Kate Bush ist der vielleicht bekannteste Anti-Popstar der Welt

12.09.2025
Foto:picture alliance / DALLE APRF | ©DALLE APRF

Diesen September feiern ihre Alben Never for Ever und Hounds of Love ihren jeweils 45. und 40. Geburtstag. Anlass genug, die Frage aller Fragen zu Kate Bush zu stellen: Wer ist diese Frau überhaupt?

»The Secret History of Kate Bush (& the Strange Art of Pop)« ist ein bizarres Buch. Bei seinem Erscheinen im Jahr 1983 war Autor Fred Vermorel bereits berüchtigt, zusammen mit seiner Frau Judy hatte er »Anti-Biografien« über die Sex Pistols sowie ein anderes Buch über Bush, »Princess Of Suburbia«. Sie persiflierten die Glorifizierung und (Selbst-)Mythologisierung von Popstars, indem sie karikierten, wie Fans sich mit ihnen überidentifizierten und ihr Leben überinterpretierten; wie sie Menschen für sich vereinnahmen möchten, weil sie deren Songs mögen. Für Vermorel ein Teil des Jobs: »Die Kunst eines Popkünstlers besteht darin, eine Persönlichkeit ebenso wie eine Melodie zu projizieren, Fantasien auszuleben und zu verkörpern; Gewohnheiten, Marotten und Lebensstile ebenso zu verkaufen wie Ideen.«

Vermorels großspurige These ist zugleich sein größter Fehler. Seine beißende Satire – im Buch beschreibt er, wie er sich in den Graben legt, in dem angeblich einer von Bushs Vorfahren starb – steht im Gegensatz zu seiner Besessenheit von ihrer Musik. Seine Kritik an den Affektiertheiten der Fangemeinde ist stark von ihrem Objekt der Begierde affiziert: Auch er war von that woman’s work fasziniert. Deshalb können seine Überlegungen zu Bushs Genealogie, zur literarischen Geschichte ihres Namens und zu ihrer Herkunft aus der britischen Suburbia keine Antworten auf die Frage liefern, die auch ihn umtrieb: Wer ist die Person hinter der projizierten Persönlichkeit? Wer eigentlich ist Kate Bush?

»It’s me, I’m Cathy / I’ve come home«

Catherine Bush wurde am 30. Juli 1958 als Tochter von Robert und Hannah geboren, einem Arzt und einer Krankenschwester mit einem Faible für Musik und Tanz. Sie wuchs in der Grafschaft Kent mit ihren beiden älteren Brüdern John und Paddy auf, zwei King-Crimson-Fans, die mit seltenen Instrumenten rumspielten. Lange bevor alle vier regelmäßig auf ihren Alben zu hören waren, begann Bush mit elf Jahren, Songs zu schreiben. Sie nahm ein Demo auf, das niemanden interessierte, bis ein gemeinsamer Freund es an David Gilmour weitergab. Der Pink-Floyd-Gitarrist schickte die 15-Jährige in ein Studio und spielte die Ergebnisse während der Aufnahmen von »Wish You Were Here« Angestellten des Labels EMI vor. Kurze Zeit später unterschrieb sie dort einen Vertrag.

Bush nahm Tanzunterricht und trat mit der KT Bush Band auf, in der ihr Partner Del Palmer Bass spielte, bevor sie ihr erstes Album The Kick Inside aufnahm. Veröffentlicht wurde es im Februar 1978, einen Monat später erreichte die Lead-Single »Wuthering Heights« als erster von einer Frau geschriebener Song Platz 1 der britischen Charts. EMI wollte aus dem Überraschungserfolg Kapital schlagen und drängte Bush dazu, den im November desselben Jahres veröffentlichten Nachfolger »Lionheart« aufzunehmen. Wenige Monate später ging sie auf ihre ausverkaufte sechswöchige »Tour of Life«, ein riesiges Live-Spektakel, bei dem bis hin zur Ernährung der Band noch jeder Aspekt von Bush kontrolliert wurde. Als alles vorbei war, entschied sie sich gegen weitere Tourneen.

