Oddisee – Kompass ohne Morden

15.08.2017
Foto:© Mello Music Group
Zu müde, um zu kämpfen -– zu wach, um aufzugeben. Oddisee befindet sich zwischen den Gräben, zwischen den Polen. Das war schon immer so. Ein Grund, warum seine Texte zu dem Intelligentesten gehören, was man im Rap so geboten bekommen kann.

»Ich denke schon, dass Proteste etwas bringen. Die Menschen müssen ihre Stimmen hörbar machen können. Aber das Problem daran ist: es ergeben sich daraus meist Kontroversen, die letztendlich kontraproduktiv sind.«

Oddisee ist keiner, der einem reißerische Thesen liefert, keiner für leichte Antworten. Wie auch, als schlauer Kopf in schweren Zeiten. Rassismus-, Sexismus-, Kapitalimuskritik – alles da, und noch viel mehr. Doch während Oddisees berühmtere Kollegen sich zwischen #BlackLivesMatter und #AllLivesMatter aufreiben und schließlich Position beziehen, stellt der Rapper und Produzent das Sich-Entscheiden-Müssen an sich in Frage.

Amir Mohamed el Khalifa, so Oddisees bürgerlicher Name, lässt seine Integrität nicht von den Mechanismen der Musikindustrie kompromittieren. Er hat nie dick aufgetragen, um zu verkaufen. Er stellt Zeitlosigkeit vor Zeitgeist anstatt im Autopiloten auf Autotune die Charts anzusteuern, zimmert er sich seine eigenen von Staubpartikeln eingeschneiten Tunes zusammen. Und trotzdem behauptet er sich seit Jahren im Game. Oddisee hat eine treue internationale Fanbase, die ihm das Leben von der Musik abseits des Mainstreams ermöglicht.

Mittlerweile auch das seiner Familie, zu der seit dem 21. Juli seine Tochter Zaina gehört. Während el Khalifa von seinem Künstlerverständnis erzählt, schlummert sie im Nebenzimmer. Mit einem Buch in der Hand und ihr auf der Schulter hat er sie am Morgen in den Schlaf gewippt. Danach ging es direkt ins Musikzimmer. Denn auch, wenn für den Musiker Vatersein der bestmöglichste Job ist, bleibt finanzielle Stabilität seine Mission. »Nicht nur, damit ich Kunst machen kann«, erklärt er«. »Das gilt generell, damit ich meiner Zeit das machen kann, was ich will. Deswegen heißt family first: arbeiten. Ich kaufe meine Zeit von der Welt zurück.«_
El Khalifa selbst wurde als Sohn eines Sudanesen und einer Afro-Amerikanerin in die Rolle des Vermittlers hineingeboren. Sein Vater ist muslimischen Glaubens kommt, seine Mutter wurde christlich erzogen. »Ich war immer irgendwo dazwischen«, erzählt der 32-Jährige, »und habe die eine Seite der anderen Seite erklärt, weil ich Perspektiven nachvollziehen konnte, während sie sich nicht verstanden.«

Ein Leben zwischen den Polen. Noch mehr nach der Trennung seiner Eltern. Während der junge Amir wochentags bei seinem Vater in Prince George’s County, Maryland, weilte, das an die ungemütlicheren Gegenden von Washington D.C. grenzt, pendelte er für die Wochenenden in die betuchtere Gegenden von D.C., wo seine Mutter lebte.

»Ich bin erschöpft! Ich bin verbittert, zynisch, skeptisch!«

Oddisee
Wo er statt Cartoon Network die Nachrichten schaute und statt Sandmännchengeschichten Gedichte las. In diesem Umfeld war er nicht mehr das ghetto kid von unter der Woche, sondern der Muslim, der Nerd, der häufig nach Afrika flog. Für seine sudanesischen Verwandte wiederum war er schon immer der Ami mit den Jordans.

