Records Revisited: Goldie – Timeless (1995)

07.08.2025

Timeless ist das größte, musikalischste, ausgereifteste, beste Drum & Bass-Album aller Zeiten. Dass es dazu wurde, hat viele Gründe. Sie alle kommen aus Goldie selbst.

In Timeless steckt die gesamte Persönlichkeit seines Schöpfers. Das Album ist Ausdruck seiner komplexen Verwindungen zwischen Wut, Trauer und Lebensdurst, Aufmerksamkeitsdrang und B-Boy-Wettbewerb, explodierender Energie und unbegrenzter Musikalität, seiner Liebe für die Jungle-Community und einer unnachgiebigen Sturheit, weiter zu gehen. Goldie selbst würde diese Verwindungen vermutlich als Alchemie bezeichnen, ein Konzept, dass ihn seit frühesten Tagen antreibt.

Es ist diese Alchemie, die Goldie in dem Genre-Zirkeln von Jungle und Drum & Bass auch immer wieder streitbar machte. In einer Community, die lange Zeit auf Whitelabel Dubplates basierte, setzte er für Reinforced Rec. und später seinem eigenen Label Metalheadz auf herausstechendes Branding. Wo bis auf wenige Ausnahmen Anonymität vorherrschte, explodierte er zum Superstar. Wo alle anderen in ihren Schlafzimmern an den Amiga-Computern schraubten, mietete er sich ein professionelles Studio. Und wo Tracks in wenigen Stunden zusammengehämmerte Banger fürs nächste Wochenende waren, erzählte Goldie in kleinteiliger Arbeit ausufernde Geschichten. Allein der titelgebende Track »Timeless« soll in gut 20 Sessions über vier Monate entstanden sein. Tony Marcus, der für das Mixmag bei einer Studiosession dabei sein durfte, erzählte später: »Sie verwendeten Stunden für nur wenige Sekunden Musik. Sie nahmen eine Snare, spielten sie rückwärts, drehten sie auf den Kopf, beschleunigten sie, warfen sie ins Echo, in den Harmonizer, überall hin. Und irgendwann kamen sie da an, wo es in keinster Weise mehr so klang, wie das, womit sie gestartet waren«. Nachzulesen in den Linernotes des 25th Anniversary Edition von Timeless (Metalheadz).

Aus Liebe zum Spiel

Bei aller Egozentrik wäre Goldie aber auch der letzte, der behaupten würde, dass das alles nur auf seinem Mist gewachsen sei. Es gibt ausreichend Interviews mit ihm, in denen er seinen Mentoren während seiner vielen Jahre als Waisen- und Adoptivkind dankt. Mit einem breiten Lächeln erzählt er von den vielfältigen Einflüssen, die von Supertramp und The Jam über The Buzzocks und UB40 bis Kevin Saunderson und Nellee Hooper reichen. Auf der Vinyl-Erstpressung von Timeless widmete er einzelne Tracks persönlich den Jungle-Szene-Helden Grooverider, Randall, Kemistry und Dillinja.

Und Goldie hat immer verstanden, dass ein ausgezeichneter Sound Engineer eine entscheidende Rolle im Entstehungsprozess spielt. Für Timeless holte er sich den erfahrenen Rob Playford an den Mixer, um die Ideen und Impulse in Form zu bringen. Playford war eigentlich Labelchef von Moving Shadow und somit in direkter Konkurrenz zu sowohl Reinforced – wo Goldie einen Großteil des Artworks verantwortete – und Metalheadz. Doch gerade diese Mischung aus Wettbewerb und Community ließ Anfang der 1990er-Jahre die in sich geschlossene britische Jungle-Szene blühen, wie in den persönlichen Rückblenden der Protagonist*innen in Paul Terzullis und Eddie Otcheres Buch Who Say Reload (Velocity Press) bestens nachzufühlen ist. Labels und Produzent*innen versuchten zwar, sich wöchentlich mit dem nächsten Banger zu überbieten. Sie griffen sich aber auch gleichzeitig unter die Arme, um Kontakte zu den trendsettenden DJs Doc Scott, Grooverider, Fabio und Randall herzustellen, Businessfragen zu klären, den Vertrieb aufzubauen oder eben Ideen und Samples zu einem Track zu arrangieren.

Die Mischung aus Wettbewerb und Community ließ Anfang der 1990er-Jahre die in sich geschlossene britische Jungle-Szene blühen.

