Review

Alva Noto

Xerrox Vol. 3

Raster-Noton • 2015

Es ist, als hätte man nach längerer Unterbrechung einen dicken Roman wieder aufgeschlagen, den man sich ausschließlich als Reiselektüre reserviert hat, und der einen auf diese Weise über Jahre begleitet. Mehr als sechs davon ist es her, dass der zweite Teil von Alva Notos Ambient-Serie »Xerrox« erschien; man hatte eigentlich vergessen, dass noch drei weitere folgen sollten. Carsten Nicolai hat sich Muße genommen für die jüngste Fortsetzung seines unterwegs entstehenden Projekts. Nun ist man nachgerade überrascht, wie vertraut die entrückte Umgebung wirkt, in der man sich gleich nach dem kurzen Intro wiederfindet. Mehr noch allerdings von der Wendung, die er ihr dann gibt. War es beim Vorgänger noch das schweifende, schwellende, körnige Rauschen, dessen Ausdifferenzierung dem Projekt seine eigene musikalische Sprache gab, so setzen nun zarte, um sich selbst getupfte Flötenplinker Bojen in den Strom unablässiger Bewegung, lenken den Fokus auf einen durch und durch romantischen Kern. Wer hätte von Alva Noto je eine Melodie erwartet wie die, mit der er uns im Herzstück »Xerrox Isola« empfängt? Die Kindheitserinnerungen an Science-Fiction von Jules Vernes Nemo-Odyssee und Tarkowskis Solaris-Verfilmung (wo es wiederum um das Spiel mit Erinnerungen geht) verbinden sich hier zu einer übergreifenden Thematik des »Alles fließt«, nichts lässt sich wiederholen. Ausgewiesenes, aber auch etwas mysteriöses Konzept der Reihe ist ja, dass sie auf der Produktion mittels mannigfaltiger Kopiervorgänge vorgefundenen Materials beruhe. Ob es sich dabei wirklich um etwas ausgefuchsteres handeln mag als die Tatsache, dass solche ohnehin die Grundlage (digital)elektronischer Verfahren vom Filtern über Phasing bis zur Granularsynthese bilden, war vielleicht noch nie so egal wie an dieser Stelle. Dabei beginnen Konzept und Thema grade hier zu schillern. Gegen Ende senden Klaviertöne einen Gruß an Sakamoto, ansonsten ist wie zuvor auch hier das Sample-Quellmaterial zur Unkenntlichkeit verformt im Sog des Fluchtpunkts der ganz eigenen, kontemplativen Klangwelt von »Xerrox«, aus Streicherwolken, Drones und gezwirbeltem Rauch, in die wir gerne noch öfter eintauchen.