Die Aufnahmen des 1982 veröffentlichten Albums dauerten etwa anderthalb Jahre, kosteten ihr Label ein Vermögen und resultierten im ersten kommerziellen Flop ihrer Karriere.

Bush fühlte sich im Studio wohler als auf der Bühne. Nachdem sie durch Peter Gabriel den Fairlight CMI kennengelernt hatte, verwendete sie den digitalen Sampler auf ihrem ersten von ihr mitproduzierten Album Never For Ever. Zum Einsatz kommt er unter anderem auf »Babooshka«, für dessen ikonische Samples von zerbrechendem Glas sie und ihr Team die Kantine der Abbey Road Studios verwüsteten. Das 1980 veröffentlichte Album war ein weiterer durchschlagender Erfolg, weshalb sie EMI davon überzeugen konnte, ihr die vollständige Kontrolle über die Produktion von The Dreaming zu überlassen. Die Aufnahmen des 1982 veröffentlichten Albums dauerten etwa anderthalb Jahre, kosteten ihr Label ein Vermögen und resultierten im ersten kommerziellen Flop ihrer Karriere. Auch aber diente es als Zwischenschritt für ein noch ambitionierteres, weitaus erfolgreicheres Album.

Als Bush die Masterbänder von Hounds of Love an EMI übergab, hatte niemand vom Label auch nur eine Sekunde davon gehört. Sie war aufs Land gezogen, um sich ein Heimstudio einzurichten, in dem sie noch länger und ungestört an der Musik arbeiten konnte als an The Dreaming. In vielerlei Hinsicht war Hounds experimenteller als der Vorgänger, setzte LinnDrum und Fairlight-Sampler noch ausgiebiger ein und widmet auf der B-Seite einem siebenteiligen Zyklus einer auf hoher See verschiffbruchter Frau. EMI aber bekam aber auch ein paar Hits, vor allem »Running Up That Hill (A Deal With God)«, das im August 1985 als Vorab-Single des am 16. September erschienen Albums herauskam und bis heute Bushs erfolgreichster Song ist.

»What am I singing? / A song of seeds / The food of love«

Im Nachgang des Erfolges von Hounds of Love schmiss Bushs Plattenfirma ein Greatest-Hits-Album auf den Markt, während sie selbst sich erneut Zeit nahm, um einen Nachfolger aufzunehmen – das von James Joyce inspirierte Album The Sensual World erschien 1989. Für Bush folgten Jahren voller persönlicher Katastrophen: Sie verlor ihre Mutter sowie ihren Lieblingsgitarristen Alan Murphy, und ihre Beziehung mit Del Palmer ging in die Brüche. Sie verarbeitete all das auf The Red Shoes von 1993, auf dem Größen wie Prince, Eric Clapton und Jeff Beck Gastauftritte hatten. Es war das wohl konventionellste Album seit ihrem Debüt. Bush deutete eine Tournee an, die nie stattfand. Stattdessen blieb sie zwölf Jahre weitgehend inaktiv.

1998 brachte Kate Bush ihren Sohn Albert »Bertie« McIntosh zur Welt und arbeitete nur sporadisch an Aerial. Der erste Teil des 2005 veröffentlichten Doppelalbums besteht aus thematisch unzusammenhängenden Songs, während der zweite sich der Beschreibung eines Tages in der Natur widmet – viel Vogelgesang wie der der Amsel, auf dem Cover in Form einer Schallwelle dargestellt, inklusive. 2011 veröffentlichte Bush zuerst die Compilation Director’s Cut mit überarbeiteten Versionen von Songs von The Sensual World und The Red Shoes, bevor im November »50 Words for Snow« folgte, auf dem neben Sohn Bertie auch Stephen Fry zu hören ist, der die titelgebenden Neologismen für Schnee spricht.

