Spike Lee und das »New New York«: It’s gotta be the shoes

22.07.2013
Beinahe alle, die da in vorderster Front für das »New New York« im Hip Hop stehen, veröffentlichen in diesen Tagen Videos, die stärker denn je die Ästhetik Spike Lee‘s beschwören. Was hat es damit auf sich?, fragt unser Monthly Peak.

New York ist wieder da. Stolzer und bunter hat die Stadt seit den 90er Jahren ihren Platz im amerikanischen Hip Hop nicht mehr verteidigt. Und da ist es zunächst naheliegend, dass man dort anknüpft, wo man einmal aufgehört hat. Und das ist neben des East Coast Rap der 90er Jahre vor allem die goldene Ära des Hip Hops, die Achtziger. Und beinahe alle, die da in vorderster Front für dieses New New York stehen, veröffentlichen in diesen Tagen Videos, die stärker denn je die Ästhetik Spike Lee‘s beschwören. Der Regisseur repräsentierte nämlich nicht nur das sogenannte New Black Cinema, sondern er hat diese Fusion des Autorenkinos und des Hip Hop wesentlich mitbestimmt. Er hat seine eigene Ästhetik zum Ausdruck der Ära gemacht, die visuellen Wirkungsweisen des Hip Hop derart eingesetzt, dass ihm selbst eine Art Sprecherposition zukam. Und als dieser Sprecher wiederum hat er maßgeblich dazu beigetragen, dass die schwarze Popkultur zu einem globalisierten, kulturellen Exportartikel wurde. So hat er diese Generation als eine ihrer erfolgreichsten Vertreter öffentlichkeitswirksam gemacht: Mit seinem Stilwillen und seiner ästhetischen Prägung einerseits, andererseits (in daraus abgeleiteter Kosequenz) durch das Aufzeigen einer werberelevanten Zielgruppe. Im Jahre 2006 bedankte sich Nike bei Spike Lee mit einem eigenen Schuh (»Air Jordan Spizikes«). Wofür eigentlich?

Blicken wir zurück ins Jahr 1989: Im selben Jahr, als Spike Lee mit seinem dritten Spielfilm »Do The Right Thing« den internationalen Markt erobert, tut dies Nike Air Jordan mit dem »Air Jordan IV«. Ein Jahr zuvor hatte die Firma Spike Lee unter Vertrag genommen, um eine Reihe von Werbevideos mit dem Basketballstar Michael Jordan zu produzieren. Es war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Und doch lohnt es sich noch einmal zu fragen: Wie passt das eigentlich zusammen? Ein Film, der ein moralisches Dilemma, das die rassistische Gegenwart Amerikas und Möglichkeiten des Widerstands unter die Lupe nimmt einerseits (»Do The Right Thing«) und ein Schuh, der die Welt bedeutet, andererseits (»Air Jordan IV«). Dass er die Welt bedeutet, hatte Spike Lee ja selbst thematisiert:

Aber auf die Schuhe kommen wir später noch einmal zurück. Von denen wimmelt es nämlich nur so im New New York. Und dafür ist nicht nur Nike dankbar.

Doch nehmen wir zunächst eine andere Szene aus »Do The Right Thing«, die sich auch in seinem Titelsong »Fight The Power« von Public Enemy spiegelt: Sal, der italienische Pizzabäcker, hat an seiner »Wall of Fame« keine Bilder schwarzer Helden hängen, Buggin Out fordert genau das und ruft zum Boykott der Pizzeria auf »Most of my heroes don‘t appear on no stamps«, rappen Public Enemy analog.

»Ich mache keinen Unterschied zwischen Filmen, Werbespots und Musikvideos. Für mich laufen alle unter dem Begriff Kino«

