Tools Of War: Respect Where It All Began

19.11.2012
Foto:Joe Conzo © Tools of War
Mit Tools Of War aus New York City gibt es seit Mitte der 1990er Jahre eine kleine Institution, die versucht, die Lücke zwischen legendärer Vergangenheit und Mainstream-Gegenwart zu schließen.

HipHop existiert in seiner Philosophie eigentlich nur noch als Erinnerung – kanonisiert und nicht selten verklärt zu Legenden. Der Hang zum Storytelling und die Affinität für rhetorische Superlativen dürfte das unterstützen. Da gibt es die großen Sagen um den New Yorker Blackout 1977, der viele Kids mit neuen Plattenspielern versorgte, weil diese einfach die Elektronikläden plünderten. Illegale Block Partys mit angezapften Laternen. Die zufällige Entdeckung des Scratch durch Grandwizard Theodore. Die vier Elemente. Das Golden Age. In Diskussionen verkommen diese Erinnerungen beinahe zum nostalgischen Kitsch samt Superhelden und Religionsansatz. Doch längst sind die unschuldigen, wilden Zeiten vorbei. Wer interessiert sich heute noch für HipHop per se, ohne Blick auf das Return on Investment?

Mit Tools Of War aus New York City gibt es seit Mitte der 1990er Jahre eine kleine Institution, die versucht, genau diese Lücke zwischen legendärer Vergangenheit und Mainstream-Gegenwart zu schließen. Hinter Tools Of War verbirgt sich das Ehepaar Christie Z-Pabon und Jorge Pabon. Sie sehen Tools Of War ganz in der Tradition des HipHop, »in dem es verschiedene Tools gibt, um sich zu behaupten – mit Plattenspieler, Mikro, Graffiti etc.«. Begonnen hatte Tools Of War 1996 als Mailorder. Daraus wurde schnell einer der wichtigsten Newsletter der HipHop-Community weltweit. Dieses Jahr feiern sie das zehnjährige Jubiläum ihrer True School Park Jam Series. Diese kleinen Blockpartys stehen ganz im Geiste der Jams in den 1970er Jahren, weshalb dort auch regelmäßig die Großen der Geschichte hinter den Reglern stehen – von Biz Markie über Jazzy Jay, Grandwizard Theodore bis Grandmaster Flash und Roc Raida (RIP). Dokumentiert werden die Events nicht selten von einem der bekanntesten Fotografen der HipHop-Kultur: Joe Conzo.
Wir versuchen eine Bestandsaufnahme.

Es geht darum, wer du bist
Jorge Pabon, auch bekannt als Pop Master Fabel, gehört zu den Gestaltern der HipHop-Kultur. In den Siebzigern begann er in der South Bronx als B-Boy mit einer besonderen Vorliebe für Rock Dance. »Obwohl New Yorks Straßen gefährlich waren, fanden wir Wege, das Leben durch HipHop und andere Formen der urbanen Kultur zu feiern«, beschreibt er das damalige Lebensgefühl. 1984 brillierte er in dem ersten kommerziellen HipHop-Film »Beat Street«, später wurde er Vice President der legendären Rock Steady Crew und ist mittlerweile vielgefragter Choreograph und Panel-Gast.
Joe Conzo ist ebenfalls seit den frühen Tagen dabei. Im Gegensatz zu Jorge Pabon hat Conzo vor allem beobachtet und als Fotograf die Jugendtage des HipHop maßgeblich dokumentiert. Aufgewachsen in der Bronx, sind seine Fotos der 1970er und 1980er Jahre nicht nur rare Zeugnisse einer pulsierenden, ungebundenen Jugendkultur, sondern auch des Sozialverfalls vieler New Yorker Stadtteile. Den ersten Kontakt mit der aufkeimenden HipHop-Kultur hatte er auf einem der Jams in New York. »Das muss auf der The T Connection 1979 in der North Bronx gewesen sein. Ich war an diesem Abend schlicht überwältigt und von diesem Mix aus Drums und Bass mit R&B und Disco total hypnotisiert.«
Christie Z-Pabon dagegen kam als reiner Fan zum HipHop. »Da ich im Südwesten von Pennsylvania aufwuchs, hörte ich die Sugar Hill Gang im Radio«, gesteht sie und ergänzt anekdotisch: »Ich bin mit meiner Freundin Ronda in alle HipHop /Dance-Filme gegangen. Nur ›Beat Street‹ lief bei uns nie, so dass ich meinen späteren Ehemann nie in dem Film gesehen habe.« Mittlerweile ist sie die treibende Kraft hinter Tools Of War und organisiert nebenbei im Alleingang die DMC USA Championships, die seit den 1980er Jahren wichtigste Battle-DJ Meisterschaft der USA.
Wie schon Rakim einst rappte: »It’s not where you’re from, it’s where you’re at.« Christie, Jorge und Joe hatten ihren jeweils eigenen Einstieg. Alle drei sind HipHop.

