Review

Drew McDowall

Agalma

Dais • 2020

Arbeitstitel: »Ritual Music«. So griffig ließe sich das Sounddesign auf Drew McDowalls viertem Solo-Album zwar tatsächlich beschreiben. Doch wäre damit die akustische Vielfalt von »Agalma« großzügig ausgeklammert. Denn hinter dem rituellen Grundtenor dieser neun neuen Stücke verbergen sich unwirkliche Räume modulierter Schönheit, geschält aus sakralen Drones, elektroakustischen Experimenten und einem speziellen Verständnis des Begriffs »Industrial«, der bei McDowall immer öfter auch eine entrückende Komponente innehat. Bizarr aufgeschichtete Layer von Stimmen formt das ehemalige Coil-Mitglied in brillanten Features mit Caterina Barbieri Kali Malone Maralie Armstrong-Rial oder MSYLMA (unter anderem!) zu einer beinahe zeremoniellen Vision der Welt in zehn, zwanzig, dreißig Jahren, wenn ganze Metropolregionen aus dem Schuttnebel eines längst verhallten Weltbürgerkrieges auftauchen – im worst case. Sicher: Untergangsstimmung scheint mittlerweile so salonfähig wie zuletzt in den 1920ern, doch auf »Agalma« ist sie weniger Modeerscheinung, eher ein Nebenprodukt viel größer gedachter musikalischer Prozesse. Gleich einem Alchemisten bedient sich Drew McDowall in verwegenen Produktionen einer Effektpalette, die gläserne Pianos und seraphische Choräle ebenso umfasst, wie gleißende Feedbacks, amorphe Celli oder Dudelsäcke und den wahrscheinlich besten Autotune-Einsatz des Jahres in »Agalma VII (Toyor El Janeh)«. Es dominiert verstromter Klang aus körperlichen Quellen, halluziniert und doch concrète. Wie semidigitale Schemen im Sonnenlicht, manifestieren und verdampfen diese Track gewordenen Kultbilder als Votivgaben künftiger Götzen, denen unsere Nachkommen, abgeschnitten von jeder Vergangenheit, in skelettierten Kühltürmen huldigen werden. Das Ende als stöhnender Auftakt von etwas Neuem? Gibt es ja immer wieder mal. Eigentlich wollte Drew McDowall dieses Jahr in Köln eine neue Live-Darbietung des binauralen Coil-Klassikers »Time Machines« präsentieren, den er 1998 zusammen mit John Balance und Peter Christopherson aufnahm. Fiel natürlich flach, aus Gründen. Die Zeitreise unternimmt er mit diesem Trumm von Album dennoch.