Spike Lee
Wer die Bilder bestimmt, hat die Definitionsmacht und ist repräsentiert. Und um diese Repräsentation geht es ja. »Ich mache keinen Unterschied zwischen Filmen, Werbespots und Musikvideos. Für mich laufen alle unter dem Begriff Kino«, sagte Spike Lee einst dem Motion Magazine. Spike Lee beschwört in den 1980ern das amerikanische Unternehmertum (»Eigentümer zu sein, ist das, was Afroamerikaner anstreben müssen.«): Durch die Kontrolle über die eigene Produktion, wird die Repräsentation der eigenen Kultur erlangt. So hat Lee neben 40 Acres And A Mule, seiner Filmproduktion, auch Spike DBB gegründet, eine Werbeagentur. Vermeintlichen kritischen Fragen vorauseilend, tritt er bei der Pressekonferenz von Cannes 1989 mit einem »No Sell Out«-T-Shirt auf und verweist implizit schon auf die Problematik, die sich aus dem Individualismus der Reagan-Jahre, den auch Lee unternehmerisch repräsentiert, in den 90er Jahren ergeben sollte.

Nike gibt ihm sein Just Do It und er Ihnen ein wenig Do The Right Thing. Er tritt immer in doppelter Funktion auf, als Werbefigur für die Marke Nike/AirJordan und als Werbefigur für die Marke Spike Lee. Folgerichtig hat sich seine Figur Mars Blackmon aus seinem ersten Film »She‘s Gotta Have It« auch in sämtliche Nike-Werbespots dieser Zeit geschlichen.

Wie steht es dann noch um die Unterwanderung der Bildkultur, um die Repräsentation afroamerikanischer Kultur durch das Schaffen neuer Bilder, was genau heißt Fight The Power für einen Filmemacher?

Lee‘s von schwarzen Insidern-Witzen und semiotischen Codes durchzogenen frühen Filme, operieren mit einer Vermittlung schwarzer visueller Kultur, wie sie  sowie die Kunst jeder schwarzen ethnischen Gruppe in Asien, Afrika und auf dem amerikanischen Kontinent.«’]Greg Tate 1986 gefordert hat. Spike Lee hat genau diesen enzyklopädischen Ansatz umgesetzt und in das Mainstreamkino und in die ganze Welt gebracht. Er hat die visuelle Kraft des Hip Hops verstanden und vor allem ihr enormes Massenpotential. Plötzlich waren Menschen auf der ganzen Welt mit den Problemen Schwarzer in Brooklyn konfrontiert und wurden zudem noch in ein moralisches Dilemma geworfen, das – das ist eine von Lee‘s Stärken – nicht in stringenter Form aufgelöst wird. Anstatt eine Botschaft zu vermitteln, verwendet Spike Lee die Figuren im brecht’schen Sinne aber in ihren Konflikten auf ein Multiplex an Bedeutungen verweisend. Vor allem aber auf Widersprüche. Das macht das Kino von Spike Lee so universell.

Lee knüpft mit seinen Referenzen dabei zunächst ans klassische Hollywood sowie ans europäische und japanische Autorenkino an (cinema of allusion). In seinem Essay »Ein Kino ohne Zentrum« bemerkt Holger Römers: »Allerdings handelt es sich bei diesen Anspielungen zumeist um durchaus plakative Hommagen, die kaum zusäztliche Bedeutung schaffen, weshalb sich spekulieren lässt, dass das regelmäßige Herbeizitieren kanonisierter Filmgeschichte (unbewusst) ebenfalls zum Ziel hat, einer Ghettoisierung der eigenen Arbeit vorzubeugen.«

Spike Lee hat es verstanden, für die Sache der Schwarzen mit den visuellen Mitteln des Hip Hop zu arbeiten. Dass er dabei die finanziellen Ressourcen Hollywoods verwendet und eine Bildsprache wählt, die eigentlich konventionell ist, wurde ihn mit zunehmenden Erfolg immer wieder angekreidet. Diejenigen, die ihn ihm den Visionär sahen, der das herrschende System unterwandert, um eine eigene Sprache zu etablieren, wurden jäh enttäuscht. Doch in der Logik der lee’schen Ästhetik ist das eine falsche Erwartung.

