Aigners Inventur – Mai 2014

13.06.2014
Auch diesen Monat setzt sich unser Kolumnist vom Dienst wieder kritisch mit der Release-Flut auseinander, selektiert, lobt und tadelt. Any given month. Dieses Mal u.a. unter der Lupe: The Roots, SD Laika, Joakim und zwei Fatimas.
50 Cent
Animal Ambition: An Untamed Desire To Win
G-Unit • 2014 • ab 20.53€
Zur Review
Wir beginnen heute mit Fiddy. Das liegt primär daran, dass Irregular Heartbeat einer meiner Lieblingstracks des Jahres ist, wofür auch Jada im »Rite Where U Stand« Modus verantwortlich ist, aber auch daran, dass es so wunderschön mitanzugucken ist, wie das Business (, Man) 50 Cent zusehends überfordert. »Animal Ambition« ist herrlich anachronistisch, hilflos ungelenk und deswegen wahrscheinlich das aufrichtigste Album von 50 Cent seit »Guess Who’s Back«. Statt Young Thug croont hier immer noch Trey Songz und man wird das Gefühl nicht los, dass Fiddys smartester Promo-Move mit Abstand sein ungelenker Meme-Pitch war. Süß, wenn solche Corporate Design Fleischberge unfreiwillig menscheln.

The Roots
... And Then You Shoot Your Cousin
Def Jam • 2014 • ab 28.99€
Ungleich unheimlicher sind mir dagegen The Roots, die immer noch wie ein Uhrwerk alle zwei Jahre ein Album veröffentlichen, auf dem sie sich immer irgendwie neu erfinden, fordernd bleiben und mich irgendwie als aufmerksamen Hörer trotzdem verloren haben. Wobei ich letzteres komplett selbst zu verschulden habe und niemand öffentlich zugeben sollte, dass er sich das letzte Gucci Mane-Mixtape konzentrierter in voller Länge angehört hat, er aber bei »& Then You Shoot Your Cousin« pflichtbewusst erstmal Mutti zurückgerufen und endlich den Abwasch erledigt hat. Nun gut, lasst euch vom Aigner’schen Ottentum nicht abschrecken, hier wird abgeliefert.

Atmosphere
Southsiders
Rhymesayers • 2014 • ab 39.99€
OK, wie sage ich das jetzt am diplomatischsten? Also, äh, meine Hauptproblem mit Slug war gar nicht diese mittelklassige, emotionale Weinerlichlichkeit, sondern dass er dabei so äh, äh, äääääh, kaukasisch klang. Slug 2014 ruht zwar dank einer ridikulös treuen Fangemeinde sehr in sich, aber klingt in diesem Zustand auch immer so als würde er sich entschuldigen uns auf »Southsiders« mit seinen Banalitäten zu stören. Das ist sympathisch, aber halt eben per definitionem belanglos. Sagt wiederum der Typ, der dieses Gucci Mixtape… aber gut, lassen wir das. Was hingegen auch 2014 auffällt: Ant ist einer von den guten und Releases von Atmosphere sind immer noch sehr elegant und organisch produziert.

Fatima
Yellow Memories
Eglo • 2014 • ab 25.99€
Organisch ist ein gutes Stichwort für »Yellow Memories«. Fatima etabliert sich hier weiter als die zurechnungsfähige Zehner-Jahre-Badu, statt J Dilla, James Poyser und Madlib werkeln halt Floating Points, Funkineven und fLako am Neo-Neo-Soul-Korsett. Dazu trällert sich Fatima versatil, aber nie zu divenhaft, pointiert, aber immer uneitel durch ein Album, das vom Okayplayer bis zu Kode 9-Stan alle gern haben werden.

Max Graef
Rivers Of The Red Planet
Tartelet • 2014 • ab 16.99€
Zur Review
Auch sehr schnell Nerd’s Darling geworden ist Max Graef, ein 18-jähriger Steppke, der auf »Rivers Of The Red Planet« für sein Alter bemerkenswert lässig den Bogen von Detroit House zu Post Boom Bap spannt. Nun könnte man anführen, dass nicht nur Andres oder Moodymann solche Fingerübungen eigentlich obsolet gemacht haben oder aber dass Mathias Reimling hierzulande dies noch müheloser tut, aber alleine für »Running« und »Mulholland Drive« kann man sich die 2LP einpacken.

