Review

Various Artists

Shouts 2021 Vol.1&2

Rhythm Section international • 2021

In London sind sie Berlin immer eine Nasenlänge voraus, zumindest in Sachen Gentrifizierung. Nachdem Dalston durchsaniert wurde, ist seit geraumer Zeit Peckham an der Reihe, Sitz des Labels Rhythm Section International Als Bradley Zero sein Imprint mit EPs von Al Dobson Jr. und Prequel inaugurierte, war Peckham allerdings noch eine Keimzelle für alternative Partys, die den von post-migrantischer Kultur und Arbeiter:innenklasse geprägte Stadteil zum wahren Schmelztiegel werden ließ. Seitdem ist nicht nur in der Stadt und beim Label, sondern auch in der Welt passiert und Zero zollt dieser Tatsache sowie dem Namen seiner Firma zunehmend Tribut. Schon die letztjährige Ausgabe der Label-Werkschau »Shouts« gestaltete weitaus internationaler als das Gros des Backkatalogs von Rhythm Section International, die nun folgende Zusammenstellung tut das erst recht – und diversifiziert sich auch in stilistischer Hinsicht. Von den 21 digital erhältlichen Tracks werden je sechs auch auf zwei Samplern bereitgestellt und repräsentieren so im Kleinen das facettenreiche big picture. Schon im ersten Teil gibt es Acid-getränkten Big Beat von Liluzu aus Australien, ein Hand-Drum-getriebenes UK-Bass-Derivat vom Schweizer Mafou und die von Kuduro inspirierten Beats der zwischen Portugal und Frankreich lebenden Nídia zu hören, bevor auf der Flip Yushh mit breakigem Techno klarstellt, dass sie aus Bristol kommt, Dylan Bryne mit verspultem Deep House New Yorker Prägung brilliert und Klein Zage vom in New York und Berlin ansässigen Label Orphan nahtlos daran anknüpft und Brynes Dub-Exkursionen aber minmalistisches Klavier und eine wunderbar humorvolle Spoken-Word-Performance entgegenstellt. All Killer, no filler! Das gilt mit Abstrichen auch für die zweite Auskopplung. Soso Tharpa aus Washington D.C. eröffnet diese mit einem irrlichternden Stepper, während Pookie – es handelt sich nicht um den Weggefährten von Blake Baxter, sondern eine Rapperin und Produzentin aus dem Südsudan – mit einem Hybrid aus Trap-Anleihen und Horrorcore-Vibes weitermacht, bevor Tom Esselle mit drückendem, klassisch britischem Tech House ums Eck kommt. Eine wilde Mischung mit nicht ganz zufriedenstellendem Ende, auf die auf der B-Seite Hassan Abou Alam von Kairo aus mit gewieften Breakbeats und einer ohrwürmelnden Hook antwortet. Der Brite Adam Pits will mit einem trockenem, boomendem Bassline-Track die Peak Time ansteuern, doch macht der US-Amerikaner Kareem Ali dem Sampler zum Abschluss Flügel – »Black Futures« ist ein ätherischer House-Tune, der es sich irgendwo zwischen Omar-S, Moodymann und Galcher Lustwerk über den Wolken gemütlich macht. Es geht kurz gesagt zum Abschied noch einmal ganz weit raus auf einer Compilation, für die sich ein Label aus London noch viel weiter in die Welt herausgewagt hat und doch seinen Wurzeln treu blieb. »Shouts« ist wie Peckham echter Schmelztiegel und zum Glück von jeder Gentrifizierung Lichtjahre entfernt.