Label Watch: Dekmantel

09.06.2020
Seit über zehn Jahren löst Dekmantel aus Amsterdam als Label, Festival und Veranstalter die Quadratur des Kreises: Innovation und Untergrund mit Qualität zu verbinden. Ein Ende? Auch in Krisenzeiten nicht in Sicht.

Ambitionierte Raves nicht nur organisieren, sondern gleich mit dem eigenen DJ-Set eröffnen und so auch noch die Miete blechen können – klingt wie ein Traum aus naiven Schulzeiten. Als Thomas Martojo und Casper Tielrooji im Frühjahr 2007 die PR-Agentur Dekmantel gründeten, war kaum absehbar, dass die beiden schon sehr bald nicht nur die eigenen Träume verwirklichen würden. Angefangen hatten sie mit kleinen Clubnächten von 150 Leuten, aus denen schnell Events in größeren Venues für bis zu 1.500 Besucher wurden. »Wir hatten richtig Bock aufs Feiern, aber jeder in Amsterdam legte diesen minimalistischen Click-House auf«, erinnert sich Martojo. »Wir fanden einfach keinen Zugang zu dieser Musik. Also dachten wir uns, wenn es sonst niemand tut, sollten wir das vielleicht selbst in die Hand nehmen«. Untypisch für das damalige Amsterdam, herrschte während der ersten Dekmantel-Nächte in einer alten Schiffswerft im Norden der Stadt ein eklektischer Sound zwischen Acid und Deep House, Detroit Techno und Disco aber ebenso experimentellen Sets, die schnell in aller Munde waren. Geschmacklich souverän wuchs ab 2009 auch das Label zur sicheren Bank für frische Tellerware, die zwar mit jedem neuen Release in Style und Ausführung unvorhersehbarer wurde, aber stets verlässlich die selbst gesetzten Qualitätsstandards erfüllte.

2013 folgte dann die erste zweitägige Ausgabe des Dekmantel Festivals im Stadtpark von Amsterdam, mit 5.000 Teilnehmern und einem Line-Up, das heute immer noch unwirklich erscheint: Jeff Mills Robert Hood Juan Atkins Moritz von Oswald Levon Vincent, Jamie xx Ron Morelli John Talabot Joy Orbison waren Kaliber, die sonst nirgends zusammen auflegten. »Wir fühlten uns, als organisierten wir einen bahnbrechenden Event nach dem anderen«, schwärmt Martojo. »Das waren ziemlich aufregende Jahre, würde ich sagen, vor allem wenn man bedenkt, dass es bereits bei den frühen Partys darum ging, unsere Helden zu buchen und zum ersten Mal live am DJ-Pult zu sehen«. So entwickelte sich die Kuration der Dekmantel-Crew von Beginn an zum Aushängeschild von Label und Festival. Die Formel? So einleuchtend wie schwierig umzusetzen: Legendäre Ikonen mit unbekannten Talenten aus aller Welt und lokalen DJs ins passende Verhältnis setzen, aber dennoch mutig über die Ränder elektronischer Musik hinausschauen. »Das Wichtigste für uns ist nach wie vor, dass wir uns treu bleiben und nur Musik ins Programm aufnehmen, die wir wirklich mögen. Klingt vielleicht sehr geradeheraus und cheesy, aber so machen wir das seit dem ersten Tag«, bestätigt Melisa Cenik, Marketingmanagerin sämtlicher Dekmantel-Events und Kuratorin der wöchentlichen Dekmantel-Sendung bei Red Light Radio.

