David Borden: »Meine Art zu hören, ist anders«

07.04.2015
Der Komponist David Borden, Gründer des ersten reinen Synthesizer-Ensembles der Welt, war bisher nur Spezialisten bekannt. Seit er von jüngeren Bewunderern wie Daniel Lopatin wiederentdeckt wurde, hat sich das geändert: Ein Interview.

Seine Klänge kann man auch in William Friedkins Horrorfilmk-Kassiker »The Exorcist« hören. Trotzdem gehört David Borden zu den weniger bekannten Namen der elektronischen Musik und des Minimalismus. Dabei gründete der 1938 geborene Komponist im Jahr 1969 mit Hilfe von Bob Moog das erste reine Synthesizerensemble der Musikgeschichte mit dem denkwürdigen Namen Mother Mallard’s Portable Masterpiece Company. Und mit seinem zwölfteiligen Zyklus »The Continuing Story of Counterpoint« schuf er einen ganz eigenen Beitrag zur polyphonen Musik des 20. Jahrhunderts. Obwohl er kaum für akustische Instrumente geschrieben hat, betrachtete er seine Musik nie ausdrücklich als elektronisch. Als Gründer und Direktor des Digital Music Program an der Cornell University konzentrierte er sich gleichwohl stets auf die Live-Performance in der elektronischen Musik. Dass Improvisation in seinen Kompositionen eine wichtige Rolle spielt, dürfte mit seiner frühen Liebe für Jazz zu tun haben: In jungen Jahren wollte David Borden eigentlich Jazzpianist werden.

Herr Borden, Sie haben Ende der 1960er Jahre das erste Synthesizerensemble überhaupt gegründet. Wie kam es dazu?
David Borden: Ich habe Bob Moog im Jahr 1967 kennengelernt. Es dauerte aber erst einmal ein paar Jahre, bis ich verstand, wie diese verdammten Dinger funktionieren – die Synthesizer. Danach beschloss ich, dass man sie als Live-Instrument benutzen kann. Im Jahr 1969 habe ich dann begonnen, eine Gruppe zusammenzustellen, mit der wir überwiegend neue Musik von anderen Komponisten gespielt haben und hin und wieder den Synthesizer einsetzten.

»Es dauerte aber erst einmal ein paar Jahre, bis ich verstand, wie diese verdammten Synthesizer funktionieren.«

David Borden
Am Ende des Jahres war ich so weit, dass ich ein komplettes Ensemble wollte. Ich sprach mit Bob Moog, um herauszufinden, ob ihm die Idee gefiel. Das tat sie. Er hat uns alles geliehen, was wir brauchten, um Konzerte zu geben. Wir führten Terry Rileys »In C« mit Synthesizern auf und Steve Reichs »Piano Phase«, das wir nach seinem Vorschlag »Synthesizer Phase« nannten. Währenddessen erklärte ich den anderen Musikern in der Gruppe das Patching der Synthesizer, und wir fingen an, eigene Musik zu komponieren. Von den Siebzigern an spielten wir nur noch unsere eigene Musik.

Woher stammt der Name Mother Mallard’s Portable Masterpiece Company?
David Borden: Das ist einfach mein Humor. Die meisten Gruppen für Neue Musik hatten so hochtrabende Namen wie »Society for New Music«. Ich wollte etwas, das nicht akademisch klang. Als ich eines Tages im Supermarkt einkaufte und bei der Tiefkühlkost vorbeikam, sah ich tiefgefrorene Pies. Sie hießen »Mrs. Smith’s Pies«, und auf der Packung war das Bild einer netten älteren Dame, die mich an meine Großmutter erinnerte – ihr Name war Mallard. So entstand der Name, und um klarzustellen, dass es auch eine ernste Sache war, fügte ich »Masterpiece« in den Namen ein.

Sie haben schon früh eine Vorliebe für eine begrenzte Auswahl an Klangfarben entwickelt. Warum?
David Borden: In den Konzerten von Mother Mallard hat das Patching der Sounds zwischen den Stücken immer unglaublich lange gedauert. Es gab damals ja noch keine Schaltknöpfe dafür. Wir mussten Dutzende von Patchkabeln umstecken. Anfangs baten wir Freunde vom Cornell Cinema um Cartoons. Wir hatten dann diese klassischen Disney-Cartoons aus den Dreißigern, die allen gut gefielen, und die zeigten wir zwischen den Stücken, während wir alles einstellten. Das dauerte ziemlich lange, weshalb wir beschlossen, das Ein- und Ausstecken der Patchkabel zu proben. Danach schafften wir es in fünf Minuten. Irgendwann entschied ich, meine Stücke einfacher aufzubauen, damit wir schneller vorankamen.