Sd Laika
That's Harakiri
Tri Angle • 2014 • ab 23.79€
Mit dieser Picknickdeckengemütlichkeit ist es jäh vorbei. SD Laika pinkelt in deine Kühlbox und lacht noch nichtmal darüber. »That’s Harakiri« ist genauso lebensfroh wie sein Titel, Grime als steter Referenzpunkt zwar richtig, aber nichtssagend. Gut, diese billigen 8Bit-Presets und Staccato-Snares, geschenkt. Aber eigentlich ist das Beatmaking eines bockigen Teenagers, der seine Medikamente nicht genommen hat und nun die Welt dafür abstrafen will. Selten passen hier Töne ineinander oder zueinander, der Takt ist im Zweifelsfall da, aber bekommt trotzdem keinerlei Respekt. Schwierig, gerade jetzt wo es draußen freundlich geworden ist, aber Tri Angle ist und bleibt kein Dienstleister. Mehr davon.

Ben Frost
Aurora
Mute • 2014 • ab 22.99€
Wem Andy Stott in letzter Zeit nicht hoffnungslos genug war, darf sich jetzt endlich wieder auf ein neues Ben Frost Album freuen. Fast undenkbar, dass ein Mann, der solch mächtig entrückte Collagen produziert in erster Linie NBA-Stat-Nerd ist und morgens gewissenhaft schwimmen geht. Sein erstes Album seit 2009 ist eine Sensation, das dürfte sich rumgesprochen haben, nicht nur weil Ben Frost einer der wenigen ist, die es schaffen Drone und Ambient eine gewisse Stringenz und Persuasivität zu verleihen, die einen immer an einen narrativen Faden glauben lässt. Nein, Frost ist auch beängstigend gut darin, Klänge ausklingen zu lassen, so wirkt hier nichts erdrückend oder nach Kunsthochschulen-Abschlussarbeit. Schöne neue Welt.

Inga Copeland of Hype Williams
Because I'm Worth It
• 2014 • ab 16.99€
Zur Review
Inga Copeland macht Heuschnupfenmusik. Was auf ihrem Quasi-Debüt »Because I’m Worth It« passiert – irgendwie waren wir darauf vorbereitet, nach Hype Williams und ihrer Soundcloud-Historie der letzten Zeit und dennoch wird der Hals schnell trocken, der Kopf fühlt sich matschig an, alles klebt und juckt, und obwohl man darum weiß, dass nichts wirklich schlimmes passieren wird, schaut man sich nach jedem Takt nach der nächsten fies stäubenden Birke um. Das ist ungeheuer unbequem, aber weil uns Copeland für jeden gemeinen Haken, für jedes boshafte Störgeräusch dann wieder in unerwartete Melodien gegossenes Cetericin in den Rachen wirft, auch so befreiend. Oh und Actress macht da mit. Uiuiuiuiui.

Fatima Al Qadiri
Asiatisch
Hyperdub • 2014 • ab 15.99€
Zur Review
Sino-Grime. Aha. An der jüngsten britischen Genre-Absurdität ist Fatima Al Qadiris Label allerdings selbst schuld. Dabei ist »Asiatisch« eigentlich gar nicht das Novum, zu dem es der Hyperdub-Prakti mit ungelenken Tags machen will. Nein, das klingt nach all diesen herrlich stumpfen Jammer-Dubplates aus den frühen Nullerjahren, in der ein, zwei asiatische Tokens in das Pattern-Geklöppel aufgenommen wurden und London seine integrative Phase hatte. Fatima Al Qadiri befreit das von Riddim-Funkitonaliät, lässt den asiatischen Elementen mehr Raum und wirkt dabei glücklicherweise aber nie ethno-explorativ, sondern eher Night-Bus-traumatisiert.

