Völlig klar, was die beste TV-Serie der Zehnerjahre ist. Es ist, natürlich, BoJack Horseman. Im Fernsehen wurde sich nirgendwo sonst auf so clevere, unterhaltsame Weise mit Themen wie Depression, Verantwortung und Prominenz auseinandergesetzt. Ich könnte meine Liebe zu BoJack Horseman noch intensiver erklären, aber wichtig ist nur: Ein besonders fesselnder Handlungsstrang besteht darin, dass der faule und eher dusselige Slacker Todd Chavez eine Rockoper fertigstellen möchte. Wie das Ganze endet – im klassischen BoJack-Stile mit Sabotage, Sucht und Enttäuschung – spielt hier keine Rolle. Essenziell ist nur, dass das Konzept Rockoper dafür benutzt wird, um die (scheinbar) lachhaften Ambitionen einer Person schlechtzumachen. Der Punkt ist: Rockopern gelten längst als albern, nicht erst seit BoJack Horseman werden sie kaum ernst genommen.

The Scholars
Car Seat Headrest haben jetzt mit The Scholars ein neues Album veröffentlicht. Und ja, es handelt sich um eine Rockoper. Wie geil. Aber erst mal ein paar Schritte zurück, to the beginning. Will Toledo heißt der Mann hinter Car Seat Headrest. Er veröffentlichte Anfang bis Mitte der 2010er-Jahre eine Reihe von Lo-Fi-Alben auf Bandcamp. Ziemlich viel Musik war das, das Wort Ambition wurde bei ihm von Anfang an großgeschrieben. Jedenfalls brachte er 2015 mit Teens of Style eine Compilation raus, auf der alte Songs der Bandcamp-Ära aufgepäppelt wurden, bevor ihm ein Jahr später mit Teens of Denial der Durchbruch gelang. Bei der darauf enthaltenen Musik handelt es sich um Indie-Rock, bei dem der zweite Teil dieses Genre-Namens sehr ernst genommen wird: Alles darauf war catchy und geradezu hymnisch, ambitioniert sowieso.
Drogenkonsum führt bei Toledo nicht zu transzendenten Momenten, sondern vor allem zu Unwohlsein.
Dazu kam, dass der Hornbrille tragende Toledo völlig unscheinbar wirkte. Als ziemlich unrockiger Typ, der jedoch die beste Rockmusik seiner Zeit machte und auf humorvolle Art die Gefühle der Jugend einfing – stets wirkte er überfordert von der Welt –, gefiel er vor allem jenen Kids, die den ganzen Tag im Internet verbrachten. Weil Toledos Ästhetik überhaupt nicht auf Coolness basiert: Er trägt keine Lederjacke und erzählt rauchend von wilden Frauengeschichten, sondern davon, ständig besorgt zu sein. »Half the time, I want to go home« heißt es auf Teens of Denial. Drogenkonsum führt bei Toledo nicht zu transzendenten Momenten, sondern vor allem zu Unwohlsein. Modern ist das.
Aus Versehen episch war gestern
2018 folgte das neu aufgenommene Remake des queeren, sich nach Menschlichkeit sehenden Meisterwerks Twin Fantasy, einem ursprünglich 2011 auf Bandcamp veröffentlichten Album – vermutlich ist es die prägende Veröffentlichung der Bandcamp-Ära –, ehe 2020 mit Making a Door Less Open der wahre Nachfolger zu Teens of Denial erschien. Will Toledo präsentierte sich zu dieser Zeit mit einer Gasmaske bekleidet, ersetzte seine schnarrenden E-Gitarren zu großen Teilen durch elektronische Sounds. Schon der Titel deutet auf eine Art Rückzugswunsch hin. Der Draht, den Fans zu Car Seat Headrest hatten, wurde hier zumindest nicht intensiviert – eher im Gegenteil. Die Songs waren schlechter, und noch viel schlimmer: Sie ergaben kein zusammenhängendes Werk, obwohl Car Seat Headrest genau dafür bekannt waren. Auch schon vor ihrer Rockoper.

Damit kommen wir zu The Scholars. Die Geschichte dieser Rockoper spielt an der fiktiven Parnassus University. Dazu gibt es eine Vielzahl an studentischen Charakteren, aus deren Sicht hier gesungen wird. Um den Plot von The Scholars soll es hier nicht gehen – ich bin mir sicher, dass es dazu bereits nerdige Erklärvideos gibt –, denn als hochinteressante Erkenntnis reicht schon die Tatsache, dass Will Toledo und der Rest von Car Seat Headrest sich dazu entschieden haben, ein Konzeptalbum übers College-Dasein zu schreiben: Wie beschrieben, war es schon immer ein Steckenpferd von Toledo, Erfahrungen über das Jungsein zu teilen; doch man bleibt nun mal nicht immer jung. Also wurde mit The Scholars eine Realität kreiert, in der man weiter über studentische Jungspund-Themen schreiben kann.
Das war der Appeal an Car Seat Headrest: Dass da jemand war, der so introvertiert wirkte wie sie, dann aber solch epische Banger schreiben konnte.
Grundlegend anders ist, dass die Platte nicht mehr roh und Lo-Fi klingt, sondern hochproduziert und naja: ziemlich proggy. Will Toledo spielt nicht mehr den Typen, der eigentlich gar nicht in der Lage sein müsste, solch bombastische Rocksongs zu schreiben, es aber irgendwie trotzdem hinbekommt. Das war (vor allem für junge Online-Kids) der Appeal an Car Seat Headrest: Dass da jemand war, der so introvertiert wirkte wie sie, dann aber solch epische Banger schreiben konnte. Nein, »The Scholars« erscheint nichtmal ansatzweise amateurhaft, hier sitzt jede Note, alles wurde ausgearbeitet. Aber es ist ja nicht so, das Musik auch besser wird, nur weil sie besser gemacht ist.
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Rockopern sind nicht nur eine Seltenheit geworden, weil sie mittlerweile als uncool und albern gelten, sondern weil sie extrem schwer umzusetzen sind. Denn nichts ist peinlicher als eine Rockoper, in der die Songs nicht einzeln funktionieren, in der die Musik nicht dem Bombast des Vorhabens gerecht wird. Ambitionierte Projekte verlangen ambitionierte Refrains. Und The Scholars hat vielleicht nicht den amateurhaften DIY-Charme von Teens of Denial oder Twin Fantasy, überzeugt aber mit genügend Großmomenten: »You can love again, if you try again«, heißt es beispielsweise, während ich meine Faust in den Himmel schmeiße. Könnte auch eines dieser herzzerreißenden Zitate aus BoJack Horseman sein.