Review

Chilly Gonzales

The Ivory Tower

Heavenly Sweetness • 2010

»Without the competition will I become a hippie or a hipster with no ambition?« Das fragt sich Chilly Gonzales in The Grudge, einem der gerade mal vier Stücke seines siebenten Albums, die einen Text vorweisen. In den titelgebenden Turm schien sich der Künstler nach der ernüchternden Resonanz auf das 2008er Vorgänger-Album Soft Power (seine Hommage an das Popjahr 1978, die hier in Earth, Wind & Fire-artigen Gute-Laune-Stücken wie You Can Dance oder Knight Moves fortgeführt wird ) tatsächlich eine Weile zurückgezogen zu haben. Die Erfahrung, dass dasselbe Team, welches die Feist-Alben zu Bestsellern machte (er und Renaud Letang), ihn als Singer/Songwriter nicht etablieren konnte, sah der Enddreißiger als Zeichen für eine neue Kreativkonstellation. Mit Erfolg! Dem elf Jahre jüngeren House-Produzenten Boyz Noise ist es geglückt, den Klaviervirtuosen bei allen Stücken in den Mittelpunkt zu stellen und dabei trotzdem fürs tanzbarste Gonzales-Album seit Presidential Suite (2003) zu sorgen: das aus polyrhythmischem Schnipsen und Piano-Loops zusammengesetzte Never Stop geriet ebenso clubtauglich wie I Am Europe, jene Ohrfeige im ABBA-Gewand, in welcher der Kanadier seine unappetitlichsten zales:Reiseeindrücke (»I’m an imperial armpit sweating Chianti, I’m a toilet with no seat…«) aneinander reiht. Zugleich ist Ivory Tower Soundtrack eines gleichnamigen Films, in dem Gonzales einen Ex-Schachweltmeister verkörpert, der für eine wettkampffreie Spielweise (»Chess Jazz«) plädiert. Mit Vollbart und Wuschelmähne ähnelt er in diesem Streifen verblüffend Kevin Godley, an dessen satirische Geniestreiche – als Hälfte von Godley & Creme – das eingangs zitierte Missgunstlied auch musikalisch erinnert. Weshalb Chilly Gonzales das Album 2010 nur auf CD veröffentlichte, bleibt des Künstlers Geheimnis. Dass es nun – zeitgleich mit seinem orchestralen Rap-Opus The Unspeakable Chilly Gonzakes – bei den Soul-Spezialisten von Heavely Sweetness nachträglich als Deluxe-Doppel-LP erscheint, ist natürlich zu begrüßen!