Drei Jahre später gab Kate Bush ihre ersten Konzerte seit 1979. Ihre 22-tägige Residency im Londoner Hammersmith Apollo – der Veranstaltungsort, an dem sie 35 Jahre zuvor zuletzt aufgetreten war – wurde später auf dem Live-Album Before the Dawn dokumentiert. Abgesehen von einer umfangreichen Wiederveröffentlichungskampagne im Jahr 2018 durch ihr Label Fish People und der B-Seiten-Sammlung The Other Sides im Folgejahr sowie dem Kurzfilm »Little Shrew«, eine Art verspätetes animiertes Musikvideo zum Song »Snowflake« aus dem Jahr 2011, hat Bush der Welt seitdem nur sehr wenig gegeben. Die allerdings interessiert sich noch für Bush, wie auch der Einsatz ihrer Songs in »The Handmaid’s Tale« und »Stranger Things« zeigte.

»I stand outside this woman’s work / This woman’s world«

»RUTH« hat mehrere Leben gelebt: Vor allem als Hit, der zum Radio-Evergreen wurde und stetig neue Menschen an das bahnbrechende Album heranführt, das er eröffnet. Schon zehn Jahre, bevor er dank »Stranger Things« erneut die Charts stürmte, wurde ein Remix davon zum Abschluss der Olympischen Sommerspiele gespielt – einer Veranstaltung, die vom Synth-Noise-Duo Fuck Buttons mit einer direkten Anspielung auf die 1981 veröffentlichte Bush-Single »Sat in Your Lap« eröffnet worden war. All das bewies, dass die Songwriterin, Produzentin, Sängerin und Allround-Innovatorin zu einer Inspiration für verschiedene Generationen geworden war. Im Jahr 2023 wurde sie in die Rock’n’Roll Hall of Fame aufgenommen, ließ sich aber entschuldigen: Sie hatte schon etwas anderes vor.

Wer also ist Kate Bush, diese Frau, die ihre Alben ganz allein schrieb und produzierte, als das noch geradezu skandalös war? Die bulgarische Polyphonie und irische Folklore in den Mainstream brachte und zugleich modernste Technologie einsetzte, um buchstäblich Unerhörtes zu schaffen? Diese Frau, die in einem Song, dessen Video von der BBC zensiert wurde, explizit auf schwulen Analsex anspielte, ganze sechs Jahre vor »Relax«? Eine Frau, die über die Versuche eines Sexualpsychologen sang, eine Wettermaschine zu bauen, und zuvor ein Stück aus der Sicht eines ungeborenen Kindes, das seine Angst vor einer nuklearen Katastrophe zum Ausdruck bringt, geschrieben hatte? Die in einem Song wie ein Esel schrie und im nächsten 117 Stellen der Zahl Pi aufzählte?

Im Jahr 2023 wurde sie in die Rock’n’Roll Hall of Fame aufgenommen, ließ sich aber entschuldigen: Sie hatte schon etwas anderes vor.

So verständlich es ist, diese Fragen zu stellen: Vielleicht sind es die falschen. Bush erscheint nicht deshalb vielen Menschen als Mysterium, weil sie selbst in irgendeiner Weise mysteriös wäre. Mysteriöse Menschen nutzen ihre offiziellen Websites nicht als persönlichen Blog, in dem sie ihren Fans für Geburtstagswünsche danken oder ihnen jedes Jahr frohe Weihnachten wünschen; mysteriöse Menschen geben nicht so viele Interviews wie Bush, die besonders in ihren Anfangstagen geradezu perplex schien, dass sich überhaupt jemand für sie als Privatperson interessierte. Sie antwortete ebenso direkt wie höflich, manchmal mit banalen Einsichten: Ob es einen Moment gab, in dem sie sich entschied, Sängerin zu werden? »Ja, den gab es! Eines Tages war ich mit einer Freundin im Park und wusste es einfach.« Aha.