Inga Copeland of Hype Williams
Because I'm Worth It
• 2014 • ab 16.99€
Zur Review
Acid. Maschine. Acid. Maschine. Die Russen, ey. Gesloten Cirkle eröffnen »Submit X« direkt mit zwei Versionen ihres wunderbar trampeligen Acid-Stampfers, das ist so konsequent, wie gaga. Vor allem weil sich danach durchaus subtilere (lies: cold wavige) Zwischentöne vernehmen lassen, die eingeschnürt von rotbarometerigem Darkroom-Techno umso galanter wirken. Der Kollege Philipp Kunze hat davon Angst bekommen, als er neulich im Casa Aigner seinen gezuckerten Kaffee trinken wollte. Ein gutes Zeichen.

Answer Code Request
Code
Ostgut • 2014 • ab 14.99€
Ebenfalls Angst hatte er neulich vor Answer Code Request, aber auch der ist nicht gerade bekannt dafür mit besonders welpigem Gestus Musik zu produzieren. Umso überraschender, dass auf »Code« viel Platz ist für untertourige Melodiefragmente, wie beispielsweise auf dem wirklich schöne »Relay Access«, aber eben auch wieder viele Stücke, die neben Shed vermutlich am schlüssigsten diese Brücke zwischen rohem, aber akademischem Techno und britischer Flexibilität offenlegen. Kein Wunder, dass die Freelance-Armada da sofort parat steht.

Mark E
Product Of Industry
Spectral Sound • 2014 • ab 14.99€
Ich trauere ja ein bisschen den schamlosen Zeiten von Mark E nach, als er noch keine Angst vor Plakativität und Schunkelei hatte. Klar, die Slo-Mo-Edit-House-Hochzeit ist seit einigen Jahren vorbei, aber auch heute sind Mark Es Mikro-Genre prägenden Arbeiten von damals mit das beste was mit der Formel 105 BPM/Soul-Sample/Slow Build je produziert wurde. Klar, auch »Product Of Industry« hat das Herz am rechten Fleck, respektive die Kick auf der richtigen Synth und insbesondere Mark Es extrem sympathische Wild Pitch-Pedanterie macht seine Tracks immer direkt so erhaben dickbäuchig, aber irgendwie will ich nach sechseinhalb Minuten dann halt immer noch, dass da auf einmal Marvin Gaye oder Janet Jackson aus dem Nichts anfängt zu trällern und alle sich sofort in den Armen liegen. Aber dafür ist der Brite mittlerweile zu erwachsen.

Prins Thomas
Prins Thomas III
Full Pupp • 2014 • ab 37.99€
Auch handwerklich einwandfrei, aber selten zwingend: die Soloalben von Prins Thomas. »III« ist sein drittes (d’oh), auch hier wird House wieder dutzendfach skandinavisch discoid gebrochen und gefiltert, Gitarren gezupft, Pianos eingespielt, statt gesamplet und am Ende denkt man tatsächlich, dass Skandinavien seit der Jahrtausendwende vermutlich echt das neue Balearic ist. Aber irgendwie fühlt es sich trotzdem stets so an, als würde Prins Thomas nicht vollständig loslassen können. Dabei stünden ihm richtige Absurditäten ausgezeichnet.

Hercules & Love Affair
The Feast of the Broken Heart
Moshi Moshi • 2014 • ab 16.79€
Zur Review
Immer noch mit der Beste darin, die gute alte Inner City Tradition des House-informierten Popsongs aufrechtzuerhalten, ist Andrew Butler, der den Blind-Hype unbeschadet überstanden und nun schon zum zweiten Mal ein Hercules & Love Affair Album geschrieben hat, das zwar kaum Crossover-Appeal für Indierock-Parties hat, aber sehr stilsicher das schönste aus 30 Jahren House-Historie in ausproduzierte, queere Popsongs einwebt. Ein Riesenspaß, immer noch, immer wieder.

