Review

Vladislav Delay

Mutila

Keplar • 2020

Wahrscheinlich hat keine Platte in diesem Jahr das Remastering durch Rashad Becker mehr verdient, so subtil es auch sein mag. Zwar sind auf »Multila« lediglich die ersten EPs von Vladislav Delay aus den Jahren 1999-2000 versammelt, doch hatte der Finne schon mit diesen Pionierarbeiten für Chain Reaction eindrücklich demonstriert, wie weit er seiner Zeit voraus war – und warum er bald selbst zu einem der wegweisenden Klangkonzepter elektronischer Musik avancieren würde. Verschüttet unter meterdicken Distortions und granulären Synth-Iterationen, muss das hörende Ohr eine gewisse mentale Fitness mitbringen, um sich durch die viskosen Repetitionen den Weg bis zum Kern eines jeden Tracks dieser Kompilation freizuschaufeln. Je länger und tiefer die Grabung geht, desto heftiger beginnt aber irgendwann glitchige Intensität einer in Design und Ausführung bewusst imperfekten Produktion zu sprudeln. Dann klingt dieses Album als sei es vom Glimmen defekter Straßenlaternen inspiriert, vom heißen Stahlbeton ausrangierter Kühltürme oder von opaken Gewitterszenen schwüler Sommertage. Das gesamte Spektrum von Höhen und Tiefen liegt verwittert im Regen dar, rostet und entwickelt mit jedem weiteren Turn merkwürdige Lebendigkeit. Schon die sechs Ambient-Stücke auf »Multila« wären deshalb Grund genug, diesen Remaster als detailversessenen Härtetest für jeden Studiokopfhörer anzunehmen. Doch entpuppt sich das ausufernde »Huone« als der eigentliche auditive Trip – 22 Minuten lang von wässrigem Dub Techno durchdrungen, akustisch kaum greifbar hinter Wänden aus Glasbausteinen verborgen. Was sich dort wirklich abspielt, ist erst jetzt, zwei Jahrzehnte später, schemenhaft erkennbar: Die Zukunft.