Palmbomen II – Fake Memories

19.02.2018
Foto:Juan B. Cano / © Beats In Space Records
Palmbomen II reist in seiner Musik mit altem Equipment in eine neue Welt. Eine Welt, die es nicht gibt. Aber als Hörer meint man sich an sie erinnern zu können. Verwirrend? Gut, dass wir den Mann sprechen konnten.

Déjà-vu-Erlebnisse, Erinnerungsempfindungen, Reminiszenzen. Seit Oneohtrix Point Never waren die Temporallappenanfälle nicht stärker als bei Palmbomen II. Letztes Jahr erschien peu à peu seine Trilogie »Memories Of Cindy« bei Beats In Space einem Sublabel von Rvng Intl Darauf erschafft er mit seiner Musik Momente, die sich anfühlen wie Erinnerungen, wie reale Orte in der Vergangenheit – die in Wirklichkeit aber fake sind. Orte, an die man sich erinnern kann, obwohl sie nie existiert haben. Fake memories.

Im Gespräch sagte Palmbomen allerdings immer wieder Sätze wie: »Ich halte nichts von Nostalgie.« Oder: »Ich glaube an die Zukunft«. Und die Musik von Palmbomen II bestätigt ihn. Denn auch wenn ihm ein prinzipielles Interesse an Geschichte nicht abzusprechen ist, besitzt seine Kunst kein historisches Bewusstsein. Sie ist nicht Teil einer Retromanie. Sie ist weder Zitat noch Wieder-holung. Die Musik von Palmbomen II klingt so wie sie klingt, weil das Setting der hier zu erzählenden Geschichte so angelegt ist; in dieser Nicht-Zeit zwischen Vergangenheit und Zukunft, an diesem Nicht-Ort zwischen Hier und Dort. Schon den Namen, Palmbomen, hat der in den Niederlanden aufgewachsene Kai Hugo nicht grundlos gewählt. Er ist vielmehr Sinnbild für diese Kunststoffbäume, die aus biederen Betonbauten tropische Badeparadiese machen sollen. Die Ahnung, das ein Gefühl, eine Atmosphäre real ist, die es nie gab und nie geben wird.

Kai Hugo ist in erster Linie ein Erzähler. »Memories Of Cindy« erzählt die Geschichte der fiktiven Stadt Carmel Vista of Cindy und seiner Einwohner. Es ist der Beginn eines noch viel größeren Zyklus‘, ein Universum, das gerade erst im Entstehen ist. Damit das Storytelling funktioniert benötigt Palmbomen II die Hilfe von Videos. Sie erst geben der Musik ihren Zusammenhang. Ohne die Videos hat die Musik etwas Verstörendes. Mit den Videos erfährt sie einen Sog, der dich nur schwer loslässt. Dadurch funktioniert die Musik von Palmbomen II auf zwei Ebenen – auch auf zwei Ebenen ganz unterschiedlich. Das Herauszufinden, brauchte es das nachfolgende Interview.


Schallplatten von Palmbomen II findest du im Webshop von hhv Records.


Beim Hören von »Memories Of Cindy« ist mir folgende Textstelle des niederländischen Schriftstellers Cees Noteboom eingefallen. Darin heißt es: »Die Erinnerung ist wie ein Hund, der sich hinlegt, wo er will.« Wie gefällt dir das?
Kai Hugo (Palmbomen II): Ich stimme absolut zu. Manchmal wird meine Arbeit »nostalgisch« genannt. Und ich hasse das. Ich mag keine Nostalgie, denn ich habe keine Sehnsucht nach den alten Zeiten. Niemals. Ich kann die Vergangenheit auch gar nicht losgelöst von den schlechten Dingen und Widerwärtigkeiten betrachten, die einst passiert sind, ob in den 1960er Jahren oder in den 1980er Jahren. Nostalgie stellt die Vergangenheit in ein zu positives Licht. Eine Menge schrecklicher Dinge geschehen heutzutage auf der Grundlage von Nostalgie und ich möchte nicht als Teil dieser Entwicklung gesehen werden. Andererseits verstehe ich natürlich auch, wenn meine Arbeit als »nostalgisch« beschrieben wird. Denn ich benutze dieses alte Equipment, ich mag die Einschränkungen dieser Gerätschaften. Aber ich kopiere ganz und gar nicht die Vergangenheit. Es ist eher so, dass ich versuche, die Vergangenheit neu zu erfinden. Als würde ich eine neue Welt erfinden. Ein Universum, das düstere und hellere Seiten hat, Dystopien und Utopien in sich vereint.

