Review

Brad Mehldau

10 Years Solo Live

Nonesuch • 2015

Wer abends Konzerte gibt, kann sich tagsüber nicht seine alten Auftritte anhören. Vor diesem Dilemma stand Brad Mehldau bei der Arbeit am Box-Set »10 Years Solo Live«. Auch deshalb hat der Pianist vier Jahre gebraucht, um aus 40 kompletten Konzerten aus den Jahren 2004 bis 2014 19 auszuwählen. Von diesen schafften es mehr als fünf Stunden Musik auf seine neue 8-LP-Box. Brad Mehldau hatte in den späten Neunzigern, nach mehreren erfolgreichen Trio-Alben, mit Auftritten ohne Begleitung begonnen. In den Nullerjahren performte er sein Soloprogramm auch in klassischen europäischen Konzerthallen. Diese von Mehldaus eigenem Toningenieur mitgeschnittenen Aufnahmen brachte der Pianist in einen neuen Zusammenhang und orientierte sich dabei an Stimmungen: während die ersten beiden LPs namens »Dark/Light« düstere und optimistische Stücke miteinander kontrastieren, beschreibt die Reihenfolge der Tracks auf LP drei und vier den Ablauf eines Mehldau-Konzertes im Jahre 2010. »Intermezzo/Rückblick« besteht aus kürzeren und klassisch inspirierten Stücken. »E Minor/E Major», die letzten beiden LPs, enthalten vorwiegend Songs in namentlichen Tonarten. All das kommentiert der Künstler in den höchst ausführlichen Liner Notes. Eigenkompositionen gibt es hier kaum, Mehldau spielt John Coltrane, Thelonious Monk und mehrmals die Beatles. Und die Songs, die den Pianisten in seiner frühen Karriere prägten: Massive Attack, The Verve und natürlich Radiohead. Drei Mal covert Brad Mehldau die englische Rock-Band, darunter gleich zwei sehr verschiedene Versionen von »Knives Out«. Ein fulminantes Set mit hohem Anspruch. Denn hier ist nicht nur die schwärmerisch-romantische Seite des US-Amerikaners vertreten. Auch die nicht immer leicht verdauliche, expressiv-avantgardistische kommt zum Zuge. Was zu grandiosen Ergebnissen führen kann – die 18-minütige Soloversion von »Interstate Love Song« der Stone Temple Pilots beweist es.