»Obwohl New Yorks Straßen gefährlich waren, fanden wir Wege, das Leben durch HipHop und andere Formen der urbanen Kultur zu feiern«

Fabel
Was bedeutet HipHop für euch?
Christie: Ich liebe die HipHop-Kultur, weil jeder daran teilhaben kann – jede Hautfarbe, Rasse, Alter. Ich arbeite selbst innerhalb dieser Kultur und sehe es als großen Faktor meines Lebens. Aber ich betrachte es nicht als Religion oder mehr. Ich mag es, zur HipHop-Community zu gehören – lokal, national und international. Und damit meine ich die True School Heads der Pioniere, Legenden, Macher, Promoter und Enthusiasten.
Fabel: HipHop ist etwas besonderes, weil es aus einer Jugendkultur hervorging. Die HipHop-Bewegung der 1970er und frühen 1980er war raw and real! All die Elemente waren viel präsenter. HipHop wurde populär, weil es rebellisch, revolutionär, höchst kompetitiv und selbstbestärkend war. Es war und ist noch immer sehr viel Spaß und aufregend!
Joe: HipHop gehörte uns, es gehörte der Jugend der Bronx, und wir haben es an die Welt weitergegeben. Ich hatte eigentlich keine Ahnung, dass das, was ich dort dokumentierte, jemals ein globales Phänomen werden würde. Ich meine, allein zu sehen, wie es sich von den Spielplätzen der Bronx stadtweit ausbreitete, war schon unglaublich. Es war eine unschuldige Zeit junger, farbiger Leute, die mit der Musik ihrer Eltern zu ihrer Umwelt ein Statement abgaben – absolut fantastisch.

Was vom Vibe blieb
Diese Rohheit der Anfangszeit trifft man heute bestenfalls in den Büchern von Jeff Chang und Dan Charnas, welche die Geschichte der HipHop-Kultur in vielen Einzelheiten sezieren. Für Jorge ist die heutige Kultur eine Mischung aus echter Unterstützung und Identitätskrise. »Einige Leute verstehen HipHop und andere begreifen es. Und Einzelne versuchen, die Kultur zu erhalten und innerhalb dieser trotzdem Karriere zu machen.«
Dennoch ist HipHop bei vielen längst zum reinen Synonym für Rap geworden. Die anderen Elemente, das B-Boying & B-Girling, Graffiti und DJing sind in diesem Kontext nur vergessene Marketing-Anhängsel. Christie macht an dieser Stelle eine klare Unterscheidung, allein schon, weil sie sich für die grafische und die DJ-Seite des HipHop interessiert. »Ich arbeite in der HipHop-Kultur, nicht in der Rap-Industrie«, stellt sie klar. »Selbst die MCs, mit denen ich arbeite – GrandMaster Caz, Lord Finesse und Biz Markie – sind ebenfalls DJs.«

Was muss ein DJ heute eher mitbringen: Skills, Groove oder Arsch in der Hose?
Christie: Alles drei ist absolut essentiell. Du kannst ein großartiger Turntablist sein, aber wenn du nie gebattled hast, wirst du wahrscheinlich nie auf einem DMC USA Battle teilnehmen. Ich bin nicht supertechnisch, aber ich weiß, was gut klingt, was Flavor hat und was den Championsound hat. Wenn du dir die meisten DMC Weltchampions anschaust, hörst du diesen Championsound. Und er ist immer aufregend.

