»Wenn du Tenorsaxofon spielst, werde ich es mir anhören.« James Brandon Lewis macht seine Maximen gerne in kurzen Sätzen klar. »An diesem Punkt in meinem Leben bin ich von allen, aus der Vergangenheit und der Gegenwart, inspiriert« – auch die Erkenntnis des 1983 in Buffalo, NY, geborenen Lewis vermittelt er so: prägnant.
Seine Bühnenpräsenz wirkt entsprechend: Lewis zappelt nicht, sondern spielt mit geradewegs stoischer Ruhe sein Tenorsaxofon. Das passiert mit einer Unaufgeregtheit, die fast vergessen lässt, dass James Brandon Lewis längst den Ruf als »Virtuose« weg hat. Die Jazz-Zeitungen überschlagen sich mit Vergleichen, nennen ihn mal »den neuen Coltrane«, dann einen »Revolutionär auf Archie Shepps Spuren«. Beides nicht falsch, aber der Versuch, James Brandon Lewis als Epigonen der Jazzgrößen darzustellen, ist schlussendlich immer zum Scheitern verurteilt. Das liegt nicht nur an der leidlichen Produktion von Erwartungen, die mit solcherlei Vergleichen einhergeht, sondern auch am Künstler selbst, denn: Es gibt nicht nur DEN EINEN James Brandon Lewis, wie er selbst in seinen Kombos immer wieder beweist.
Da ist der Gospel-beeinflusste Musiker, der dann auch zum Blues, zum Rhythm & Blues, und früh – noch als Kind mit neun Jahren – zum Jazz und einem eigenen Saxofon kommt. Heute spielt er es sanft aber emotional, manchmal auf der Grenze zur Transzendenz und Meditation.
Dann gibt es den Fusion-Lewis. Dieser spielt mit der Gruppe The Mezzthetics, einer Rock-Jazz-Band, die aus ehemaligen Mitgliedern der Post-Hardcore-Legende Fugazi besteht. Experimentierfreudig und im Überschwang frönt man hier den Götzen. Miles Davis scheint dieser Lewis genauso verinnerlicht zu haben wie Frank Zappa. Mit Stakkato-artigen Intonationen lässt er hier die »Sau raus«.
Der Quartett-JBL ist hingegen ein Theoretiker, ein Philosoph. Das bewies er nicht erst mit der leider digital-only erschienen LP Molecular Systematic Music Live, sondern schon mit Molecular (auf Intakt erschienen). Diese Kompositionen für vier Musiker*innen – neben Lewis sind da noch die Langzeitkollaborateure Aruán Ortiz am Piano, Brad Jones am Bass und Drummer Chad Taylor – folgen einem eigenen komplexen System, das Musiktheorie und Molekularbiologie vereinen möchte und in einer eigens entwickelten Notation namens Polaris aufgezeichnet wird. Lewis schlägt hier gleichzeitig Brücken in die Psychologie, den Aufbau von Zellen und deren Resonanz mit Musik.

Apple Cores

Eye Of I

For Mahalia, With Love

Resilient Vessels Live At The Cell
Eine Linie ist ein Punkt, der spazieren geht
Handlungsanweisungen in Polaris lesen sich dann wie folgt: »|DLM|-Day of Labor Memory: Eine Linie ist ein Punkt, der spazieren geht – Paul Klee«. Und neben ganz vielen weiteren James Brandon Lewis gibt es noch den aus seinem eigenen Trio. Ein eigenständiger, freiflottierender Entwurf, der von den »Freiheiten eines Hip-Hop«, genauso inspiriert ist wie von Funk. Das Ergebnis wird oftmals von einer atonale Grittiness geprägt.
Auf die Frage, wie er denn die verschiedenen Versionen seiner selbst auseinanderhält, erklärt er, dass die Bands und Projekte alle einen eigenen Vibe haben. Genre-Grenzen würden ihn ohnehin wenig interessieren. Das musikalische Material, ob nun aus Eigenkompositionen oder als Interpretation eines der vielen Stücke aus der Jazz-Vergangenheit entstehend, spreche schon selbst aus, in welcher Konstellation es gespielt werden wolle. Das sind mal Interpretationen des eigentümlichen Piano-Charakters Mal Waldron, oder, derzeit, die Werke von Carter Jefferson. Seine Welt, so James Brandon Lewis, erschöpfe sich aber nicht im Jazz, so habe er sich vorgenommen, bald Werke des tschechischen Klassikkomponisten Antonín Dvořák zu interpretieren.
Bis wir den Klassik-James Brandon Lewis begrüßen dürfen, freuen wir uns aber über seine aktuellen Produktionen. Allen voran Abstraction is Deliverance, dem grandiosen Longplayer, den er am 24. Oktober mit seinem Quartett beim enjoy Jazz-Festival in Heidelberg präsentieren wird.