfindung des 21.Jahrhunderts ist. Die Sound-Inspirationen verweisen denn auch auf nicht weniger turbulente Zeiten, als in den elektronischen Studios des WDR in Köln, IRCAM in Paris, von Columbia-Princeton in New York oder auch NHK in Tokyo der Klanghimmel eingerissen und in den Kosmos hinausgegriffen wurde. Eine vordigitale Zeit aber, in der das Chaos noch Feind war, sich nicht wie hier in tänzerischer Bewegung umarmen ließ. So findet man sich hier schnell in einem Abenteuerland wieder, in dem vertraute Kriterien der Bewertung von Performanz und Strukturgebung wegbrechen. Was kann man sich besseres wünschen? Die versammelten Improvisationen, abgesehen von behutsamen Schnitten und Stereofizierung frei von Edits, erfreuen durch eine Direktheit, die einem fast wie die eines virtuosen Stimmkünstlers gegenübertritt, die ohne Landschaft und Kulisse, ohne Kontrapunkt auskommt. Dabei verraten diese Figuren ohne Grund in kantiger Textur und mikroskopischer Dichte doch immer wieder einen Sprachakzent des Digitalen, in den kürzeren Studien mehr noch als in den befreit flanierenden Rahmenstücken. Der Zusammenkunft von Sinn und Form in diesem musikalischen Quantensprung tut das keinen Abbruch.

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