Hat sich viel geändert im Vergleich zu früher?
Christie: Die europäischen DJs sind sehr weit entwickelt, was die Scratches angehen. Ich persönlich (nicht DMC) denke aber, dass kein DJ ohne Beat Juggling durchkommen sollte. Eine Sache, die ich nicht mag, ist diese bestimmte Art generischer Electro-/Dance Music, die viele DJs in den DMC World Finals nutzen. Ich wünsche mir, dass die DJs unterscheidbare Musik nutzen, so dass man auch hören kann, wie sie es verändern. Und neue Techniken? Die DJs haben die beiden Haupttechniken [Scratching und Beat Juggling] verfeinert oder neue Pattern entwickelt, aber niemand hat bisher eine dritte Technik hervorgebracht.

»Der Vibe war früher unschuldig und experimentell. Vor allem war es Spaß.«

Joe Conzo
Gibt es ähnliche Veränderungen im B-Boying?
Fabel: Früher ging es beim B-Boying und B-Girling um Flavor und Finesse. Später ging es mehr um die Akrobatik. Die Tänzer fokussierten sich eher auf die einzelnen Bewegungen anstatt auf die [HipHop-] Bewegung. Innerhalb der letzten 15 Jahre hat sich aber eine gute Mischung aus dem Originalrezept, Power Moves und Blow-Ups entwickelt.

Was sagt der Beobachter?
Joe: Der Vibe war früher unschuldig und experimentell. Vor allem war es Spaß. Du kannst denselben Vibe auf Tools Of War-Konzerten wiedererleben, während andere Veranstaltungen noch immer kommerzialisiert sind.

Alive & Kickin’
Tools Of War ist die Antwort auf die Sehnsucht nach einer vergangenen und verlorenen Zeit. Laut Jorge geht es darum »HipHop und die urbane Kultur zu erhalten«. Kultur bedeutet demnach weit mehr als die reine Musik und Party. Es geht nach wie vor um eine Bewegung, welche eine Veränderung einfordert. Und es geht um Kommunikation. »Wir unterstützen durch die Künste viele Initiativen für Frieden, Einheit, Gleichberechtigung und Freiheit. Und wir ermutigen dazu, HipHop als Form der positiven Konfrontation zu nutzen – künstlerische Battles anstelle Disrespekt und Gewalt.« Das Ziel ist ein Miteinander. Seit 2003 organisiert Tools Of War deshalb (legale) Park Jams in verschiedenen New Yorker Gemeinden. Die Jams werden von HipHop-nahen Unternehmen wie Serato und Rane unterstützt, Merchandise-Stände für sie gibt es aber keine. Der Eintritt ist frei und die Künstler kommen allein wegen der Sache. Hinter den Reglern finden sich Altermeister wie Grandmaster Flash, Afrika Bambaataa und Lord Finesse. Im Cypher treffen legendäre B-Boys wie Crazy Legs und Pop Master Fabel auf den jungen Nachwuchs. Charlie Ahearn, Joe Conzo, Res One und andere Fotografen mischen sich begeistert unter die Menge.

Ist das die Rückkehr der alten Energie?
Christie: Zusammen mit unseren legendären Freunden versuchen wir, die Essenz der legendären Park Jams der Siebziger und Achtziger zurückzubringen. Wenn der Park Manager es erlaubt, zapfen wir den Strom aus der Straßenlaterne. Nach dem Aufbau des Soundsystems tauchen meist schon die ersten vertrauten Gesichter auf. Dann fangen die DJs an und die Menge wird größer und größer. GrandMaster Caz hostet. Fabel übernimmt das Mikrofon, wann immer er eine Ansage machen möchte. Um die DJ-Sets versammeln sich die DJ Fans. Meist sind einige B-Boys schon sehr früh da. Die Cypher sind auch die ganze Zeit aktiv und ich habe meist keine Chance zuzuschauen, weil die Menge drumherum so dicht ist.
Joe: Das macht Tools Of War so »real«. Es ist wirklich derselbe Vibe wie damals. Die Leute kommen aus der ganzen Welt, um Teil von Tools Of War zu sein!
Fabel: Ich fühle mich dabei wie Kind und Veteran des HipHop zugleich. Die HipHop-Kultur ist eben die Quelle der Jugend!