Haim gehen auf ihrem neuen Album neue Wege, man sollte mitkommen

07.07.2025
Foto:© Terrence O'Connor (Universal Music)

Eine Trennung. In irgendeiner Form immer eine messy Angelegenheit. Die drei Schwestern von Haim haben mit I Quit schon deshalb das perfekte Break-Up-Album gemacht, weil eben so gar nichts perfekt ist.

Das Phänomen des Poptimismus beschreibt in erster Linie eine journalistische, mittlerweile omnipräsente Ideologie, in der sich von der (oft sexistischen) Idee verabschiedet wird, dass Mainstream-Popmusiker:innen lediglich wegwerfbaren Schund veröffentlichen, während Rockbands für die künstlerisch hochwertigen Klassiker verantwortlich sind. Mainstream-Pop wird im Poptimismus also auf eine Ebene mit subkulturellen Musikgenres gestellt und genauso intensiv betrachtet.

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Doch der Poptimismus – ich hab darüber meine Bachelorarbeit geschrieben – war nicht nur im Output von Kritiker:innen spürbar, sondern auch in der Weise, wie neue Indie-Acts plötzlich klangen: Im US-Musikpodcast Indiecast wurde schon mehrmals herausgestellt, dass vor allem im Jahr 2013 einige Künstler:innen auf der Bildfläche erschienen, die theoretisch aus einem Indie-Kontext kamen, den Sound gigantischer Mainstream-Popstars aber bewusst aufgriffen. Man denke an Lorde (Pure Heroin), The 1975 (Self-Titled) oder eben Haim (Days Are Gone).

Es fand ein Wechsel in der Indie-Welt statt, plötzlich wurden glatte Popästhetiken cool. Vor allem Haim begeisterten schnell als eine stilsichere, perfekte Songs schreibende Popband im Indie-Gewand. Oder vice versa, also als Indie-Band im Popgewand. Ist ja auch egal…

Nicht geschmackvoll, dafür frei

Jedenfalls haben die drei Haim-Schwestern Danielle, Alana und Este nun ihre vierte Platte veröffentlicht. Sie trägt den Titel I Quit und handelt vom Ausbrechen; auch aus dem früheren Pop-Gewand, wenn man so will. »I’ll do whatever I want«, heißt es schon im Opener »Gone«, der die ungefilterte, dadurch natürlich chaotische, vor allem aber freie Stimmung von I Quit ankündigt. Grundsätzlich haben wir es hier mit einem Breakup-Album zu tun, so geht es zu großen Teilen um die Trennung von Danielle und dem (auch für den alten Haim-Popsound prägenden) Musikproduzenten Ariel Rechtshaid, die auch privat ein Paar waren.

Ihn und tausend andere Dinge lassen Haim nun hinter sich, im Sinne von: Vorher gefangen, jetzt endlich ungebunden. Everybody’s Trying To Figure Me Out heißt der vielleicht beste Song des Albums, während Haim es uns bewusst schwerer machen, sie ›outfiguren‹ zu können. Anders als bei früheren Alben der Band wird man auf I Quit nicht an die Hand genommen, man muss sich selbst eine Karte durch die Platte zeichnen. Dadurch macht das Album extrem viel Spaß. Mit einer klassischen Popveröffentlichung hat das nichts mehr zu tun.

Ultralocker abhängen mit Haim / © Terrence O’Connor

Der subtile Trash-Faktor, den I Quit im Gegensatz zu ›runderen‹ Haim-Veröffentlichungen beinhaltet, ist ebenfalls essenziell. Die Platte wagt mehr, in einigen Momenten hätte das Ganze auch nach hinten losgehen können. Sie sei »Down to be Wrong« – hätte also kein Problem damit, auch mal falsch zu liegen – erklärt Danielle Haim schon im Songtitel eines anderen Highlights. Damit propagiert sie eine gewisse Form von Ungewissheit, die letztendlich wesentlich spannender ist als Stilsicherheit; inhaltlich wie musikalisch.

So taucht schnell ein gewagtes Sample von George Michaels Überhit »Freedom! ’90« auf, in »Million Years« traut sich die Band sogar an Drum’n’Bass-Grooves, am Ende wird sogar U2 gesamplet. Alles in allem sind das eher, sagen wir, uncoole Referenzpunkte für eine Gruppe, die vorher für 70s-inspirierten California-Pop bekannt war. So auch die Lead-Single »Relationships«: Hip-Hop-Beats inklusive Scratch-Sounds sind in Songs dieser Art normalerweise nicht geschmackvoll, doch das wollen Haim auf I Quit auch gar nicht (mehr) sein… sondern frei.

»The real barrier to break, is the one I feel inside«.

Frei von was eigentlich genau? Haim haben ein Album geschafft, das den Aufarbeitungsprozess nach einer Trennung sehr gut einfängt.

Viele solcher Experimente gelingen den Schwestern. Und wenn das mal nicht der Fall ist, fällt das nie negativ auf. Denn Haim agieren auf I Quit völlig losgelöst von der Idee, perfekte Popmusik machen zu müssen. Immer wieder muss ich an ein Zitat von Kendrick Lamar denken, das der Rapper bei seiner Dankesrede für den Grammy-Sieg seines Albums Mr. Morale & The Big Steppers sagte: »I finally found imperfection with this album«. Etwas Ähnliches haben auch Haim gesucht und es mit dem ungeschliffenen, kratzigen I Quit gefunden.

»You say we’re all the same, I think I’m different«, singt Danielle Haim im wunderschönen »Love You Right« und macht deutlich, dass die Band hier völlig zufrieden damit ist, herauszustechen. Es ist ein fehlerhaftes Album und entspricht damit der Mentalität, die es vor sich herträgt. Ob das eine faule Beobachtung ist, um sich unausgereifte Musik schlichtweg schön zu reden? Vielleicht… Doch letztendlich ist der Kern von I Quit etwas, das ich gut gebrauchen kann: Klar, als feministischer Text zum Thema Selbstbemächtigung funktioniert die Platte super – das Dasein als Single ist hier ein großes Narrativ, gewissermaßen schließen Haim hier an den Brat-Summer an –, doch für mich ist das Album auch ein Ermutigen zum Ablegen alter Muster. Für jemanden, der oft zwanghaft damit beschäftigt ist, die Dinge im eigenen Leben zu sortieren, klingt I Quit wie ein notweniger Befreiungsschlag; fast so wie das ultralockere Abhäng-Album Exile on Main St von The Rolling Stones. Im Closer »Now It’s Time« erklärt Danielle Haim es selbst am besten: »The real barrier to break, is the one I feel inside«.

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