Graffitibox Summer Jam – »Rischtisch Jeil«

17.08.2011
Foto:Rolf G. Wackenberg
Am vergangenen Wochenende verwandelte sich das Berliner Yaam in eine Insel, auf der die Hip Hop Kultur in allen Disziplinen gefeiert wurde. Auf der Bühne gab sich der deutsche Rap-Untergrund die Klinke in die Hand.

»Ganz schön Ghetto«. Mit diesen schmeichelnden Worten bezeichnete Sido die Graffitibox Summer Jam. Das ansonsten eher in der Reggae Kultur beheimatete Yaam stand am Samstag zum sechsten Mal ganz im Zeichen des Hip Hop. Das brache Gelände an der Spree verwandelte sich in eine kleine Insel, auf der die vielfältigste Kultur der Gegenwart frenetisch gefeiert wurde. Ganz der Tradition verhaftet, lässt die Graffitibox Summer Jam keine Disziplin aus. Writer, Breaker, Rapper, DJs und Beatboxer tummelten sich gemeinsam mit den Fans in der Sonne. Ein klein wenig erinnerte die familiäre Atmosphäre an alte Zeiten, als die Hip Hop Gemeinschaft noch fernab vom Mainstream unter sich blieb. Von Berlin bis Frankfurt gab sich auf der Bühne der deutsche Untergrund die Klinke in die Hand. Eine bunte Mischung aus Berliner Rapgrößen wie Megaloh oder Silla, den Aufsteigern vom Kiez, Nate57 und Telly Tellz nebst den unangepassten Headlinern des Deutschrap, Olli Banjo und den Spezializtzs. Ganz so ernst nahmen sich die bösen Jungs allerdings nicht. Hammer und Zirkel überraschten das Publikum in Bademänteln, DVO verteilte schmunzelnd Girlie Shirts an männliche Fans und Dirty Harry nahm seinen Platz als Mann im Haus ein und huldigte im Herthaschal mit der Masse seinen Lieblings Fußballclub.

Die warme Luft riecht nach Dosen. Der Graffiticontest ist bereits in vollem Gange. Aus dem Sand an der Spreeseite ragen eigens errichtete Wände, auf denen über einhundert Writer eifrig mit den vorgegebenen Farben um die Wette sprühen. Die Außenwände des Yaam werden wie bei den vorherigen Jams von internationalen Malern veredelt. Nur ein paar Meter weiter liegen die verworfenen Seiten des Skizzenbattles auf dem Boden verstreut, dessen Teilnehmer in tiefer Konzentration an den Tischen über ihre Blackbooks gebeugt sitzen. Am Spreeufer tanken die Besucher der Jam indes ein wenig Sonne. Auf dem Wasser tuckern ab und an die Touristendampfer vorbei, zu denen die Bässe der Strandbühne rüber wehen, von der aus unter anderem Acts wie Dude & Phaeb, Noize und Gitta Spitta das Yaam beschallen.

Auf der anderen Seite der Mauer, die die zwei Outdoor Bühnen voneinander trennt, wird der Streetball Court des Yaam Schauplatz für die dritte Disziplin. In der Nachmittagssonne versammeln sich die Zuschauer im Kreis, um am Breakdance Battle teilzuhaben. Unter den prüfenden Blicken der Jury und begleitet von der Moderation der Berliner Breakdancer Legende Chico treten die Crews gegeneinander an. Die neue Generation der deutschen B-Boys präsentiert sich teils in Skinny Jeans und mit Justin Bieber Frisuren, während die französischen Breaker in Adidas Tracksuits an die legendäre Rock Steady Crew erinnern. Die Battles endeten oft in einem Unentschieden, am Ende hatten die Franzosen von B-Town Trip die Nase vorn. Zu späterer Stunde funktioniert das Hamburger Label Superhorst Jansen den Platz in einen Laufsteg um und präsentiert die neue Street Couture Kollektion für Mädels.

Die Hip Hop Jam verwandelt sich plötzlich in einen Totalabriss, als die Rattos Locos die Bühne stürmen und die Masse zum Poken auffordern.

Auf der Main Stage führt Rapper Liquit Walker währenddessen liebevoll im feinsten Berliner Slang durch das Programm. Beim energiegeladenen Auftritt von DVO wird das kopfnickende Publikum langsam wach. Die Hip Hop Jam verwandelt sich plötzlich in einen Totalabriss, als die Rattos Locos die Bühne stürmen und die Masse zum Poken auffordern. Ein Mob aus Jogginghosen und Caps bewegt sich von links nach rechts zu den Raps von Nate57 und Telly Telz. Olli Banjo macht aus seinem Auftritt endgültig ein Slipknot Konzert, als er das Publikum auf die Knie zwingt, um es dann komplett ausrasten zu lassen. Da wird statt dem Originalbeat auch mal Nirvana oder The Prodigy herangezogen.

Als die Sonne endgültig über der Spree versinkt, geht die Jam auf der Indoor Stage weiter. Für ihren vorerst letzten Liveauftritt holt sich Kiss FM Dame Visa Vie einen Special Guest auf die Bühne. Unter dem Cover einer BILD-Zeitung taucht die grüne Maske von Marsimoto auf, der das überraschte Publikum mit einer Portion Green Berlin betört. Auch Newcomer Chefket holt sich für seinen Auftritt Kollege Marteria dazu und löst die nachdenkliche Stimmung bei der gemeinsamen Performance zu Endboss auf. Den krönenden Abschluss des Tages liefert der unglaubliche Auftritt der Spezializtz. Die Älteren im Publikum schwelgen in der G.B.Z. Nostalgie ihrer Jugendtage. Harris prostet der Menge mit dem geliebten Becks zu und schreit »Hi Leute!«, die Masse antwortet mit einem fröhlichen »Hi Harris!«. Am Ende feiert sich die verausgabte Menge zufrieden selber und springt zu Schöne Menschen im Takt. Mit einem letzten »Taight Aita« verlassen die Spezializtz die Bühne und das Yaam leert sich langsam. Ein heiserer Liquit Walker betritt die Stage und beendet einen langen Tag, der einem friedlichen Schlag gegen alle Hater der Hip Hop glich, mit den schönen und treffenden Worten »Rischtisch Jeil«.