10 essentielle kanadische Acts vom diesjährigen M pour Montréal, die du jetzt entdecken solltest

26.11.2025

Seit 2006 ist M pour Montréal das Frühwarnsystem für kanadische Musik: Mac DeMarco, Grimes und BadBadNotGood standen hier auf der Bühne, bevor sie durchstarteten. Dieses Jahr: 80 Acts in fünf Tagen, von New Wave über Hardcore bis Hip-Hop. Diese zehn solltest du auf dem Schirm haben.

Schon der erste Abend im Les Foufounes Electriques auf der Rue Sainte-Catherine macht klar, dass Montréal nicht von seiner Vergangenheit lebt. Auch wenn hier schon Nirvana gespielt haben sollen, wie mir wieder und wieder gesagt wird. Aber die Clubs leben von dem, was heute passiert, nicht von dem, was die Wände gesehen haben. Drei Stunden, zwei Bühnen: Alternative, New Wave, Hardcore, Reggaeton, Electro-Clash, Noise-Rock und Hip-Hop. Nichts klingt wie das andere – aber irgendwie passt alles zusammen. Nicht weil Montréal einen »Sound« hätte, sondern weil bei jedem Konzert die Luft brennt.

Das Festival M pour Montréal ist seit 2006 das Frühwarnsystem für genau diese Energie. Mac DeMarco, Grimes oder Patrick Watson hatten hier frühe Auftritte. Die diesjährigen Headliner BadBadNotGood standen hier 2014 vor vielleicht 100 Leuten. Dieses Jahr: 80 Acts, 15 Venues, fünf Tage. Hier sind zehn, die mir hängen geblieben sind.


PISS

Am Ende standen wir sprachlos, erschöpft, mit Tränen in den Augen. Was war passiert? PISS haben gespielt. Das Quartett aus Vancouver macht keine Gefangenen. Drei Demosongs existieren bislang, das Debütalbum soll 2026 erscheinen – aber live zeigt sich schon jetzt, was kommt: Hardcore, der ins Flüstern kippt. Sängerin Taylor Zantingh spricht über Gewalt, über Körper, über das, was bleibt. Zwischendrin: Andrea Dworkin, gesamplet. Radikalfeministische Wut frisst sich in präzise Taktwechsel. Zorn wird poetisch verdichtet. In einem Song die Frage: »How can you act opposite to this emotion?« Du kannst nicht. Niemand hier kann.

Angine de Poitrine

Statt Danke zu sagen, formen sie eine Raute mit den Händen, platzieren sie vor der Stirn. Die Menge antwortet. Sie gehen rhythmisch in die Knie, wieder hoch. Die Menge folgt. Angine de Poitrine aus Saguenay verwandeln Post-Rock in ein Ritual.

Khn de Poitrine und Klek de Poitrine tragen schwarzweiß gepunktete Pappmaché-Köpfe mit baumelnden Nasen, kommunizieren in lautmalerischer Nonsense-Sprache. Effekthascherei? Klar. Aber es funktioniert – die Verkleidung zieht alle Aufmerksamkeit auf sich, und dann kommt die Musik. Primus-Bassspiel trifft Tanariwen-Skalen trifft Don-Caballero-Verspieltheit. Ihr Album Vol. 1 erschien 2024 (nur digital). Was komplex klingen könnte, wird zum Happening. Post-Rock für Leute, die nicht stillstehen wollen.

Computer

Die Band Computer aus Vancouver macht die Überforderung einer Generation hörbar. Sieben Leute, sieben Instrumente, alles außer Computer. Auf ihrem Debüt Station On the Hill (Oktober 2025, Dine Alone Records) verschmelzen Math-Rock, Post-Punk und Hardcore zu einer dichten Wand. Doch aus dem Noise schälen sich die einzelnen Instrumente heraus, werden greifbar und verschwinden wieder. Wie die Musik, so das Leben: aus dem Vielklang den Einzelnen heraushören. »Numbing is not my intention/Life is what I choose«, heißt es in »Now in a Vacuum«.

distraction4ever

distraction4ever aus Montréal sind Meister der Kopie. An ihrem Cold/Minimal/New Wave ist nichts neu – und genau das macht ihn zeitgemäß. No Future ist zurück. Der Kalte Krieg ist zurück. Die Leere ist zurück. So auch die Ästhetik von damals: kühl und schattig, zweckmäßig wie ein sibirischer Plattenbau, die Gesten von Ian Curtis, das Aussehen eines jungen Blixa Bargeld. Aber Beau Geste und Splitshift spielen keine Referenzen – sie meinen es so. Und vielleicht ist das das Neue: dass die Kopie keine (Beau) Geste mehr ist, sondern Zustandsbeschreibung. »Does anybody feel what I’m feeling?«, fragen sie in »Reason to Live«. Die Antwort ist: Ja, leider.

