TV On The Radio – Lieder über die Liebe

19.04.2011
Foto:Interscope
Ihr Prinzip des intellektuellen Zusammenführens und Weiterentwickelns verschiedener Genres, das Umschreiben des Zitats, hat TV On The Radio zu Kritikerlieblingen avancieren lassen. Auch ihr neues Album wird das nicht ändern.

TV On The Radio sind die musikalische Konsequenz des Stadtteils Brooklyn: Indie, Intellektuell, International, und doch so american. Wie schwer wird es für eine solch gefestigte Band wohl sein, ein neues Album aufzunehmen, nachdem das vorangegangene praktisch durch die Bank von allen großen internationalen Musikmagazinen zum Album des Jahres 2008 erkoren wurde? Rolling Stone, Spin, NME, Pitchfork; alle lobten sie Dear Science in den Post-Pop-Himmel. Und das war immerhin im Jahre Null der Hipster, also im Jahr, in dem auch MGMT ihr Oracular Spectcular veröffentlichten. Letztere haben zum Beispiel gezeigt, dass sich ein Folgeerfolg alles andere als selbstverständlich und automatisch einstellt. Die Reaktion auf die Erklärung eines Albums zum Instant-classic, so lehrt die Popgeschichte, ist meist zunächst ein Rückzug; und dann die anschließende – und ja, dieses Wort klingt in kaum einer Sprache so verbraucht, wie in der Meta-Pop-Sprache – Neuerfindung. Bob Dylan hat das immerhin ein paar Mal gemacht und der gute David Bowie – interessanterweise ein Freund der Band – macht es praktisch jeden Tag, zumindest aber alle zwei Alben lang. Das Neuerfinden. Das Re-Modelling. Die »Was schert mich meine Popidentität von gestern«-Attitüde. Oder aber, so lehrt ebenfalls die Popgeschichte, man geht genau umgekehrt vor. Man bewegt sich um keinen Millimeter und nimmt, wie Oasis oder jüngst die Strokes, immer wieder das gleiche Album auf.

Der Sound aber bleibt ebenso sorgsam aus vielen verschiedenen Stilen zusammengelegt, wie die stilsichere Garderobe der Band.

Schmachtende Refrains mit Kopfstimme*
Die Brooklyner Band TV On The Radio, deren Masterminds Tunde Adebimpe, Kyp Malone und Dave Sitek alle bestens mit der Pophistorie vertraut sind, geht nun wie folgt vor. Sie verändert sich, und bleibt mit ihrem neuen Album Nine Types Of Light doch gleich (gut). Schon vom vorletzten Album, dem ebenfalls zum Klassiker erkorenen Return To Cookie Mountain auf das letzte Album Dear Science veränderte sich die Band nur gerade soviel wie eben nötig. Denn man weiß mit dem Filmemacher Visconti, dass sich »alles verändern muss, damit alles so bleibt, wie es ist.« Etwas überraschend ist es aber schon, dass Nine Types of Light fast ausschließlich aus Liedern über Liebe besteht – und wie gut gelungen gerade diese Songs sind. Gleich das erste Stück Second Song – wo ist der erste? – ist ein ebenso zeitlos gutes wie unkonventionelles Stück Pop. Mit so rhythmischen »Uh-Uh’s« und einem herrlich eingängigem Falsett-Refrain von Adebimpe, dazu ein Saxophon wie auf Bowie’s Modern Love. Nach dem gleichen Prinzip funktionieren auch Keep Your Heart und die Single Will Do – schmachtende Refrains mit Kopfstimmen und in den Strophen die eine Oktave tiefer liegenden Timbré von Adebimpe und Malone. Der Refrain von eben jenem Keep Your Heart zeigt bandgeschichtlich ganz gut, wo man angekommen ist: »I’m gonna keep your heart/ If the world falls apart/ I’m gonna keep your heart.« Die Welt fällt auseinander war vorher. Jetzt geht es erstmal um Liebe. Und es gibt auch keinen Grund, dies zu leugnen. Es mache ihnen einfach riesigen Spaß, schöne, eingängige Lovesongs zu schreiben, sagen sie. Nicht, dass diese Thematik Neuland für TV On The Radio wäre, um Liebe ging’s schon immer. Bloß fand diese meist nur im apokalyptischen Kontext statt. So zum Beispiel im Song Province (auf dem David Bowie übrigens im Refrain zu hören ist).

Das Umschreiben des Zitats
Dieser vermeintliche Shift ändert allerdings wenig an der Musik selbst. Lediglich die Songstrukturen erklingen nun klarer. Der Sound aber bleibt ebenso sorgsam aus vielen verschiedenen Stilen zusammengelegt, wie die stilsichere Garderobe der Band. Darum geht es und ging es bei TV On The Radio, die schon immer und ohne dies nur annähernd negativ zu meinen, eine Crossover-Band waren, seit Anbeginn ihrer Zeit. Um das intellektuelle Zusammenführen und Weiterentwickeln verschiedener Genres, also das Umschreiben des Zitats. So fing alles an, mit der Persimage auf Radioheads OK Computer, OK Calculator. Schwarze Musik bildet ebenso das Fundament der Band wie Post-Punk oder gar Art-Rock. Das gibt der Rhythmik der Songs immer etwas markantes, TV On The Radio-mäßiges. Die Möglichkeiten sind unbegrenzt. Der TV On The Radio-Sound funktioniert punkig, mit straightem Basslauf – so zu hören auf Wolf Like Me, einer Single von Return To Cookie Mountain – ebenso wie auf der Dance-Rock-Platte Dear Science. Funktioniert mit wütenden wie mit sanftmütigen Intentionen. Das Alter scheint bei TV On The Radio, wie so oft, den Sanftmut mit sich zu führen. »I’m optimistic, on overload«, heißt es an einer Stelle im neuen Album Nine Types Of Light.