Mitte der Siebziger begannen Sie mit Ihrem Zyklus »The Continuing Story of Counterpoint«, an dem sie elf Jahre gearbeitet haben. Was war der Anreiz für Ihre Beschäftigung mit Kontrapunkt?
David Borden: Meine Art zu hören, ist anders als bei den meisten Menschen. Ich habe ein absolutes Gehör, aber ich höre keine Funktionsharmonien. Der Akkord, den Sie hören, ist bei mir einfach ein bestimmter Moment, gefolgt von einem anderen Moment. Für mich sind sie nicht miteinander verknüpft und obwohl ich theoretisch weiß, dass sie es sind, höre ich es nicht. Beim Kontrapunkt ist es anders. An der Musikhochschule musste man Bachchoräle anhören und als Diktat aufschreiben. Ich habe nicht die Harmonien der Choräle gehört, sondern konzentrierte mich auf die Bassstimme, die mittlere Stimme, die Sopranstimme und die Stimme darunter. Ich habe sie alle einzeln aufgeschrieben, weil ich nicht die Harmonien gehört habe, aber dafür die Tonhöhen. Ich höre alles so. Bei meinem Ansatz für den Kontrapunkt im 20. Jahrhundert bin ich dann folgendermaßen vorgegangen: Ich habe die Stimmen für den ersten Spieler von Anfang bis Ende geschrieben, wobei ich sie praktisch improvisiert habe. Wenn ich dann die Stimmen für den nächsten Spieler schrieb, habe ich mir den ersten Teil oft gar nicht angehört. Die Stimmen haben sich überkreuzt, dann habe ich sie mir angehört, um sicherzugehen, dass sie richtig klangen und vielleicht noch ein paar Änderungen vorgenommen.

In jungen Jahren wollten Sie Jazzmusiker werden. Zugleich interessierten Sie sich für den Kontrapunkt in der Renaissance. Obwohl sie recht unterschiedlich erscheinen, gibt es eine Verbindung: die modalen Harmonien.
David Borden: Die Harmonien im Jazz waren bis zu den Sechzigern nicht modal. Als ich damit anfing, spielten sie immer noch Akkordfolgen wie im Bebop von Charlie Parker und Bud Powell. Zu den modalen Sachen bin ich erst später gekommen. Damals habe ich auch gemerkt, dass mir der Jazz nicht so liegt.

»Der Akkord, den Sie hören, ist bei mir einfach ein bestimmter Moment, gefolgt von einem anderen Moment.«

David Borden
Einige Freunde von mir waren wirklich gut. Ron Carter zum Beispiel war an der Eastman School of Music oder Chuck Mangione. Sie konnten Dinge tun, von denen mir klar war, dass ich das nicht hinbekommen würde. Was mir aber am Kontrapunkt des 14. Jahrhunderts gefiel, vor allem an Guillaume de Machaut, war, dass er Kontrapunkt verwendete, bevor die Funktionsharmonien eingeführt wurden. Für viele Leute klingt das seltsam, weil er Sachen macht, die man in gewöhnlicher tonaler Musik nicht findet. Mir gefällt das, und in meiner Musik gibt es das manchmal auch.

Sie haben lange mit Mother Mallard gearbeitet. Wie wichtig ist Zusammenarbeit in Ihrer Musik?
David Borden: Sehr wichtig. Steve Drews von Mother Mallard und ich haben viele Sachen mit Synthesizern getan, die niemand vorher gemacht hatte. Auch die Zusammenarbeit mit Bob Moog und seinen Ingenieuren hat mein Leben stark verändert. Es hat mein Denken über Musik geändert – bis hin zu meinem heutigen Ansatz. Ich habe nicht viel Musik für akustische Instrumente geschrieben, obwohl ich zugeben muss, auch wenn das seltsam klingen mag, dass ich meine Musik nie als elektronische Musik betrachtet habe. Für mich war es einfach Musik mit anderen Instrumenten.

Die Musik von Mother Mallard wurde oft mit Krautrock verglichen. Wie ist Ihr Verhältnis zu Pop?
Dabid Borden: Ich mag eine Menge Popmusik. Wir selbst haben uns aber nie so gesehen, wir betrachteten uns eher als Konzertmusiker, auch wenn einige Popmusiker uns beeinflusst haben. Ich habe etwa das Stück „Music“ geschrieben, in dem ich Pop aus den Fünfzigern verwendet habe. Und wir wussten von einigen Popbands, die von uns beeinflusst waren. Als wir unser Studio in einem Bauernhaus hatten, von 1971 bis 1978, rief uns manchmal Edgar Froese an. Wir haben uns über Synthesizer und Filmmusik unterhalten. Ich habe ja mal ein kleines Stück für »The Exorcist« geschrieben. Eigentlich sollte ich den ganzen Soundtrack schreiben, doch William Friedkin, der Regisseur hat es sich anders überlegt. Er meinte, es habe nicht an meiner Musik gelegen, vielmehr sei der Film melodramatischer geworden, als er geplant hatte. Darum suchte er sich verschiedene Stücke von überall her.

Vor ein paar Jahren haben Sie ein Album mit jüngeren Künstlern wie Laurel Halo und Daniel Lopatin aufgenommen. Wie kam es zu der Begegnung?
David Borden: Daniel Lopatin hat sich bei mir gemeldet. Ihm gefiel unser erstes Album und das, von dem jetzt der Reissue erscheint. Ihm gefielen Sachen, die ich seit 40 Jahren nicht mehr gemacht hatte. Es war eine Art Zeitschleife. Er hatte angenommen, dass ich bestimmte Dinge tun würde, was aber gar nicht der Fall war. Doch ich konnte improvisieren, und als wir uns zum Improvisieren trafen, haben wir es schließlich geschafft, etwas gemeinsam auf die Beine zu stellen. Und ich hatte Spaß mit diesen Leuten. Wie sich herausstellte, waren sie Mother Mallard-Fans, ohne dass ich davon wusste. Ein Jahr später haben wir noch ein Live-Konzert zusammen gespielt. Und dem Publikum hat es richtig gut gefallen.