Genau diese Mischung aus Wettbewerb und Gemeinschaft resonierte bei Goldie, der als Breakdancer und Graffiti-Künstler selbst aus dem B-Boyism kam und sich dort einen Namen gemacht hatte. Es war die Community, die es Goldie ermöglichte, Jungle überhaupt erst zu entdecken und im Studio den Produzenten Nellee Hooper, Howie B., Mark Rutherford und John Gosling über die Schultern zu schauen.

Es war der B-Boy in Goldie, der ihn antrieb, die anderen zu übertrumpfen. Oder wie er es 2013 dem BBC-Moderator Christopher Tubbs erklärte: »Jemand macht [im Breakdance] einen Backspin. Also musst du rausgehen und etwas besseres machen. Du machst einen Backspin, zwei Headspins und zwei 1990 und verabschiedest dich mit einem ›See you later‹«.

Für die Ewigkeit

Goldie genügte es folglich nicht, einfach den nächsten Banger für die Clubnächte liefern. Das zeigt bereits der titelgebende Track »Timeless«. Der Opener des Albums war als 40-minütige Jungle-Reise geplant. Allein die Limitierung der damals verfügbaren Sequenzer-Software machte dem einen Strich durch die Rechnung. Mit 21 Minuten Länge hebelte der Titel dennoch alle Grenzen der damaligen Jungle-Szene aus – in Bezug auf seine Länge und Komplexität aber auch musikalisch und klangtechnisch.

Sein Debütalbum Timeless zu nennen, zeigt, wie ernst es Goldie meinte. Man könnte es als überhebliches Wunschdenken abtun. Es war jedoch ein bewusstes Manifest, geboren aus einer absoluten Klarheit und Getriebenheit. Und Goldie behielt Recht. Wenige Jungle- und Drum & Bass-Veröffentlichungen sind dermaßen gut gealtert. Der Track »Timeless« hat heute noch dieselbe Energie, Sogwirkung und emotionale Tiefe. Er bleibt unerreicht.

Das Herz liegt offen

Dass Timeless auch dreißig Jahre später noch vibriert und berührt, liegt jedoch nicht nur an seiner für damalige Verhältnisse unerreichten Produktionsqualität und Versiertheit. Goldie trägt in Interviews stets sein Herz auf der Zunge. Genauso ist seine Kunst – ob im Graffiti oder in der Musik – eine direkte Übertragung seiner Gefühle in ihrer Vielfältigkeit und Direktheit.

Timeless zeigt all die Emotionen, die Goldie die vorangegangenen drei Jahrzehnte begleitet haben. Mal wechseln Aggression, tiefe Zufriedenheit und endlose Trauer in starkem Kontrast von einem Track auf den anderen. Mal fließen sie innerhalb eines Tracks widerspruchslos ineinander. Goldies unbedingter Antrieb, seiner Intuition zu folgen, seine Gefühle in die Welt strömen und dabei ausnahmslos ungefiltert glänzen zu lassen, machen Timeless nahbar, spürbar und vor allem auch außerhalb des Clubs hörbar.

Timeless erschien 1995 deshalb auch auf Vinyl und CD in völlig verschiedenen Versionen. Während das Vinyl mit reduzierten VIP-Mixen und mehr Bass die Clubs einriss, war die CD mit der vollen Bandbreite der Emotionen für das wiederholte Home Listening konzipiert. Vinyl-Liebhaber*innen mussten deshalb damit leben, dass der 21-minütige Epos »Timeless« bis 2021 nicht auf Vinyl erhältlich war. Erst mit dem 25-jährigen Re-Release auf goldener Vinyl 3LP wurden alle Titel zusammengetragen und eine jahrzehntelange Suche und Hoffnung zum Abschluss gebracht.

Datenschutz-Übersicht

Diese Website verwendet Cookies, damit wir dir die bestmögliche Benutzererfahrung bieten können. Cookie-Informationen werden in deinem Browser gespeichert und führen Funktionen aus, wie das Wiedererkennen von dir, wenn du auf unsere Website zurückkehrst, und hilft unserem Team zu verstehen, welche Abschnitte der Website für dich am interessantesten und nützlichsten sind.

Unbedingt notwendige Cookies

Unbedingt notwendige Cookies sollten jederzeit aktiviert sein, damit wir deine Einstellungen für die Cookie-Einstellungen speichern können.

Drittanbieter-Cookies

Diese Website verwendet Google Analytics, um anonyme Informationen wie die Anzahl der Besucher der Website und die beliebtesten Seiten zu sammeln.

Diesen Cookie aktiviert zu lassen, hilft uns, unsere Website zu verbessern.