Records Revisited: Al Green – Let’s Stay Together (1972)

31.01.2022
Er sei der Meister der »baby-making-music«, sagte Al Green vor ein paar Jahren. Frühster Beweis? Sein Album »Let’s Stay Together« von 1972.

Als wäre nicht genug los gewesen: Stax kippte gerade durch einen Vertriebsdeal mit Atlantic Records in die Schieflage und sortierte sich noch einmal neu. Währenddessen brachte Motown mit »What’s Going On« von Marvin Gaye das definitive Meisterwerk des Souls heraus. Ein moderner, ein politischer Sound, der die Welt eroberte. Kaum ein halbes Jahr später erschien mit »Let’s Stay Together« von Al Green ein Album, das von diesem Ansatz nicht entfernter sein konnte – und trotzdem seinen Platz in der Bestenliste des Genres innehat.

Aufgenommen in den Royal Studios in Memphis formten Al Green, Band und Produzent Willie Mitchell ein Album für die Schlafzimmer dieser Welt. Al Greens Stimme schwelgt, schreit, singt und säuselt sich durch zerwühlte Bettdecken. Der Höhepunkt des Souls? Nah dran. Den Titeltrack coverten über die Zeit nicht nur Tina Turner, Isaac Hayes und Shirley Bassey. In diversen Castingshows gehörte der Track zum Repertoire der Kandidaten. Jedoch bekam diesen Song niemand mehr so geschmeidig hin wie Al Green.

Dass sich Greens Stimme noch heute so klar abzeichnet, liegt vor allem an der Produktion von Willie Mitchell. Der Trompeter sollte lange Zeit den Sound von Al Green prägen. Auch weil er ein Pedant war. Green sagte in dem Buch »Soul Survivor« dazu: »Dieser Mann wird nicht zulassen, dass Sie die Spinnweben in der Ecke entfernen.« Weil sie zum Sound beitragen könnten. Al Green profitierte von seinem Produzenten wie die wenigsten Künstler. Obwohl es während der Entstehung des Albums mehrmals in der Zusammenarbeit eskalierte. Zum Beispiel bei der Aufnahme jenes Titeltracks.

Babymaking music? Protestmusik?

Ende 1971 kam Al Green ins Studio. Dort saßen Mitchell und Drummer Al Jackson Jr. und probierten ein paar Melodien und Rhythmen aus. Was das sei? Noch nichts, gaben Mitchell und Jackson Jr. laut »Soul Survivor« zurück. Green nahm sich Stift und Papier und verschwand für eine Viertelstunde – nur um dann mit dem Text für »Let’s Stay Together« zurückzukommen. (Später gab Green an, dass der Song nichts mit einer Liebschaft zu tun habe. Vielmehr ginge es um die Bürgerrechtsbewegung, den Tod von Martin Luther King Jr. und die Proteste von 1968. Schwer zu glauben. Beweisstück A: Groove direkt aus dem Matratzenkern. Beweisstück B: Zeilen wie: »Let me say that since, baby, since we’ve been together loving you forever is what I need.«) Song also fertig? Von wegen.

Al Green rannte aus dem Studio und fuhr in seiner Corvette aufs Land.

Acht Tage lang arbeiteten Mitchell und Green an den Vocals des Stücks. Mitchell wollte es softer. Green wollte es maskuliner. Fast das Ende vom Lied: Green brach in Tränen aus, während Mitchell ihm sagte, dass der Gesang wie von jedem anderen klänge, er aber eben Al Green auf dem Track hören wolle. Al Green rannte aus dem Studio und fuhr in seiner Corvette aufs Land. (Gestartet mit durchdrehenden Reifen, damit Mitchell es auch ja hörte.)

Als er ins Studio zurückkehrte, versprach Green: Kein Brüllen, nur Säuseln. Sie hatten es. Mitchell sollte richtig liegen: Eine halbe Millionen Einheiten ließ er von der Single pressen. Am Montag erschien die Platte, am Donnerstag ging sie Gold, sagte Mitchell hinterher. Es ist eine der vielen Geschichten der anstrengenden Arbeit rund um die neun Songs, die sich später auf »Let’s Stay Together« fanden.

Auch bei der Instrumentierung suchten Green, Band und Mitchell neue Wege. Die Bläser in »Old Time Lovin« knallen fast aus den Lautsprechern. Die Streicher in »How Can You Mend a Broken Heart« streifen ganz knapp am großen Drama vorbei. Und in »Ain’t No Fun To Me« treiben die Drums den Song unerbittlich nach vorne. Viele Bands des Soul-Revivals versuchen heute, so eine Produktion hinzubekommen. Alles an diesem Album klingt organisch, ausgereift und einfach herrlich offen. Als Sample landeten Teile des Songs von »Let’s Stay Together« auf Tracks von Little Brother und Lil‘ Wayne. Und auch wenn diese Platte im besten Fall ihre Zeit nur verklausuliert wiedergibt, ist dies doch ihre größte Qualität. Liebe geht eben immer. Besonders wenn jemand wie Al Green von ihr singt. Ist ja genug los. Da tun knapp 35 Minuten Soul vom heute 75-jährigen Meister der »baby-making-music« mal ganz gut als Entspannung.