Dial Records – Dinge ändern sich, Dial bleibt

14.05.2015
Keine Haltung ist auch eine, und das erst recht. Seit nunmehr 15 Jahren steht das in Hamburg gegründete Label Dial für musikalische Offenheit. Mitgründer Lawrence erzählt uns, wie das alles gekommen ist: irgendwie halt nämlich.

»Ach, das ist halt irgendwie entstanden« ist so ein Satz, der von Peter Kersten häufig zu hören ist, als wir uns an einem sonnigen Apriltag im Café der Berliner Akademie der Künste treffen. Noch ein paar Stunden bis Dial Records in der Panorama Bar gefeiert wird. Jenes Label also, das Kersten gemeinsam mit David Lieske zum Jahrtausendwechsel gegründet hat.

Den Anlass für die Party liefert das 15jährige Bestehen des Hamburger Imprints, das sich zeitgleich mit einer Compilation einen kleinen Meilenstein setzt. Die heißt zwar »All«, aber auch das ist halt, ach, irgendwie entstanden. »Das hört sich alles sehr konzentriert an, aber es war eher so dass David meinte: ›Ja, die Compilation heißt dann ja »All«‹ und dann hieß sie einfach so«, beschwichtigt ein hörbar verschnupfter Kersten die Vermutung, es könne sich beim Titel um ein Statement halten. »Tatsächlich war das gar nicht konzeptuell, sondern ein totales Kuddelmuddel, sie zusammenzustellen. Mittlerweile sind wir aber alle superglücklich damit, vor allem weil es nicht wie aus einem Guss klingt, ganz im Gegenteil. Auch dass es zum 15jährigen 15 Stücke sind, das ist…« Na? Ja, genau: reiner Zufall.

Verzicht lernen
Bevor er 1999 Dial mitbegründete, sammelte Kersten Erfahrungen beim Major-Riesen Universal, der damals noch unter der Leitung vom jetzigen Berliner Kulturstaatssektretär Tim Renner stand. »Ich habe ganz viel Überflüssiges gelernt«, erinnert sich Kersten an seinen Studentenjob in der Jazz- und Klassik-Abteilung des Labels, an den er gerne zurückdenkt. »Vor allem, worauf man verzichten kann«.

Bei Dial Records wird vor allem auf Entscheidungsstress verzichtet..Tatsächlich geht das Label-Kollektiv, zu dem neben Kersten, David Lieske (alias Carsten Jost), Phillip Sollmann (alias Efdemin,) Henrik Weber (alias Pantha du Prince) und Christian Naujoks noch andere Personen wie etwa der Grafiker Till Sperrle gehören, mit Hamburger Gelassenheit an die Dinge heran. Und das, obwohl sich Dial mittlerweile zu einem internationalen Imprint entwickelt hat, wie der zwischen Hamburg und Berlin, Clubkultur und Kunstmarkt hin und herpendelnde Kersten erzählt. Von Professionalisierung keine Spur. Um das Business kümmern sich andere.

»Wir haben uns total verkalkuliert. Es war ein finanzielles Desaster.«

Peter Kersten
Wer bei Dial welche Aufgaben übernimmt, das wechselt von Release zu Release. Mitbestimmungsrecht haben trotzdem alle. »Die Künstler und Musiker haben eine sehr große Freiheit.« Dass mit großer Freiheit eine gewisse Verantwortung oder zumindest ein höheres Risiko einhergeht, das hat das Label ebenfalls lernen müssen. »Ein gutes Beispiel ist die Queens-Platte von Scott Mou, bei der wir uns total verkalkuliert haben. Henrik Weber, Phillip Sollmann und Josh Dibb von Animal Collective waren dabei und der Vertrieb brachte uns deshalb dazu, eine größere Auflage als geplant zu pressen. Auf der sind wir dann hängengeblieben! Es war ein finanzielles Desaster.« Trotzdem würde er sie jederzeit wieder rausbringen, betont er.

Einfach machen
Es sind Platten wie die von Queens, einer Mischung aus Drone-Klangkunst und dezenter Folk-Instrumentierung, die in der öffentlichen Wahrnehmung eher untergehen. Dial Records steht in der Kritik wie bei den Fans für fluffigen Deep House made in Hamburg. Dabei ist das Label viel disparater aufgestellt. »Das ist glaube ich ein bisschen wie bei Warp, wo alle sagen: ›Typisch Warp!‹ und wenn du dann eine Gravenhurst auflegst, dann wundern sie sich, dass die auch dort erschienen ist.«

»Der Unterschied allerdings ist, dass wir kein A&R-Label sind, das sich auf die Suche nach toller, neuer Musik macht. Es war schon immer so, dass wir Leute kennengelernt haben und uns mit denen angefreundet haben und da tolle Musik bei rumkam.« Die musikalische Disparität des Labels, die von der »All«-Compilation elegant gespiegelt wird, ist wie so vieles bei Dial organisch gewachsen. »Es gab gar kein Konzept. Wir haben einfach gemacht«, erinnert sich Kersten an die Anfangszeiten des Labels. Die Dial angedichtete Haltung ist eben im Grunde keine. Was allerdings erst recht einer Haltung gleichkommt.

Nichts definieren
»Wir blenden die Krise erfolgreich aus«, sagte Phillip Sollmann noch anlässlich des 10jährigen Geburtstages des Labels in einem Interview hinsichtlich der damals wackligen Vinylverkäufe. Überwunden hat sie Dial schließlich auf unerwartete Weise. »Wir haben ja zu einer Zeit angefangen, als viele Labels aufgehört und Plattenläden geschlossen haben. WIr haben spät damit angefangen, digital zu vertreiben. Dann fingen aber so viele Leute damit, dass wir uns doch dazu entschlossen haben.« Es sollte der richtige Schritt zur richtigen Zeit sein. Mit dem zusätzlichen Geld, das durch die Digitalverkäufe hereinkam, konnten neue Vinylpressungen bezahlt werden. »Es ist ein bisschen paradox, aber im Grunde bedeutete der Wachstum des digitalen Markts einen großen Gewinn für Vinyl.« Vom vielerorts kolportierten Hype um das Medium Vinyl bekämen sie aber nichts mit, meint Kersten und stellt klar: »Das betrifft Major-Konzerne und ist eigentlich desaströs für kleine Labels. Wir müssen irrsinnig lange auf unsere Pressungen warten und die Majors machen mit Platten, die auf jedem Vorstadtflohmarkt zu finden sind, die Presswerke richtiggehend kaputtmachen. Das ist schlimm!« Wie sich die Dinge aber auch ändern mögen, Dial Records bleibt.

Und wächst sogar: Aus Sky Walking, dem Impro-Projekt, das Peter Kersten mit Christian Naujoks und Richard von der Schulenburg im Umfeld des Hamburger Golden Pudel Clubs gegründet hat, entwickelt sich gemächlich ein neues Label. Konkrete Pläne gibt es aktuell wenig, es wird aber schon halt irgendwie etwas enstehen.