Hercules & Love Affair
The Feast of the Broken Heart
Moshi Moshi • 2014 • ab 16.79€
Zur Review
Dass ein ähnliches Anliegen sofort zur Karikatur verkommt, wenn man es nicht mit der nötigen Aufrichtigkeit präsentiert, beweisen dann wieder Chromeo, deren plakativer 80s-Funk-Fetisch etwa so subtil vorgetragen wird wie eine Mario-Barth-Pointe. Und das war schon immer das Problem des Duos: da wird mit soviel feixendem Vice-Grinsen die Naivität der Vorlagen verspottet. Genau damit berauben sich die beiden Kanadier jeglicher Daseinsberechtigung, auch wenn man annodazumal noch so viel Spaß hatte seine abgegebene Hausarbeit mit Fancy Footwork zu feiern.

Hercules & Love Affair
The Feast of the Broken Heart
Moshi Moshi • 2014 • ab 16.79€
Zur Review
Ach Joakim, den mag ich. Weil der Franzose auch auf »Tropics Of Love« wieder so ganz seltsame Songs schreibt, irgendwie proggy, irgendwie spleenig, irgendwie bockig, aber auch dann wieder mit Klavierakkorden, Lametta und verschwitzter Sommersexiness. »Bring Me Love« heißt der Hit, aber auch die fragmentarischeren Track/Song-Zwitter sind höchst interessant und umso effektiver, wenn sie von klassischeren Strukturen eingerahmt werden. Manchmal klingt das so wie Todd Terjes Album auf 33 RPM und mit mehr Vocals. Ergo: ich glaube die kaufe ich mir.

Little Dragon
Nabuma Rubberband Deluxe Edition
Because • 2014 • ab 21.99€
Little Dragon sind ja reputationsmäßig mittlerweile die mit am awkwardesten zu verhandelnde Band, weil deren Fangemeinde so schwer zu ertragen ist. Eine ganze Horde an Quarterlife-kriselnden Pärchen machen dazu vor dem »Tatort« desillusionierte Liebe und diese Yukimi soll ihnen dabei allen die Seele retten. Das ist vermutlich absoluter Blödsinn, aber es überrascht schon, wie viele unangenehme Menschen man trifft, die tierisch gerne Little Dragon hörten. Nun gut, »Nabuma Rubberband» hat einen bescheuerten Titel, ist in seiner R&B-Transparenz aber tatsächlich ganz geil. Wenn ich nur die Assoziationen aus dem Kopf kriegen würde…

Future Islands
Singles
4AD • 2014 • ab 27.99€
Zur Review
Aus der Reihe Random Gitarrenband für die der Aigner unsystematisch und überraschend viel Liebe hat, meine Damen, meine Herren: Future Islands. Gut, das war wieder einmal einem Skatevideo geschuldet, hat sich aber schon so lange gehalten, dass ich auf »Singles« schon einigermaßen heiß war. Und Junge, Junge, wurde hier abgeliefert. Allein schon was A Dream Of You And Me an Radiohittigkeit ganz unverblümt und ohne falsche Zurückhaltung in den Ring wirft, ließe mich ja beinahe überlegen beim nächsten Mal Taschentücher mit Aroma zu kaufen. Auch irgendwie Wahnsinn wie die fast schon U2-stadionwichsig zu schreiben und ich trotzdem nicht brechen muss. Wäre es ndieser Tage icht so anders konnotiert, ich würde das alles bosshaftig nennen.

Lykke Li
I Never Learn
Atlantic • 2014 • ab 25.73€
So, zum Schluss noch eine Frau, die gefühlt 80% meines männlichen Freundeskreises sofort heiraten würden: Lykke Li. Die ist auch nach dem »I Follow Rivers«-Übergau Schwedin geblieben und schreibt einfach wieder mal, so mir nichts dir nichts ein Album von betörender Verve und Eleganz, das sich trotzdem wieder millionenfach verkaufen wird und dabei stets so viel kecker klingt als alles, was diese Adeles und Lily Allens so tun. Ach Lykke, du bist eine von den Guten. Und der No Rest For The Wicked Remix mit dem P.M.F. eh schon der Sommerhit 2014.