Bush hat sich nie in der Art von Selbstmythologisierung geübt, die für Popstars zum Geschäft gehört. Vielmehr schien sie daran interessiert, über ihre Arbeit zu sprechen statt über ihr Privatleben, da Ersteres mit Letzterem nur wenig zu tun hatte. In einer BBC-Dokumentation aus dem Jahr 2014 erzählt St. Vincent, dass Bush angeblich einst sagte, dass ihre Songs lieber aus der Perspektive anderer Menschen sänge, weil »die interessanter sind als ich«. Das ist weder als Selbstabwertung noch als falsche Bescheidenheit zu verstehen, sondern als poetologische Aussage einer Songwriterin, deren größter Hit vom Wunsch handelt, mit jemand anderem die Plätze zu tauschen, und deren persönlichste Songs von ihren Beziehungen zu geliebten und verlorenen Menschen handeln.

»And there’s a rumour that you’re on ice / And you will rise again someday«

Kate Bush projiziert andere Persönlichkeiten als ihre eigene. Eben das hebt sie von Popstars ab, die »Fantasien ausleben und verkörpern« und deren Job es ist, das Persönliche universell erscheinen zu lassen. Ihr gelingt es vielmehr, das Universelle persönlich zu machen. Das eigentliche Geheimnis von Bush liegt daher in ihrem Schaffen und dessen Anziehungskraft: In einer Musik, die sowohl Pop als auch Avantgarde ist und doch keines von beiden. In Texten, die manchmal so hyper-spezifisch sind, dass sie hermetisch wirken. Mit all dem nimmt sie Zwischenräume ein und steht gleichzeitig in ständigem Dialog mit anderen Kunstformen verschiedener Epochen – mit Literaturgeschichte, Fernseh-Shows und alten Filmen, präraffaelitischen Gemälden, Vogelgesang und vielem mehr.

Die Verbindungslinien zwischen all diesen Dingen lassen sich nicht ohne Weiteres entheddern. Genau das ist das Schöne an ihnen, und genau das macht Kate Bush zu einem Anti-Popstar. Weshalb eben Fred Vermorel mit seiner Anti-Biografie scheiterte: Affiziert von denselben Affektiertheiten der Fans, die er persiflierte, fragte auch er nach dem Wesen von Kate Bush – obwohl sie zu den wenigen Künstler:innen gehört, deren Werk für sich allein spricht. Ihre bis dato letzte Veröffentlichung ist ein Credit auf einer Compilation mit zwölf Aufnahmen von Stille, die von 1.000 Musikschaffenden aus Protest gegen die laxe urheberrechtliche Haltung ihrer Regierung in Bezug auf KI veröffentlicht wurde. Daran kann nichts überinterpretiert werden, es lässt keinen Raum für Überidentifikation. Es ist das perfekte Statement einer Künstlerin, die sich nicht vereinnahmen lässt.

Datenschutz-Übersicht

Diese Website verwendet Cookies, damit wir dir die bestmögliche Benutzererfahrung bieten können. Cookie-Informationen werden in deinem Browser gespeichert und führen Funktionen aus, wie das Wiedererkennen von dir, wenn du auf unsere Website zurückkehrst, und hilft unserem Team zu verstehen, welche Abschnitte der Website für dich am interessantesten und nützlichsten sind.

Unbedingt notwendige Cookies

Unbedingt notwendige Cookies sollten jederzeit aktiviert sein, damit wir deine Einstellungen für die Cookie-Einstellungen speichern können.

Drittanbieter-Cookies

Diese Website verwendet Google Analytics, um anonyme Informationen wie die Anzahl der Besucher der Website und die beliebtesten Seiten zu sammeln.

Diesen Cookie aktiviert zu lassen, hilft uns, unsere Website zu verbessern.