Boutique Feelings

Boutique Feelings ist das Soloprojekt von Karim Lakhdar aus Montréal. Hip-Hop, der aus dem Rahmen fällt: experimentell wie Anticon, soulful wie The Roots, aber mit Oud, Trompete und Flöte statt Samples. Lakhdar rappt über Kriegstreiberei, Desinformation, Selbstsabotage. Die Brüche unserer Zeit, verdichtet in Beats. Sein Debüt Shwaya, Shwaya erschien soeben auf Mothland, mit Sam Shalabi (The Dwarfs of East Agouza) an der Oud und Django Vives an der Trompete. Live im La Sala Rossa spielte Lakhdar mit seiner Band Atsuko Chiba, unterstützt von Vanessa Ascher an der Flöte. Soloprojekt auf dem Papier, Kollektiv auf der Bühne.

Mike Shabb

Frühes Highlight des Festivals: Mike Shabb. »Wenn jetzt Schluss wäre, hätte sich die Anreise gelohnt«, sagt jemand nach dem Konzert. Der Rapper und Beatmaker aus Montréal lässt die Markenzeichen des traditionellen Hip-Hop durch Filter laufen, die auf den kulturellen Mix der Stadt abgestimmt sind: Jazz, Dance und diasporische afrikanische Einflüsse. Handwerklich einwandfrei, sowohl in Produktion als auch im Rap. Sein 2024er Album Sewaside III stand auf der Longlist von Kanadas Polaris Music Prize, Features darauf von Nicholas Craven und Boldy James. Seit 2018 unterwegs. Jetzt ist seine Zeit gekommen.

Truck Violence

Hardcore mit poetischer Tiefe. Truck Violence aus Montréal haben 2024 ihr Album Violence bei Mothland veröffentlicht, 2025 folgt die Vinyl-Pressung bei Southern Lord. Die Band macht die Kluft zwischen Stadt und Land hörbar. Sänger Karsyn Henderson wuchs in Westkanada auf, lebt jetzt in Montréal – und die Musik bewegt sich in dieser Lücke. Post-Hardcore und Sludge-Metal treffen auf Bluegrass und Banjo. Laut, dann leise, dann wieder Gewalt. Heimatlosigkeit als Sound. Henderson stellt Fragen, auf die es keine Antworten gibt: »Is anything ever truly going to be good?« »Is there a point where I’ll have security in my art?« Existenzialismus galore.

Misc

Oscar Peterson ist der bekannteste Jazzer aus Montréal. Der Pianist wäre in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden. Misc halten sein Erbe lebendig – aber auf ihre Weise. Das Trio aus Jérôme Beaulieu (Keyboard), Philippe Leduc (Bass) und William Côté (Schlagzeug) spielt Jazz, der im Bebop wurzelt, aber von Hip-Hop-Beats und Samples umgeben ist. Die Klavierpassagen klingen klassisch, drumherum groovt es modern. Fünf Alben haben sie bislang veröffentlicht, zuletzt Beat Bouquet auf Spectacles Bonzaï.

Patche

Patche übersetzen elektronische Musik in ein Bandkonzept. Fünf Leute: modulare Synthesizer, Drum Machine, Harmonika, E-Bass, Schlagzeug. Der Puls ist straight 4/4, der Geist ist Krautrock: hypnotisch, trippy, mit fortschreitender Dauer immer intensiver. Bassist und Schlagzeuger spielen komplexe Parts, perfekt synchronisiert mit den quantisierten Synthesizern. So entsteht ein dringlicher Groove, der nicht nachgibt. Maschine trifft Körper, und die Ekstase stellt sich von selbst ein. Ihr neues Album Mode erschien am 17. Oktober 2025 auf popop Records aus Montréal.

Hologramme

Beeindruckende Stroboskopgewitter im SAT am Boulevard Saint-Laurent. Hologramme ballert seine Technobeats in die Menge, analoges und digitales Equipment an seiner Seite. Die Musik des Montréalers Clément Leduc will die ganz große Bühne: Fred Again, Röyksopp, Jamie xx. Manchmal wird unnötig der noch saubere Boden poliert. Doch dann blitzen Deep House, UK Garage oder Industrial-Sounds durch, bringen Rauheit rein – und genau dann wird’s knackig. Das Potenzial ist da. Auch hier.

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