Dass sein Bewusstsein für die Beliebigkeit solcher Stigmata derart gedeihen konnte, wie es auf seinem jüngsten Album »The Iceberg« zu hören ist, verdankt der inzwischen in New York lebende Oddisee seinen Eltern. »Sie waren sehr geduldig und haben mir immer erklärt, warum sie etwas von mir verlangten. Umgekehrt musste ich auch immer darlegen können, wenn ich etwas wollte.« Den Mut, die eigenen Motive zu hinterfragen, überhaupt, Fragen zu stellen will er auch seiner Tochter weitergeben.

Die Bereitschaft dafür erwartet er von seinem Publikum. Auch wenn ihm klar ist, dass er als Künstler lediglich eine Projektionsfläche bieten kann. »Mit meiner Musik offenbare ich meine Meinung nicht unbedingt – die Leute lesen sie hinein. Denn dadurch können sie zustimmen oder Abstand nehmen.« Viele seiner Kollegen nähmen den Shortcut, druckten ihre Meinung ab, ihre Wahrheit, die dann nicht nur Gleichgesinnte anziehe, sondern den ganzen Rest in eine antagonistische Position zwinge.

Solch eine Kunst ist nicht in El Khalifas Sinn. Er weiß, dass er als Rapper gesellschaftsrelevanter Lyrics auf Messers Schneide wandert. »Es geschieht sehr leicht, dass solche Musik [wie ich sie mache] als rechthaberisch empfunden wird, und genau solche Momente schmälern ihren Unterhaltungswert – weil sie dann als Züchtigung oder Bildungsmaßnahme wahrgenommen wird«, sagt er. Um dem zu entgehen, versucht El Khalifa ohne eindeutige Werturteile auszukommen. So wie im Song »Like Really«, dem Paradebeispiel seines offenen Ansatzes auf »The Iceberg«. Komplexe, strukturell bedingte Problematiken entwirrt Oddisee mit dem simplen Mittel der Frage. »How you make a film about Egypt with all leading roles caucasian«, fragt er da, aber nicht vorwurfsvoll, sondern ernst gemeint, »nah like really folgt auf jede Fragestellung. How you gonna make us great, when we were never really that amazing (nah like really)?«.

So überrascht es auch kaum, dass El Khalifa ohne Zögern einem Panel beiwohnen würde, bei dem er mit Trump-Unterstützern ins Gespräch käme. »Lass uns verstehen, warum du für Hillary gestimmt hast, warum du für Trump: Was unterscheidet uns, welche Sorgen haben wir gemeinsam? Wenn ich danach noch ein paar Songs spielen soll, bin ich sofort dabei. Aber wenn ich vor den Trump Towers protestieren soll, bin ich raus.«

Dass denen mit den schmissigen Hashtags und dem Schubladendenken mehr Öffentlichkeit zuteil wird, lässt ihn nicht kalt. »Ich bin erschöpft! Ich bin verbittert, zynisch, skeptisch! Aber meine Kinder werden mit dieser Welt interagieren müssen. Also tue ich mein Anteil, um ihn zu einem sicheren Ort zu machen. Das ist das Ziel meiner Musik, ihre Botschaft, darin bin ich gut.«_

Als geborener Vermittler will El Khalifa mit seiner Musik Dialoge ermöglichen. So wie damals, im Skater’s Palace in München. Wie auch sonst bat er nach seinem dortigen Konzert einige Fans in den Backstage-Bereich, zwei schwarze Studenten, einen türkisch-stämmigen, einen Deutschen. Würdet ihr euch im Alltag miteinander unterhalten?, fragte der Rapper damals. Die jungen Männer verneinten. Wenn ihr schon meine Musik gemein habt, glaubt ihr nicht, da könnten noch mehr Gemeinsamkeiten sein? Die Fans nickten. Dass sie danach ins Gespräch kamen, zählt zu den stolzesten Momenten in Khalifas Karriere als Oddisee.