Spike Lee sichert sich nämlich seine Zuhörer durch die bedingungslose Erfüllung der Konventionen, nein, er erfüllt sie nicht, er nimmt sie und überzeichnet sie, so wie die Farbsättigungen in den heißen Sommertagen Brooklyns geradezu eine cineastische Übertreibung sind. Seine Rechnung geht dabei auf. Malcolm X und seine Ideen z.B. sind heute vor allem durch Spike Lee einer neuen Generation bekannt und verfügbar. So sind seine Filme doch eigentlich nur vordergründig konventionell. Sie kommen so großspurig daher, dass geschützt durch den Lärm, dann im Hinterzimmer das eigentliche besprochen werden kann. Holger Römers weist darauf hin, dass »ein erkennbares Zentrum den meisten Erzählstrukturen Lees fehlt« und es »umso beeindruckender ist, wie beiläufig und zugleich zwangsläufig [in Do The Right Thing] eine Hand voll dünner Erzählfäden in das dramatische Ende münden lässt.« Wim Wenders verweigerte in Cannes Spike Lee den Hauptpreis, da der Held sich nicht heldenhaft genug verhalte. Und genau darin liegt die Crux: »Der Held des Films ist die Community selbst, als ein vom Film inszeniertes Kollektiv.« Und zu dieser Inszenierung bedarf es der modischen Insignien, die Spike Lee geradezu als Heiligtümer und Fetischobjekte inszeniert (wie in oben gezeigten der Szene aus »Do The Right Thing«). Und spätestens hier wird die Werbebranche aufmerksam. Sie fossierte den Schulterschluss dabei aus anderen Gesichtspunkten als Spike Lee es tat.

»Ich will den Leuten etwas für ihr Geld bieten« ist sein Credo und während die Unabhängigkeit des Filmemachers mit dem Unternehmertum des Entrepreneurs in seinem Schaffen sich durchaus die Wage hält, ist seine Oberflächenwirkung für die folgende Generation und für die öffentliche Wahrnehmung der afroamerikanischen Kultur durchaus verhehrend. Denn während z.B. Spike Lee‘s Musikvideos immer auch Geschichtsstunden sind, erschöpft sich die Geschichtsstunde heute meist in sonderbarer Nostalgie, die ganz froh darum zu sein scheint, dass es mit dem Kauf der passenden Insignien getan scheint.

»Peep my BK point of view like that Spike Lee angle.«

DyMe-A-Duzin
Wo Spike Lee noch in der Lage war ein moralisches Dilemma zu formulieren, das über Rassengrenzen hinweg, auf universelle Fragen menschlicher Moral verweisen konnte, ist heute oft der Verweis auf Lee und andere genug des Politischen. Es ist insofern rückschrittlich, da die Politisierung der Generation Hip Hop eben auch darin bestand über den ganz persönlichen alltäglichen Struggle eine gesellschaftliche, systematische Kritik zu formulieren, wie es bsp. dem zeitgenössischen Soul wieder gelingt Davon findet sich nicht viel im New New York. Vom »Black CNN«, das Rap einmal im Sinne von Public Enemy sein sollte, ist, wie Drehli Robnik in ihrem Essay »Wo X war muss King werden« einmal bemerkte, ist »die Audiotapete für Pimp My Ride« geworden.

Nun wird allerortens in New York in diesen Tagen und den letzten Jahren Spike Lee herbei zitiert: Joey Bada$$ wartet auf seinen Anruf Von Pea benennt sein Album nach ihm Und DyMe-A-Duzin vereint die Flatbush Zombies und The Underarchievers auf »New Brooklyn« und rappt: »Peep my BK point of view like that Spike Lee angle.« (Und der Meister zeigte dafür gerade Anerkennung)

»That Spike Lee angle«, allerdings sieht in der Sprache des New New York durch dekliniert so aus: Shoes, shoes, shoes. Und klar, ein bisschen ein bisschen »Red Hook Summer«, ein bisschen »Long Hot Summer« ein bisschen Stilwille wie beim alten Meister. Man will sagen, dass der Satz »Brooklyn, New York is our hometown« immer das Brooklyn von Spike Lee meint. Dann sind da immer die Geräusche dieser heißen Sommernächte, die Paradies und Albtraum zugleich bedeuten. Bekennend, dass ihre Kindheit sich in ihrer Erinnerung wie ein Spike-Lee-Film anfühlt, ist es eben auch das Spiel mit einer kollektiven Erinnerung. Doch diese ist in erster Linie durchzogen von Werbe-Einblendungen für besagte Objekte: Black Dave‘s Muthafuck My Enemies und Bryant Dope‘s Queen Kids wird zur Feier der Supreme Skateboards. Und von den Flatbush Zombies bis zu den Underarchievers benutzen reihenweise Rapper des New New York die Spike Lee-Optik als modische Oberfläche, auf der vor allem Schuhe tanzen. Face Off und The Proclamation sind da nur Beispiele.

