Record Revisited: Deep Purple – Made in Japan (1972)

03.10.2025

Die Mutter aller Live-Alben? Oder doch nur Led Zeppelin für ganz Arme? Es gibt viel zu erzählen über das Album, auf dem es am Ende aber doch auch wieder nur um das gebumst werden geht?

Im Hinterland weiß man, was hip ist. Man kennt auch die Gesten und Sneaker von Harlem bis Compton. Eines aber ist der Provinz bis heute unbekannt geblieben: mehr und länger und dicker bedeutet nicht gleich besser. Wer es echt supi findet, wenn ein Konzert außerordentlich lang war und jeder ein Solo spielte, für den wurden Deep Purple erfunden.

Das wussten aber Deep Purple lange selbst nicht. Zunächst (=1968) verwurstelte das Quintett Bolero und Beatles mit Psychedelic Sounds, die dann kamen wie von einer zweitklassige Rockband auf schlechten, wenig, auf jeden Fall aber gestreckten Drogen. Sie rangen mit einem Keyboarder, der wie alle Tastenleute Sperenzchen vorführte, wie sie auch Musiklehrer schätzen. Und nach einer Handvoll Platten sowie Besetzungswechsel erschien 1970 III: Wie in Fels gemeißelt, ganz mächtig. Riffs und Gedröhne und Pfeifen. Es war ein drastischer Stil.

15 Monate darauf dann Fireball. Für die Zeit außerordentlich schnell erscheint dann das Album mit »Smoke On The Water«: Machine Head entstand unten in Montreux, alles eingespielt und aufgenommen im Hotelflur. Und dabei nonstop auf Tour, 1972 waren 44 Wochen. Irgendwann meinte irgendwer bei der US-Plattenfirma, die Band solle in Japan ein Livealbum aufzunehmen, exklusiv für den dortigen Markt. Drei Konzerte wurden mitgeschnitten, zwei in Osaka, eins in Tokyo – im August 1972, also lange vor Dylan, Cheap Trick, Scorpions, Judas Priest usw.

Obwohl mit archaischer Technik und ohne Overdubs, setzten Sound und Performance einen neuen Standard für alle folgenden Livealben (also vor Led Zeppelin, Black Sabbath, Uriah Heep und an wen man sich erinnern kann … oder will, ohne dass vor lauter Scham lebenswichtige Äderchen bis zum Zerplatzen anschwellen).

Ganz viel Haare, ganz viel Dezibel

Anders als Rolling Stones, The Who und in Übersee Grand Funk Railroad und MC5, die bereits Livealben veröffentlicht hatten (beziehungsweise, im Falle der Agit-Krawaller MC5, damit debütierten) gehörten Deep Purple zu den Musikern, die ihr Handwerk so ernst nahmen wie Handwerker und Dirigenten. Made In Japan hat dies vor- und aufgeführt. Fast zwangsläufig waren die Songs sehr lang, auf dem Doppelalbum erklingen nur sieben. Noch 1972 kam das Album in die Läden. Und nichts war wie vorher. Tausende Metalheads saßen mit Kopfhörer und Airguitar oder Trommelstöcken in Kinderzimmern und überprüften, wie oft eine Schallplatte abspielbar ist.

Zur Musik, auch der drei vorherigen Studioalben, ist wenig zu sagen – »hat ja sowieso jeder – wenn schon nicht selbst gekauft, dann wenigstens geerbt«, so Frank Schäfer in dem Buch Heavy Metal. Ein neues Kapitel begann hier auch für den Fotografen Fin Costello: »Ende der Sechziger ging alles ganz locker, es gab viele kleine Labels wie Island, A&M, Bronze Records. Mein erster Job war ein Cover für Uriah Heep, in wenigen Monaten machte ich Humble Pie, Manfred Mann, und der große Wurf dann 1972: Deep Purples Made In Japan. Was für mich dadurch losgetreten wurde, war phänomenal: Als direkte Folge davon bekam ich den Auftrag für Kiss’ Alive und Rocks von Aerosmith.« Das Cover von Made In Japan: in Gold und viereckig, in der Mitte ein Foto Deep Purples bei der Arbeit (allerdings in London, siehe Bühnenrampe mit Logo des Rainbow, Finsbury Park).

»Hat ja sowieso jeder – wenn schon nicht selbst gekauft, dann wenigstens geerbt.«

Frank Schäfer ordnet den Bekanntheitsgrad des Albums ein.

Ungebrochen und hitzig, unverändert scheiden sich mehr als fünfzig Jahre später die Gemüter an den Duellen zwischen Jon Lords Hammond-Orgel und Ritchie Blackmores erratischem Krieg auf der Stratocaster, dem meisterhaft epischen, über 20-minütigen »Space Truckin’« und mit Johann Sebastian Bach verpanschten Vanilla-Fudge-Anleihen, an dem Dialog zwischen Ian Gillans Sirenen-Organ und der hohen E-Saite. Klar, oberflächlich betrachtet, alles ohne aufwändige Light- oder Pyro-Show, ohne Drumriser und Laserkanonen, keine Leinwände oder Handys – das Ganze nur mit viel Haaren und Dezibel, dazu Koteletten wie in Planet der Affen… Aber dieses endlose Brillieren auf Instrumenten? Für die Dortmunder Heavy-Metal-Bibel Rock Hard ist Made in Japan »die Mutter aller Livealben«, AC/DC`s Angus Young erkannte darin kaum mehr als »Led Zep für ganz Arme«… und Iron Maiden verbeugten sich mit der Live-EP Maiden Japan.

Doch in den USA blieben Deep Purple bis heute eher bedeutungslos, laut Fließband-Reviewer Robert Christgau, weil ihr Sound so unerträglich »oi-ropäisch wie ein Vampir-Film, nur halt nicht so camp« war. Jene Ära und ihre Sounds brachte Kritiker-Papst+Teufel Lester Bangs cleverer auf den Punkt, und das bereits 1972, in Creem: »Ein großer Teil von punkigem Rock ist der Große Amerikanische (eigentlich natürlich Englische) Teen-Sublimations-Riff. Jeder will gebumst werden, vorwärts, rückwärts, rund um die Uhr denkt er daran […] und überkompensiert seine Neurosen mit übertriebenen Darstellungen von Macho-Arroganz, die er dann mit Bass-Riffs, hart wie eine Morgenlatte, raushämmert«. Vielleicht ist das Hinterland doch viel größer als man denkt.

Datenschutz-Übersicht

Diese Website verwendet Cookies, damit wir dir die bestmögliche Benutzererfahrung bieten können. Cookie-Informationen werden in deinem Browser gespeichert und führen Funktionen aus, wie das Wiedererkennen von dir, wenn du auf unsere Website zurückkehrst, und hilft unserem Team zu verstehen, welche Abschnitte der Website für dich am interessantesten und nützlichsten sind.

Unbedingt notwendige Cookies

Unbedingt notwendige Cookies sollten jederzeit aktiviert sein, damit wir deine Einstellungen für die Cookie-Einstellungen speichern können.

Drittanbieter-Cookies

Diese Website verwendet Google Analytics, um anonyme Informationen wie die Anzahl der Besucher der Website und die beliebtesten Seiten zu sammeln.

Diesen Cookie aktiviert zu lassen, hilft uns, unsere Website zu verbessern.