Review

Zeitkratzer + Keiji Haino

Stockhausen: Aus den sieben Tagen

Karlrecords • 2016

Karlheinz Stockhausen, das war ja der mit dem Streichquartett, das an einem Hubschrauber baumelte. Vordenker der elektronischen Musik und standesgemäß ein bisschen verquer im Kopf. Ein Kauz, der sich mit seinen persönlichen Krisen auseinandersetzte, während um ihn herum die Welt rebellierte. Im Mai 1968, zu Zeiten von Streiks und Aufständen in Paris, schloss er sich in seinem Haus ein und schrieb 15 so genannte Textkompositionen für elektroakustische Ensembles. Es sind esoterisch anmutende Anweisungen, die Stockhausen gibt: Spielt im Rhythmus eures Herzens, spielt im Rhythmus des Universums, dann bitte eine Kuckucksflöte. Intuitive Musik nannte Stockhausen das in Abgrenzung von der als intellektuell rezipierten Musik, die er sonst so machte. Natürlich zieht das jemanden wie Keiji Haino – japanische Psych-Rock-Legende, Lady-Gaga-Frisuren-Double und allgemein mehr Stimmband als Mensch – magisch an. Eigentlich sollte dieser mit dem Ensemble Zeitkratzer auf dem Festival Ruhrtriennale ein ganz anderes Stück performen, schloss sich dann aber der von Reinhold Friedl geleiteten Gruppe an und spielte mit ihnen fünf Stücke »Aus den sieben Tagen«. Es ist eine glückliche Fügung und letztlich die perfekte Kombination: Zeitkratzer beherrschen es genauso wie Haino, von Null auf Hundert aus spannungsgeladener Beinahestille einen abgehackten Exzess zu machen. Flüstern und Kreischen liegen genauso nah beieinander wie bedrohliche Drones und malträtierte Pianos. Zeitkratzers und Hainos Interpretation der Stockhausener Notate fließt an manchen Stellen fast belanglos dahin, dann aber immer nur Präludium für explosive Momente. Hin und wieder verdichtet sich die Spannung dermaßen, dass es kaum auszuhalten ist – erst recht nicht, weil sie sich nicht entlädt. »Stockhausen: Aus den sieben Tagen« klingt in seiner Gesamtheit fast zu perfekt orchestriert, zu stimmungsvoll, zu atmosphärisch, um wirklich nach einer intuitiven Interpretation von verschwurbelten Anweisungen zu klingen. Gerade das macht es aber so außergewöhnlich, frei von allen Kontexten.

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