Records Revisited: The Waterboys – This Is The Sea (1985)

23.02.2024
Mike Scott hätte vieles werden können, so gut konnte er Geschichten erzählen. Wir wissen aber mehr darüber, was er nicht geworden ist. Freiwillig. Wahrscheinlich auch, weil er schon 1985 sein »vollkommenes« Album vorlegte.

»This Is The Sea« von The Waterboys: Ein Album, mit dem ein Schotte den Schlüssel fürs Stadion fand und ihn gleich wieder wegwarf. Schließlich war das Rockstar-Sein schon 1985 die anstrengendste Sache der Welt.

Den Wuschelkopf hat er unter einem riesigen Hut gebändigt. Fast sieht er aus wie Bob Dylan, den er vergöttert.  Mit dem er sogar mal einen Joint oder zwei geraucht hatte. Das erzählt er gerne. In diesem Video aus den Achtzigern. Wo er geduldig die dummen Fragen eines Reporters beantwortet, der wissen will, ob er ein Rockstar sein möchte. Unschuldiges Lächeln. »Nein, ich will kein Rockstar sein, ich will nicht einmal Platten verkaufen – außer die sind richtig gut!«

Mike Scott ist 1985 ein schottischer Bub, der das Leben verstanden hat. Zumindest glaubt er das, was aufs Gleiche rauskommt. Mit seiner Band The Waterboys veröffentlichte er zu diesem Zeitpunkt zwei Alben. Sie waren lange nicht so erfolgreich wie jene von U2, für die sie schon als Einheizer auftraten. Scott weiß aber, was er drauf hat. Er hat viele Bücher gelesen, die ganz großen. Und C.S. Lewis. Also schmeißt er die restlichen Regalmeter zu Boden und packt die größeren Themen in noch größere Zeilen, um sie auf den Rücken einer Zigarettenschachtel zu kritzeln.

Das ist eine gute Geschichte, und Scott mag gute Geschichten. Deshalb lebt er in den Achtzigern, die schreiben immerhin Weltgeschichte – für ihn wie die Briten und sowieso alle, na ja, wir kennen ja die Leier. Während das Leben so hart wird wie der Stahlbetondeckel von Maggythatcher, schallert Scott über seinen special places, die stars und the sea. Also, nicht irgendein Meer, sondern dieses eine, das einmal ein darbendes Rinnsal gewesen sein mag und zu dieser unendlichen Weite wurde, auf das die Leute mit Ehrfurcht blicken, weil: Man fühlt sich da echt ganz klein, so als Mensch.

Raus aus dem Stadion, rein in die Kneipe

»The Sea« ist das letzte Stück des Albums, das ich heute als erstes – zum ersten Mal – höre. Es ist für mich der Beginn, denn Scott stellt sich hier mit seiner 12-saitigen Klampfe neben mich, klopft mir auf die Schulter und nickt wohlwollend: Hey, aus dir wird schon was werden. Er verspricht das nicht, er weiß es einfach, muss jedenfalls nichts erklären. Schließlich schlingert er genauso durchs Leben wie du oder ich alle. »This was the river, this is the sea.« Dagegen kann man nichts machen, außer: daran zu glauben.

Passenderweise gesellt sich auf den restlichen, meistens ganz guten Liedern, auch Gott dazu. Nicht der Gott, für den man auf knarzenden Kirchenbänken kauert oder rostige Rosenkränze runterrattert. Gemeint ist wohl eher jener göttliche Beistand, auf den man stößt, wenn man sich zu Hause zwei, drei lustige Pilze einköchelt. Sich also ein Tässchen Tee einschenkt.

»Dagegen kann man nichts machen, außer: daran zu glauben.«

Mike Scott gehört nicht zu den großen Propheten, die ihre Erleuchtungen herausposaunen. Eher ist er ein stiller Zuhörer, einer, der alles registriert, auch die Details – dafür habe er angeblich immer schon ein Auge gehabt. Und deshalb kann er so schöne Geschichten erzählen. Vor allem über die Liebe.

Um sie geht es sowieso andauernd. Aber nicht so billig-biblisch wie bei Bono oder Bowie. Dafür hat Scott schon gesorgt, als er die Achtziger durchs Saxofon pustete und die Snares zum Stadionschwellkörper aufpumpte. Ich frage mich, wie viele Menschen sich schon vor mir vorgestellt haben, wie Scott einen Song wie »The Whole Of The Moon« vor circa 200 Millionen Menschen spielt, also vor: unendlicher Weite, einer Masse als Meer, die sich in den Armen liegt und im Kanon das Leben küsst.

Vielleicht höre ich das nur, weil ich dieses Album heute zum ersten Mal höre. Ich kannte The Waterboys nicht, hab von Scott noch nie gehört. Ich höre nur, was er wurde. Kein Stadionrockstar, der langweilige Stadionsongs spielt. Keiner, die im Sauerstoffzelt übernachtet und sich das Blut von Säuglingen spritzt. Er zieht nach diesem »vollkommenen Album«, wie er einmal meinte, nach Irland und tritt in Pubs auf. Bis heute sind noch viele Alben erschienen. Nicht alle waren so gut, wie Scott als Mittezwanzigjähriger versprach. Ein paar konnte er trotzdem verkaufen.