»Das Wichtigste für uns ist nach wie vor, dass wir uns treu bleiben und nur Musik ins Programm aufnehmen, die wir wirklich mögen. Klingt vielleicht sehr geradeheraus und cheesy, aber so machen wir das seit dem ersten Tag.«

Melisa Cenik

Vermutlich konnten Label und Festival auch wegen dieses ehrlichen und tatsächlich wenig kommerziellen Ansatzes so organisch wachsen, ohne größere Rückschläge in Kauf nehmen zu müssen. Nach ersten Releases befreundeter Produzenten wie Juju & Jordash, Vedomir, Joey Anderson oder Palms Trax, beginnt das Prinzip in immer größeren Maßstäben zu funktionieren. Vor allem ab 2015 ermöglicht der Dekmantel-Podcast viele Kontakte zu den Frontläufern zeitgenössischer Electronica: Autechre und Four Tet Huerco S und Roman Flügel Marcel Dettmann und Rrose verhelfen neben hunderten anderen ProduzentInnen der Marke Dekmantel zu internationaler Popularität. Es regnet Lob und Liebe von einigen der wichtigsten Publikationen der Branche, ob DJMag, FACT, Resident Advisor, Pitchfork oder Quietus. Die Feierlust einiger Rave-Kumpel war zur Vision und wenige Jahre später zur wichtigsten Sause elektronischer Musik in den Niederlanden, wenn nicht sogar Zentraleuropa gewachsen. Ohne elaborierten Geschäftsplan oder streng getaktete Release-Frequenz. Kaum zu glauben, angesichts der Fülle stimmungsvoll ausschweifender EPs und Alben, die allein in den vergangenen zwei Jahren Monat für Monat bei den Niederländern erschienen sind – wie ein Soundtrack für nie endende Sommerferien. Das Spektrum reicht vom üppig durchtexturierten Schmuse-House eines Tom Trago über die nostalgisch dampfende Center-Parcs-Vertonung des Duos Betonkust & Palmbomen II und den säurehaltigen Breakbeat-Electro von Freedom Engine bis zur sonnengebräunten Bademusik im Stump Valley oder den jüngsten Arbeiten von Bufiman, Floating Points und Thessa Torsing, die als upsammy das nächste große Dekmantel-Ding werden könnte und quasi exemplarisch für den Selektionsprozess steht.

»Ich bekam upsammys erstes Album auf Nous’klaer vom Labelbesitzer Sjoerd Oberman als ich bei Clone shoppen war«, wirft Bert de Rooij ein, Festival Director bei Dekmantel. »Ich hörte von ihr, sah sie sogar live und tauchte dann in ihre Musik und DJ-Sets ein, da klar wurde, dass sie einen sehr eigenen Sound hat, wonach man als Booker natürlich immer Ausschau hält. Nach dem ersten Kontakt dauerte es eine Weile bis sie an Bord war, da sie sich sehr genau überlegt, welche Entscheidungen sie als Künstlerin trifft. Von da an wurde ich mit Demos bombardiert und ein einjähriger Prozess begann, in dem wir aus 50-60 Tracks das Album ‹Zoom› zusammenstellten aber auch ihren anderen künstlerischen Output aus den Bereichen Fotografie, Text und Video sichteten«.

Obwohl das Tastemaker-Image sowohl Label als auch Festival vorauseilt, bleibt das überschaubare Team dahinter auf dem Teppich und seiner Philosophie treu: Den Zeitgeist fühlen, aber parallel mit unerwarteten Reizen herausfordern. Genau das spiegelt sich auch im Mix wider, den die Crew für uns kompiliert hat, findet Melisa Cenik: »Das Labelprogramm war bisher schon ziemlich divers und reichte von Ambient über Chicago House, Detroit Techno und Wave bis IDM oder Funk, hat sich also in den letzten zehn Jahren großartig entwickelt. All das in einen kohärenten Mix zu kondensieren ist schwierig, war aber eine tolle Möglichkeit die Essenz dessen einzufangen, was wir mit dem Label und Dekmantel insgesamt verfolgen. Das Resultat ist eine Kompilation von KünstlerInnen, deren Arbeiten so bisher in noch keinem DJ-Mix vereint waren. Von Pionieren wie Robert Hood und Terrence Parker bis zum Nachwuchs, der mit komplett frischen Ansätzen erst jüngst Aufmerksamkeit erregte – also genau das, was wir auch mit unseren Festivals versuchen«.