Records Revisited: DJ Shadow – Endtroducing (1996)

16.09.2021
Vor 25 Jahren erschien mit »Endtroducing« ein Hip-Hop-Album, das Björk mit Metallica und finnischer Fusion zusammendachte. DJ Shadow grub dafür im Keller. Und fand Gold. Dann schuf er ein Album, das aus der Zeit gefallen zu sein scheint.

Die erste Reaktion, die DJ Shadow zu seinem Debüt erhielt, war eine Watsche. Die intellektuellen Kratzbürsten der Musikzeitschrift The Wire hielten »Endtroducing« für ein entbehrliches Stück Scheiße – nicht vergleichbar mit dem damaligen Output von Ninja Tune – und zerfetzten die Platte. Das war im September 1996. Und ist als Meinung so schlecht gealtert wie die blue eyes von Fred Durst. Schließlich gilt »Endtroducing« 25 Jahre später nicht nur in Hip-Hop-Zirkeln als Mondlandung in Sachen Sampling, bei der sich die Beastie Boys in »Paul’s Boutique« verkrochen. Einmal erreicht, nie wieder übertroffen, vereinte das Album finnischen Fusion mit Björk, Tangerine Dream mit Hip-Hop von der East Coast und Metallica mit Soundtracks von Horrorfilmen. Inzwischen findet man die Platte genau deswegen in Urban-Outfitters-Filialen neben Batik-Shirts und Monstera-Gewucher.

Als »Endtroducing« 1996 erschien, sah die Sache anders aus. Josh Davis, wie Shadow richtig heißt, war gerade mit dem College fertig und hatte keinen Plan, was er vom Leben wollte – außer Musik. Er verbrachte seine Tage in Plattenläden, bis er mit der Auslage durch war und man ihm anbot, im Lager weiterzugraben. In der Doku »Scratch«, die Anfang der 2000er das Turntablism-Ding in den USA porträtierte, gibt es dazu eine schöne Szene. DJ Shadow hockt inmitten von Schallplattentürmen – Messi-Level für OCDler im kritischen Bereich – und bezeichnet den Keller des Ladens als persönliches Nirwana. All die unsortierten Scheiben seien »zerbrochene Träume«, weil man dort unten, abseits von Ordnung und Tageslicht, nur jene fände, die niemand mehr auflegt oder hört. Deshalb, so Davis, sei der Keller ein Friedhof für Bands, die es im Biz nicht geschafft hätten. In seinen Händen aber genau deswegen zu Gold wurden.

Denn DJ Shadow destillierte mit »Endtroducing« etwas, das die Fähigkeit eines DJs nicht auf die Scratch-Skills bei den DMC-Schwanzverlängerungs-Championships begrenzte. Es ging eher darum, Elemente verschiedener Platten zu einem völlig neuen Sound zu mischen – mit einer Hand am Plattenspieler, der anderen am Sampler und der eigenen Persona so gut versteckt wie der (ha!) Schatten eines Ninjas. Während andere Producer den immergleichen Boom-Bap-Beat von Sly Stone-Platten rausschnitten, wühlte sich Shadow durch obskuren Shit, der unter mumifizierten Fledermäusen in der Dunkelheit verschimmelte, bis er genau jenen südkoreanischen Breakbeat gefunden hatte, der aus einem Song einen Banger machte. Davis verwirklichte sich so als Archäologe für Grooves, der musikalische Relikte ausgrub, die andere längst vergessen hatten. Folgte den Spuren, die die Geister der Vergangenheit gelegt hatten. Und grub in unendlichen Digging-Sessions ihre Seele aus, damit sie nicht mehr in einem heruntergekommenen Kellerabteil auf ihre Erlösung warten mussten.

»Wenn ich etwas sample, dann deshalb, weil es etwas Geniales an sich hat, (…) einen Zufall oder etwas, das es völlig einzigartig macht im Vergleich zu den anderen Billionen von Stunden an Platten, durch die ich mich durchgeackert habe«, sagte Davis zu Autor Eliot Wilder. Man kann nicht anders, als sich Shadow als verrückten Modellbauer vorzustellen, der den Bausatz eines Autos mit dem eines Flugzeugs kombinierte, um ein Flugzeug-Auto zu basteln, das aber nach dem Zusammenbauen sofort entsorgt, weil er mit den übriggebliebenen Teilen zu zaubern begann.

DJ Shadow
Endtroducing
Mercury • 1996 • ab 28.99€
Sieben Tage die Woche kratzte er im Studio an seinem MPC, meistens in der Nacht, bis früh in den Morgen. Anschließend stieg er ins Auto und fuhr nach Hause, während über dem Highway die Sonne aufging. »Das waren lange Fahrten, während denen ich immer ein bisschen melancholisch wurde«, so Davis zu Wilder. Diese Melancholie hat sich auf die 16 Tracks von »Endtroducing« eingeritzt. Sie überspannt das Album als Grundstimmung, bei der trotz aller Finsternis der Bewegungsmelder ausschlägt und der Halogenstrahler ein Loch ins Herz brennt. Wer jemals mit »Midnight in a Perfect World« durch die Nacht gestreift ist oder »Changeling« auf einer Afterparty aufgelegt hat, weiß, wovon die Rede ist. Alle anderen hören 25 Jahre nach Erscheinen von »Endtroducing« eine Platte, die noch immer nicht in der Gegenwart angekommen ist, weil sie wie aus der Zeit gefallen scheint.


Die Schallplatten von DJ Shadow findest du im [Webshop von HHV Records](https://www.hhv.de/shop/de/dj-shadow-vinyl-cd-tape/i:A500N4S6.)