Du bist doch auch Niederländer: Beschäftigt man sich bei euch generell künstlerisch so intensiv mit Erinnerungen?
(lacht) Das ist eher Zufall. Ich habe auch spontan keine anderen Beispiele parat.

»Klar kannst du auch mit instrumentaler Musik Geschichten erzählen, aber die Möglichkeiten sind begrenzt.«

Als jemand, der auf verschiedenen Feldern der Kunst arbeitet: Eignet sich Musik besser als andere Künste Erinnerungen zu bewahren?
Ja, Musik ist sehr gut darin, Erinnerung hervorzurufen, denn sie funktioniert so unbewusst. Einen Song mag man ja auch oft aufgrund der Situation, in der man ihn zum ersten Mal gehört hat. Und du kannst denselben liebgewonnenen Song in einem anderen Kontext noch einmal ganz anders wahrnehmen. Für diese Direktheit und Zugänglichkeit habe ich Musik immer sehr geliebt. Aber erst, als ich begonnen habe Film und Musik miteinander zu verschränken, hat es mich wirklich umgehauen. Diese beiden Dinge zusammenzubringen, ist für mich der Schlüssel dafür, diese Erinnerungswelten zu kreieren.

Beim Hören deiner Musik wird sehr deutlich, dass es dir auch um dass Erzählen von Geschichten geht. Alles fügt sich wunderbar ineinander, wie ein großes Werk, das in verschiedene Kapitel aufgeteilt wurde. War das deine Absicht?
Ja, absolut. Es ist eine Form von Zwangsneurose bei mir. Gleichzeitig ist es auch Ausdruck meines rationalen Denkens. Ich bin sehr rational. Ich bevorzuge es von den Gegenständen zurückzutreten und sie von einer höheren Warte aus zu betrachten. So sehe ich besser den Zusammenhang. Danach zerhacke ich dieses große Ganze in viele kleine Teile. Ich beschreibe diese kleinen Teile und arbeite sie detailliert aus. So in etwa. Innerhalb dieser ganz kleinen Teile arbeite ich dann wieder sehr frei. Es ist immer eine Auseinandersetzung zwischen künstlerischer Freiheit und selbst auferlegten Beschränkungen. Ich brauche einen sauberen, weißen, sterilen Raum, um darin richtig schön zu sudeln. Mit einem Saustall als Ausgangsbasis funktioniert das nicht.

Was ist denn die größte Herausforderung, Geschichten nur mit Musik zu erzählen?
Es ist sehr schwer und auch der Grund, wieso ich das Gefühl hatte, die Hilfe von Videos zu benötigen. Sie geben der Musik einen Kontext. Ich habe das für mich herausgefunden, als ich Filmmusik für andere komponierte. Klar kannst du auch mit instrumentaler Musik Geschichten erzählen, aber die Möglichkeiten sind begrenzt.

Noch einmal kurz zurück zum Thema »Erinnerungen«. In diesem Fall zu deinen eigenen Erinnerungen: Bist du manchmal auch froh der Jugend entronnen zu sein?
(lacht) Nein, nicht per se. Manchmal bin ich schon auf eine Art neidisch auf jüngere Menschen, wie sie heutzutage aufwachsen und die Welt schlicht als ihre Welt begreifen und Dinge, die für mich neu erscheinen als normal ansehen. Andererseits liebe ich es sehr, zu sein, wo ich gerade bin, und das dem so ist, hat sehr viel mit meinen Teenage-Tagen zu tun. Also weder froh noch traurig irgendwie…

»Ich bin nicht der Typ, der in der Vergangenheit herumgeistert.«

Es stand geschrieben, dass du als Teenager weniger in die Klubs gegangen bist, sondern mehr Interesse an Schallplatten hattest. So lass uns ganz kurz darüber sprechen: Mit welcher Schallplatte hat dein Interesse an Musik begonnen?
Ich habe tatsächlich bereits sehr früh angefangen Musik zu hören und auch zu sammeln. Die erste CD-Single, die ich mich erinnern kann, gekauft zu haben, war »Freed From Desire« von Gala Da war ich sehr jung. Außerdem erinnere ich mich an die Bloodhound Gang. Ich mag diese Musik noch immer. Aber ich denke, es war Daft Punk, als ich so 11 oder 12 Jahre alt war, und dann Legowelt und die Veröffentlichungen auf Bunker Records, dann war ich schon 15 oder 16 Jahre alt, welche die tatsächlichen Auslöser für meine Musikbegeisterung war.

