Andreas Dorau – Lern’ den Neid zu verstehen

16.07.2011
Foto:Sönke Held Staatsakt
NDW-Pionier, Sampling-Spezialist und Wegbereiter deutschsprachiger Clubmusic – wenigstens diese Koordinaten seien angeführt, um Andreas Dorau kurz zu umreißen. Wir konfrontierten den Künstler im Interview mit gezielten Schlagworten.

NDW-Pionier, Sampling-Spezialist und Wegbereiter deutschsprachiger Clubmusic mit hohem Humorfaktor – wenigstens diese Koordinaten seien angeführt, um die dreißig Jahre währende Künstlerbiografie des Andreas Dorau kurz zu umreißen. Fast scheint es der heutige Mittvierziger zu beabsichtigen, mittels längerer Veröffentlichungspausen dazu anzuregen, das bereits vorhandene Dorau-Å’uvre neu (bzw. erstmals) zu entdecken. Umso größer ist dann die Freude, wenn, wie nun mit Todesemodien gleich ein Dutzend neuer Dorau-Ohrwürmer erscheint. Anbei ein paar Schlagworte, die sich einem beim Hören (und Booklet-Studieren) der Todesmelodien besonders festsetzen, kommentiert vom Künstler selbst:

Andreas Dorau: Silvester 1975: meine Eltern hatten sich gerade erst einen Fernseher gekauft, und ich sah die Bay City Rollers in einer Show Bye Bye Baby singen – das war für mich als Zehnjähriger eine Art Erweckungserlebnis, da kriege ich sogar jetzt noch eine Gänsehaut beim Erzählen. Ein paar Jahre später, als es dann The Teens gab, bildeten sich unter den Mädchen in meiner Klasse Fraktionen, die sich deswegen sogar gekloppt haben. Ich habe mir vor paar Monaten eine BCR-Best-Of gekauft, aber da war die Platte mit all ihren Glamrock-Referenzen schon lange fertig.

Andreas Dorau: Neid wird oft mit Missgunst verwechselt, doch ich empfinde ihn als Antriebsfeder. Da packt mich dann der Ehrgeiz, es den Beneideten gleich zu tun. Im Refrain des gleichnamigen Liedes heißt es ja: »Lern ihn zu verstehen«: Es geht also darum, sich mit dem Neid zu arrangieren. Dass Neid in den Strophen ein bisschen Half As Nice As Paradise ähnelt, habe ich erst später festgestellt. Aber da wäre dann die 78er Version des BCR-Ablegers Rosetta Stone prägender als die ursprüngliche von Amen Corner. Das Musikmachen hat bei mir viel mit Zulassen zu tun. Natürlich greift man beim Melodienfinden immer wieder auf irgendwelche abgespeicherten Sachen zurück, aber das findet bei mir nie bewußt statt. Dafür wäre ich auch ein viel zu schlechter Musiker, um da eins zu eins plagieren zu können.

Andreas Dorau: Auch wenn das Eröffnungsstück diesen Be My Baby-Peitschensnare-Beat hat, höre ich bei ihm – obwohl es vom Titel her natürlich passen würde – gar nicht so viel Phil Spector heraus. Da hätten es schon noch drei Pfund mehr sein müssen, also: gleich sechs Schlagzeuger auf einmal! Diese »Lah-lalalala-lah«-Chöre à la Speedy Gonzales/Crocodile Rock hatte bei den Aufnahmen spontan Inga Humpe mit reingebracht. Ursprünglich sollte da nur eine Posaune spielen.

Andreas Dorau: Es gibt einen südamerikanischen Vogel mit schwarz-rot-goldenem Gefieder, der heißt Fadenpipra. Als zur WM-Zeit überall die Deutschlandfahnen geschwenkt wurden, erinnerte ich mich, dass Moritz Reichelt in seiner Gestaltung vieler Cover des Labels Ata Tak oft mit dieser Farbenkombination spielte. Die Deutschlandfahne empfinde ich rein ästhetisch als hässlich. Und als ich dann die Refrain-Zeile »Schwarz, rot, gold/Hat das die Natur wirklich so gewollt?« hatte, fiel mir wieder dieser Vogel ein. An den Subtext, der dabei entsteht, wenn dieser Refrain von Françoise Cactus gesungen wird, hatte ich vor der Aufnahme gar nicht gedacht. Dass da plötzlich die französisch-deutsche Erbfeindschaft quasi mit thematisiert wird, war nicht meine Absicht, fand ich aber interessant.

Andreas Dorau: Ich glaube ja, dass ich bei Schwarz Rot Gold ein bisschen die Art imitiert habe, wie Wolfgang Müller bisher für mich Texte schrieb. Er entwickelt auf provokante Art simplere Fallbeispiele als ich. So wie jetzt auch wieder in Ausruhen, Edelstein und Inkonsequent (Textprobe: »Das Essen ist Dir nicht geheuer/doch der Bioladen ist Dir zu teuer«). Wir sind uns zum ersten Mal begegnet, als die Hamburger Kunsthochschule mal einen Austausch mit dem Berliner Künstlerhaus Bethanien hatte. Aber schon davor gehörten Die Tödliche Doris neben Palais Schaumburg zu meinen Lieblingsbands. Besonders die Texte auf Sieben tödliche Haushaltsunfälle hatten es mir angetan. Wir beide haben eine Freude daran, in unseren Texten scheinbar banale Wörter zu verwenden, die im deutschsprachigen Pop selten zum Einsatz kommen, aber einfach mal gesungen werden müssen.

Andreas Dorau: Ich habe mit der Platte angefangen nachdem meine Mutter gestorben war. Ich musste da was machen, das mich ablenken und ausfüllen konnte. So kam es, dass einige Stücke vom Tod handeln, auch wenn es hier nie explizit um persönliche Erfahrungen geht. Ich stellte mir eher die Frage: was gibt es für andere Aspekte vom Tod? Und da es dann rund sieben Stücke wurden, die dieses Thema umkreisten, war klar, dass es sich auch im Titel niederschlagen musste. Und natürlich auch auf dem Cover: es stellt den Moment nach, kurz bevor Mark Chapman sich von John Lennon ein Autogramm geben läßt.

Andreas Dorau: Im Art-Blakey-Studio der Goldenen Zitronen steht ein verstimmtes Bar-Piano, dessen Klang mich sehr inspiriert hat. So wie auf meinem letzten Album Ich bin der eine von uns beiden der Sound der Autoharp eine Art roter Faden war, sollte das verstimmte Klavier die Todesmelodien prägen. Das interessierte mich, wie ich diesen Klang variieren kann. Die Hämmerchen habe ich mit Reißnägeln bestückt, dass der Anschlag noch etwas härter klingt.