»It‘s gotta be the shoes«, würde Spike Lee sagen.

Vinny Cha$e bringt es da überspitzt (jedoch ohne Ironie) auf den Punkt: »Biggie on my speaker, Jordan on my sneaker« – die vollkommene Nostalgie mit enormen kommerziellen Potential. Acts wie Mikky Blanco sind deshalb vor allem spannend, da sie dieser Nostalgie entsagen und uns in ihrem New New York in ihre eigene ästhetische Welt führen, die dann auch echte moralische Konflikte und explosives inhaltliches Potential bereithält.

Das »You Can Buy Them«, das Spike Lee in einer der Air Jordan Werbung in die Kamera ruft, ist gehörig missverstanden worden. Denn die Sichtbarmachung einer schwarzen Kultur durch schwarze Ikonen, wie Lee sie angegangen ist, sollte ja nur der Anfang, nicht das Ende der Auseinandersetzung sein. Das Resultat ist jedoch ein Track wie »Spike Lee Was My Hero« von Skyzoo (feat. Talib Kweli), bei dem Lee‘s Plakate im Hintergrund und ein Sneaker im Vordergrund baumelt Der Kameramann war im Übrigen Sil »Spike Jordan« Beyah. Es scheint, als seien die moralischen Dilemmata in der Kosumkultur konsensual aufgelöst wurden. Die Hip Hop Kultur jedenfalls knüpft an die Werbebilder an, die sich längst von ihren Referenzen gelöst haben und nunmehr materialistische Fetischbilder sind.

»Die Kontrolle zu übernehmen, bedeutet schwarze Jugendliche mit richtigen Kameras auszustatten […] den Spieß weißer Bedürfnisse umzudrehen«

Houston A. Baker Jr.
Houston A. Baker Jr. bemerkt (wohlgemerkt 1993), dass Spike Lee schon in seinem frühen Film »Joey‘s Bed-Stuy Barbershop« »die Möglichkeit einer künstlerischen Reinstitustionalisierung selbstbestimmter Wirtschaft und Kultur herausarbeitet.« Der erfolgreiche Plot des Films ist nämlich nicht der des schwarzen Idealismus und Widerstands (der scheitert), sondern der künstlersich-kreative, symbolisiert durch Teapot‘s neue Kamera gegen Ende des Films. »Die Kontrolle zu übernehmen, bedeutet schwarze Jugendliche mit richtigen Kameras auszustatten«, resümiert Baker Jr. weiter. Und dem richtigen Turnschuh und der richtigen Hose und dem richtigen Skateboard, könnte man, mit dem Spike Lee der 90er Jahre redend, ergänzen. Doch während die Kameras noch darauf ausgerichtet sind »den visuellen Speiseplan der amerikanischen Kultur zu verändern«, haftet den anderen genannten Produkten eine sehr viel größere Egozentrik und Passivität an. Während die Kameras darauf ausgerichtet sind, »den Spieß weißer Bedürfnisse umzudrehen […], sich auf ironische Weise von der Rolle des konsumbierbaren ,Anderen‘ inmitten von aggressiven ,Schokoholikern‘ zu trennen«, scheint diese Intention bei den anderen genannten Produkten ad absordum geführt und ihre Wirkung jenseits der wirtschaftlichen zweifelhaft.

Spike Lee hat eine stilistische zugespitzte Vorlage des Hip Hop, die Hülse quasi, geliefert, doch selbst wusste er die modische Fassade stets zu füllen, hat sich trotz seines unbedingten Stilwillens, auch moralische Kategorien geschaffen. Er hat es aber auch billigend in Kauf genommen, dass man diesen Stil von seinen Bedeutungsträgern trennt und sich für ein paar Dollar mehr ein bisschen Do-The-Right-Thing kaufen kann

Angesichts der aktuellen Lage des Rassimus in Amerika, wünscht man sich weniger Schuhe und ein lee’sches: WAKE UP!