Carmen Electro ist DJ, Labelbetreiberin (KUJE Records), Teil der Kollektive Kaos und Selected, Resident im Tresor – und schon längst kein Geheimtipp mehr. Von der Szene zu Recht als »Vinyl-Queen« gefeiert, steht sie als leidenschaftliche Plattensammlerin für fein kuratierte Sets, die das Publikum auf eine Reise durch treibenden Techno, dichte Kickdrums, Trance, Breakbeat und House mitnehmen – oft nischig, immer auf Vinyl.
Bevor sie selbst auflegte, drehte sich bei ihr alles ums Crate Digging – am liebsten in kleinen, verwinkelten Plattenläden. Für sie war Vinyl nie bloß ein Tonträger, sondern ein Stück Geschichte: »Ich bin immer auf der Suche nach Platten, die eine persönliche Resonanz haben – Songs, die mich zurückversetzen in einen bestimmten Moment, ein Gefühl, ein Kapitel meines Lebens.«
Carmen lässt sich beim Diggen treiben: Meist startet sie mit einer bestimmten Platte oder einem Artist im Kopf und landet irgendwann bei den obskursten Entdeckungen. Vinyl mache die Idee von Selektion besonders persönlich; gerade weil sie oft Musik finde, nach der sie nie gezielt gesucht habe, erweitere das regelmäßig ihren musikalischen Horizont. Zwar »war Techno die erste Liebe auf dem Dancefloor und das ist oft der rote Faden. Aber es gibt einfach zu viel gute Musik, um sich festzulegen.« Im Club unterscheidet sich ihr Sound jedoch von dem, was sie privat hört: »Zuhause greife ich oft zu House oder sogar nostalgischem Pop. Im Club braucht es mehr Energie, mehr Druck. Aber genau das liebe ich: Jeder Ort bringt eine andere Facette meiner Sammlung zum Vorschein.«
Durch Platten sprechen
Erst kamen also die Tracks, dann der Drang, sie selbst zu spielen. Zunächst mit CDJs, dann zunehmend mit Vinyl. Sie hatte ja schon ein riesiges Repertoire – wieso es also nicht nutzen? Als Carmen Electro mit dem Auflegen anfing, waren Flinta-Personen hinter den Decks eine Rarität. Verunsichern ließ sie sich davon nicht, im Gegenteil: »Ich habe ein Jahr lang jeden Tag mindestens eine Stunde geübt. Ich wusste, dass nur Konstanz mich weiterbringt. Vor allem das Gehör zu schulen, Tempo ohne visuelle Hilfen zu matchen, braucht Zeit. Aber genau das hat mir die Kontrolle und das Selbstvertrauen hinter den Decks gegeben.«
Carmen Electro steht für eine neue Generation von Artists, die nicht nur auflegen, sondern aktiv mitgestalten – Track für Track, Platte für Platte. Für sie liegt der Reiz von Vinyl im Unperfekten: »Es ist ein ehrliches, greifbares Format. Und es ist nicht perfekt – aber das sind wir auch nicht.« Ein gutes Vinyl-Set lebt für sie von technischem Durchhaltevermögen, Vertrauen in die eigene Auswahl und dem Gespür, echte Emotion auf den Dancefloor zu bringen. Das beweist sie mit jedem ihrer Sets aufs Neue – zum Beispiel vergangenen Mai im HHV-Store, als sie spontan Platten ins Set integrierte, die ihr direkt vom Publikum gereicht wurden.