Gibt es eine Schallplatte, die du einst geliebt und später fallengelassen hast?
Da müssen wir wohl in eine Periode gehen, in der ich alternative Rockmusik bevorzugt habe. Wahrscheinlich müsste ich hier so ziemlich alles von Radiohead nennen.

Du bist in den Niederlanden aufgewachsen, hast auch Berlin gelebt, und bist inzwischen in Los Angeles zu Hause. Was sind die Vorteile eines Lebens in Los Angeles und was vermisst du an Europa?
Ich mag es sehr, Europa aus der Entfernung zu betrachten. Ich weiß dadurch viele Dinge sehr viel mehr zu schätzen. Los Angeles ist ein hervorragendes Pflaster um Filme zu machen. Das kann ich in der Form in Europa nicht. Was ich vermisse, sind so handfeste Dinge: gutes Brot, öffentliche Verkehrsmittel, solche Dinge.

Für viele Musiker, gerade im eher experimentellen Feld, ist es nicht leicht von ihrer Kunst zu leben. Entweder müssen die Musiker in sehr vielen unterschiedlichen Projekten aktiv sein oder sie gehen neben der Musik einer normalen Arbeit nach. Wie gestaltet sich denn das Leben als Künstler in Los Angeles?
Erst vor kurzem habe ich genau darüber mit einigen Freunden diskutiert. Ich las den Tweet eines DJs und Producers aus meiner Szene, der darüber klagte, wie wenig Geld das Streaming auf Spotify abwerfe. Aber auf der anderen Seite erhält dieser Musiker dann, sagen wir 2.000 bis 5.000 US-Dollar Gage dafür zwei bis drei Stunden Schallplatten aufzulegen. Das ist Geld, dass er nicht mit anderen Bandmitgliedern teilen muss, und dass er verdient, weil Leute seine Musik auf Spotify entdeckt haben. Zugegeben, ich tue mich schwer mit Spotify, schon aus dem Grund, weil ich dort nicht sehr viel Musik finden kann, die mich interessiert. Aber ich finde es auch abstrakt, sich Zeiten herbeizusehnen, in denen der Verkauf von Schallplatten das Eigenheim finanzierte, also so zu tun, als würde es das Internet nicht geben. Das war halt eine andere Zeit, in der Reisen ungleich schwieriger war, in der es nicht so leicht wie heute war, ein paar Gigs zu spielen und schon gar nicht eine Schallplatte zu veröffentlichen.

Palmbomen II
Memories Of Cindy Part 1
Beats In Space • 2017 • ab 12.99€
Ja, ich kann von meiner Musik sehr gut leben. Das Geld verdiene ich bei den Shows. Das gewährleistet mir ausreichend Zeit und Geld, um an neuer Musik und meinen Videos zu arbeiten. Ich verspüre absolut keine Einschränkungen in den Dingen, die ich mache. Ich habe mir mein Equipment so zusammengestellt, dass ich damit einerseits leicht Musik komponieren kann, und das andererseits so transportabel ist, dass ich damit leicht überall hinreisen kann. Ich habe mir einfach eine Umgebung geschaffen, die es mir ermöglicht, so zu arbeiten und zu leben, wie ich es mir vorstelle. Das klingt vielleicht jetzt ein wenig »geschäftstüchtig«, aber es ist ein Modell, dass das Leben als Musiker ermöglicht. Ich bin nicht der Typ, der in der Vergangenheit herumgeistert, sich dort das Schönste herauspickt und dann hofft, dass sich das hier und heute wiederholt. Und ist es nicht auch das, was uns der Satz von Cees Noteboom sagen wollte?